AndreasRauscher

Inside / Outside Hollywood - Die Filme von Tim Burton

Reimagings zwischen Subversion und Blockbuster

In verschiedenen Interviews betonte Tim Burton, dass es sich bei seinem PLANET OF THE APES nicht um ein Remake im klassischen Sinn, sondern um ein „Reimaging“ handle. Es ging ihm nicht darum Franklin J. Schaffners auf einem Roman von Pierre Boule basierenden Klassiker von 1968 neu zu erschaffen. Stattdessen suchte er nach einem anderen Blickwinkel auf den Urknall der bekannten SF-Serie. Das „Reimaging“ bildet als systematisches Gegenlesen etablierter Stoffe und opulent anarchische Dekonstruktion tradierter Genreformen ein durchgehendes Motiv in den Arbeiten des am 25.8.1963 in Burbank geborenen Regisseurs. Burtons konsequente Sympathie für Außenseiterfiguren sorgt für ausgleichende Gerechtigkeit gegenüber all jenen Charakteren, deren Rollen im konventionellen Mainstream sich nicht selten auf stereotype Nebenfiguren beschränkt.

In MARS ATTACKS (1997) entlässt Burton jene Protagonisten ins ironisch übersteigerte Happy-End, die in gewöhnlichen Invasions- und Katastrophenfilmen wie dem martialisch-biederen INDEPENDENCE DAY (1996) zur passiven Untätigkeit im Hintergrund verdammt wären. Die potentiellen Heldenfiguren, Stars und Autoritäten finden hingegen ein vorzeitiges und reichlich absurdes Ende. Die beiden Variationen zum Superhelden-Mythos BATMAN (1989 und 1992) präsentieren den Dark Knight nicht als moralisch integren Beschützer, sondern als gebrochenen, gelegentlich zur Schizophrenie neigenden Charakter, der sich nicht mehr allzu sehr von seinen Feinden unterscheidet. In BATMAN RETURNS, Burtons gelungenster Synthese aus persönlichem Projekt und Blockbuster, entwickelt sich zwischen den Gegenspielern Batman und Catwoman sogar eine eigenwillige Liebesgeschichte. Den erst posthum zum „schlechtesten Regisseur aller Zeiten“ und zur Kultfigur avancierten Regisseur ED WOOD rehabilitiert Burton im gleichnamigen Biopic von 1995 als gescheiterten extrovertierten Visionär. Und das tragische Suburbia-Märchen EDWARD SCISSORHANDS (Edward mit den Scherenhänden, 1990) verdeutlicht noch einmal jene Erkenntnis, die sich in fast allen Werken von Burton wiederfindet. Das wirkliche Grauen lauert nicht im gemütlichen Maniac Mansion des verstorbenen Mad Scientist am Rande der Stadt, sondern auf den unheimlichen Barbecues der paranoiden, intoleranten und ignoranten Kleinbürger von Suburbia.

In seinen Arbeiten bewegt sich Tim Burton geschickt zwischen kleineren Produktionen am Rande des Hollywood-Geschehens wie EDWARD SCISSORHANDS und Blockbustern mit eigener Handschrift wie BATMAN RETURNS und MARS ATTACKS. Trotz der Arbeit an Großproduktionen wie zuletzt PLANET OF THE APES bleibt Burtons Verhältnis zu den Major-Studios gespalten. In dem lesenswerten, von Mark Salisbury herausgegebenen Interviewband „Burton on Burton“ erklärt er: „Even though I have come up through the studio system, I haven´t really felt like I have, and I don´t think the studio people feel like I have either.”

Burton benutzt traditionelle Genreformen als Grundlage für andere Sichtweisen, die sich durch die gezielte Abweichung von gewöhnlichen Handlungsabläufen und den etablierten Regeln ergeben. Auf der ersten Ebene funktionieren die BATMAN-Filme oder PLANET OF THE APES zwar als Blockbuster, doch gleichzeitig zeigen sich darin überlegte Brüche mit den starren Regeln und der optischen Uniformität der Event-Movies. Naivität funktioniert bei Burton nicht als konfektionierte Kindheitserinnerung, sondern als subversives Stilmittel. Er bekennt sich, wie Claus Philipp in der Zeitschrift Meteor anmerkte, „rückhaltlos zum Wahren im Falschen“ und zur „Reinheit im Kaputten“. Dabei überwindet Burton nicht nur den Mainstream, sondern auch das postmoderne Zitat mit dessen eigenen Mitteln. Die spielerische Referenz verwandelt sich in seinen Arbeiten in eine neue Ernsthaftigkeit, die trotzdem stets anarchische Untertöne bewahrt. Nicht das unverbindliche Credo „Seeing is believing“, Motto einer unverbindlichen Mainstream-Postmoderne, bildet den Leitfaden für Burtons Umgang mit Zitaten und Fragmenten aus dem Archv der Popkultur und Filmgeschichte. Die wirklich relevante Devise gibt Burtons favorisiertes Alter Ego Johnny Depp in SLEEPY HOLLOW aus, „Truth is not always appearance.“

 

Anarchy in the Mainstream – PEE WEE´S BIG ADVENTURE

Burtons Kurzfilme VINCENT (1982) und FRANKENWEENIE (1984) wurden zwar auf Festivals begeistert aufgenommen. Doch die Produktionsfirma Disney stufte sie damals als nicht kommerziell und familienfreundlich genug ein. Und so verschwanden Burtons Debütarbeiten vorerst in den Katakomben des Mäuseimperiums. Auch der bereits damals konzipierte Animationsfilm NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS wurde erst 1994 unter der Regie von Henry Selick umgesetzt. Die Kurzfilme verbanden die triste Stimmung von Suburbia mit den Gegenwelten des klassischen phantastischen Film. In VINCENT versucht ein in sein dunkles Zimmer zurückgezogener Junge zu leben wie sein großes Idol Vincent Price und FRANKENWEENIE präsentiert eine neue Variante des James Whale-Klassikers FRANKENSTEIN mit einem wiederbelebten Hund. Mit dem für Warner realisierten PEE WEE`S BIG ADVENTURE (Pee Wee´s irre Abenteuer, 1985) löste sich Burton endgültig von den Disney Studios. Im Mittelpunkt des Films steht Pee-Wee, die Kunstfigur des TV-Komikers Paul Reubens, der als psychopathischer Epigone von Jacques Tati auf die Suche nach seinem gestohlenen  Fahrrad geht. Auf seiner Odyssee ergibt sich eine erste Topographie der Burtonschen Pop-Kosmologie. Pee-Wee begegnet der Truckerin Large Marge, deren Verwandlung in ein skurriles Zombie bereits die bewusst billig erscheinenden Effekte seines zweiten Films BEETLEJUICE vorwegnimmt. Er entgeht nur knapp unter unheimlich leuchtenden Neon-Sauriern mitten in der Wüste den Attacken eines eifersüchtigen Rednecks und der Bedrohung durch eine Gruppe Biker entzieht sich der selbsternannte Rebell mit Hilfe einer eigenwilligen Stepptanz-Einlage. Leichtgläubig folgt der Held dem Hinweis einer Wahrsagerin, die ihm für sein letztes Geld versichert hat, dass sich sein Fahrrad im Keller des legendären Alamo befinde. Nachdem  Pee-Wee endlich am amerikanischen Nationalheiligtum angelangt ist und eine ermüdende Führung durch die Gedenkstätte über sich ergehen hat lassen, wird er mit der bitteren Erkenntnis konfrontiert, dass es im Alamo gar keinen Keller gibt. Durch einen reinen Zufall entdeckt der angeschlagene Individualanarchist, dass sein gestohlenes Fahrrad in den Warner-Studios für wohltätige Zwecke versteigert werden soll. Während der abschließenden Flucht auf seinem zurückeroberten Fahrrad durch das Studiogelände, gerät er nacheinander an Godzilla, den Weihnachtsmann und eine prototypische 80er Jahre-Poser-Metal-Combo mit Föhnfrisuren.

Ähnlich wie der Protagonist mit Hilfe stilisierter Naivität und einem ausgeprägten Hang zur grotesken Überaffirmation die Gefahren seiner absurden Umwelt voller amerikanischer Archetypen überwindet, nutzt Burton die Slapstick-tour de force seines Hauptdarstellers, um dabei eigene Akzente zu setzen. In der abschließenden Verfolgungsjagd verwandelt Burton die Warner-Studios in ein absurdes Theater, in dem sich die Vorliebe für japanische Monsterfilme und seine Aversion gegen die Stereotypen des Mainstreams wiederfinden. Als ironischen Abschluss versehen Burton und Reubens die Jagd nach dem verlorenen Fahrrad mit einem außergewöhnlichen Happy-End. Statt Pee-Wee auf Schadenersatz für die demolierten Studiokulissen zu verklagen, sichert sich Hollywood die exklusiven Filmrechte an seinen Erlebnissen. Zum Finale treffen sich sämtliche Protagonisten des Films in einem Autokino wieder, in dem Pee-Wees Suche nach seinem Fahrrad als konventioneller Action-Thriller mit anderen Darstellern zu sehen ist. Burtons Vorliebe den Mainstream mit dessen eigenen Mitteln zu überlisten, indem er dessen Semantik entführt und sie nach seinen eigenen Spielregeln neu zusammensetzt, zeigt sich in PEE-WEE´S BIG ADVENTURE in Form eines spielerischen Anarchismus. Diese Haltung verweigert sich Hollywood nicht gänzlich, sondern öffnet die Hintertür der Warner Studios für Godzilla, der mit Hilfe des Weihnachtsmanns und Pee-Wees die Dreharbeiten zum fließbandgefertigten Poser-Metal-Video im Atelier nebenan ruiniert. Pee-Wee Herman demonstriert anschaulich, wie ein selbsternannter Loner und Rebell mit einem Fahrrad ein ganzes Hollywood-Studio auf den Kopf stellen kann.

 

A Feel-Good Movie About Death - BEETLEJUICE

Burtons zweite Arbeit BEETLEJUICE (1988), den Drehbuchautor Michael McDowell als „a feel-good movie about death“ beschreibt, bildet einen typischen Übergangsfilm zwischen dem verspielten Anarchismus PEE-WEE´s und dem Blockbuster-Kino mit eigener Handschrift der BATMAN-Filme. Ein biederes Pärchen (Alec Baldwin und Geena Davis) muss nach einem tödlichen Autounfall in seinem gerade erst fertig eingerichteten Eigenheim in Neu-England spuken. Als die häusliche Idylle durch die neuen Bewohner des Hauses, die New Yorker Jet Set-Familie Deetz (Catherine ´O Hara und Jeffrey Jones) zerstört wird, versuchen die frisch verstorbenen Maitlands erfolglos sich als einfallslose Poltergeister zu betätigen. Sämtliche Bemühungen die ungebetenen Nachmieter mit konventionellen, wie auch rührend naiven Geistererscheinungen aus dem Haunted House im umgekehrten Sinne zu vertreiben sind zum unfreiwillig komischen Scheitern verurteilt. Lediglich in Lydia (Winona Ryder), die als introvertiertes Goth-Girl in Erscheinung tritt, finden die Maitlands eine unerwartete Verbündete. Schließlich nehmen sie die Dienste des freiberuflichen Bioexorzisten Beetlejuice (Michael Keaton) in Anspruch. Erst mit Hilfe von Lydia können sich die Maitlands des Geistes, der das Böse will und auf Grund seiner Egomanie deshalb noch lange nicht das Gute schafft, entledigen.

Der Zusammenhalt des Films besteht weniger in einer konsequent verfolgten Narration, als in einer losen Aneinanderreihung von absurden Situationen, die systematisch vertraute Topoi des Gothic-Horrors und des Haunted House-Subgenres in ihr Gegenteil verkehren. Nicht die Rückkehr des Verdrängten in Gestalt des Unheimlichen steht im Mittelpunkt von BEETLEJUICE. Die ansonsten nach den Regeln des Genres heimgesuchten Biedermänner sind selbst die Geister und das Jenseits erweist sich als Bürokratenhölle, in der sich die Wartezeiten zu einer grausamen, schier endlosen Ewigkeit ausdehnen. Am Ende findet sich um Lydia und die Maitlands eine Ersatzfamilie zusammen. Dieser undogmatische Gegenentwurf zur Spielbergschen Kleinfamilie jenseits der Strukturen von Suburbia setzt sich später in EDWARD SCISSORHANDS, MARS ATTACKS und SLEEPY HOLLOW fort. Wie die Protagonisten seiner Filme versammelte auch Burton einen festen Stab an langjährigen Mitarbeitern und Darstellern um sich. In dem eher schmächtigen Komiker Michael Keaton fand er die Idealbesetzung für seine BATMAN-Adaption. Mit Hilfe des Bio-Exorzisten konnte Burton den drohenden Heldenpathos aus seiner Variante des erfolgreichen Comics vertreiben.

 

Nachtgestalten BATMAN

Burtons BATMAN-Filme bilden den direkten Gegenentwurf zu den zehn Jahre zuvor entstandenen SUPERMAN-Filmen von Richard Donner und Richard Lester. Bereits die ersten Einstellungen auf Gotham City etablieren die ständig wolkenverhangene Megalopolis als einen Noir-Hexenkessel der Moderne, der sich, ohne es zu bemerken, auf dem Weg in eine apokalyptische Postmoderne befindet. Deren soziale Struktur spiegelt sich im steilen vertikalen Gefälle ihrer Architektur wider. Im Gegensatz zu den in den düsteren Himmel emporragenden Wolkenkratzern steht das Elend in den Straßenschluchten. Das passende Ambiente für den Showdown zwischen Batman und dem diabolischen Joker fand Burton in einer gigantomanischen gotischen Kathedrale.

Die Stadtvision aus Art-Deco, Retro-Futurismus und totalitärer Gigantomanie versammelt in einem systematisch unübersichtlichen Zitatpatchwork Elemente aus den Stadtbildern der gesamten Filmgeschichte von METROPOLIS (1926) bis zu BLADE RUNNER (1982). Gotham City liefert die verdrängte Kehrseite zum sauberen und hellen Metropolis der SUPERMAN-Comics und Filme, das als reichlich altmodisches Versprechen an einer unreflektiert fortschrittlichen Zukunft festhält. Im Gegensatz zum fliegenden Schutzheiligen dieses Szenarios inszeniert sich der Mitternachtsdetektiv im Feldermauskostüm bei Burton selbst als Urban Legend, die ihre Zeichen über Gotham ausbreitet. Im Gegensatz zu Joel Schuhmachers Sequels wird der Held bei Burton nur nachts aktiv. Einen einfachen Straßenräuber lässt Batman in einem Anflug von latentem Sadismus genussvoll über dem Rand eines Wolkenkratzers hängen und erklärt ihm, dass er ihn nicht töten werde. Er solle lediglich allen seinen Freunden von der Urban Legend des dunkeln Rächers berichten.  

Formal und inhaltlich orientiert sich Burton an den Comics von Frank Miller und dessen Nachfolgern. 1986 bewirkte Millers „The Dark Knight Returns“ („Die Rückkehr des dunklen Ritters”) eine unerwartete Batman-Renaissance. Diese Graphic Novel schilderte als düsterer Gegenentwurf zu den schrillen Camp-Elementen der 60er Jahre-TV-Serie die Rückkehr eines sichtlich gealterten und desillusionierten Batmans, der schließlich auf Befehl des Präsidenten hin von seinem ehemaligen Kollegen Superman beseitigt werden soll. Die im Zug von Millers Erfolg entstandenen Comicbände folgten dem neu etablierten Autorenkonzept. Im Mittelpunkt standen nicht mehr die Erfüllung von Serienkonventionen, sondern die Interessen der jeweiligen Autoren, die die verdrängten Seiten der Heldenfigur als dunkles Gegenstück zu Superman erkundeten. Die dabei akzentuierten Ambivalenzen decken sich mit Burtons Ansatz. Das Verhältnis zwischen den Gegenspielern in einer Welt, in der die für klassische Superhelden-Comics konstituierende Trennung zwischen Gut und Böse sich auflöst, und die Schizophrenie des Protagonisten bilden die durchgehenden thematischen Stränge in Burtons BATMAN-Filmen.

Der Joker, dargestellt von Jack Nicholson in einer übersteigerten Cartoon-Variante seines eigenen Madman-Images, und der Dark Knight Batman, verkörpert vom introvertiert bis manisch besessen in Erscheinung tretenden Michael Keaton, erschaffen sich gegenseitig. Vor vielen Jahren ermordete der Gangster Jack Napier die Eltern des jungen Bruce Wayne und leitete durch dieses traumatische Ereignis dessen Verwandlung in den schwarzgekleideten Rächer ein. Umgekehrt befördert Wayne als Batman zu Beginn des Films Napier in einen Kessel mit giftigen Chemikalien. Nicht zum ersten Mal bedeutet der Tod in Burtons Filmen nicht das Ende, sondern einen neuen Anfang. Als selbsternannter „first fully funcitonal homicidal artist” kehrt Napier als Joker mit grünen Haaren und bleichgesichtiger Clownsvisage mit gefrorenem Dauergrinsen zurück und beseitigt mit tödlichen Scherzartikeln seine Kontrahenten. Die Camp-Elemente der 60er Jahre BATMAN-TV-Serie tauchen in surreal verfremdeter Form in der grell-bunten Welt des Jokers erneut auf, die in der Farbgestaltung den unmittelbaren Gegenakzent zu der düsteren Bathöhle und den in einheitlichem Schwarz gehaltenen Utensilien des Helden bildet. Ständig attackiert der Joker den Plot der klassischen Superheldengeschichten. Nachdem Batman mit einem schwer gepanzerten, fledermausförmigen Düsenjäger den Anschlag des Jokers mit Giftgasballons auf die Parade zur 200-Jahresfeier Gothams verhindern konnte, beendet dieser mit einer überdimensionalen Spielzeugpistole reichlich unspektakulär den Höhenflug des Helden.

In BATMAN zeigt sich Burtons Vorliebe zur Abkehr von einer traditionellen Dramaturgie. Er interessiert sich stattdessen für die Momente jenseits der konventionellen Standards einer Comicverfilmung. Erst langsam fügen sich die einzelnen Fragmente der Erinnerung Bruce Waynes an die Ermordung seiner Eltern durch den Joker zu einem ganzen Bild zusammen und ergeben dadurch das psychologische Profil der Hauptfigur. Ähnliche puzzleartigen Psychogramme setzt Burton erneut in EDWARD SCISSORHANDS und SLEEPY HOLLOW ein. Die Motivation seiner Protagonisten ergibt sich nicht aus der episodenhaften Narration der Filme, sondern durch Einblicke in das Innenleben der Figuren, die über den oberflächlichen Eindruck ihres extravaganten bis grotesken Auftretens hinausgehen. Burton lässt trotz aller postmoderner Ironie keinen Zweifel daran, dass hinter den Masken der Protagonisten ungeahnte Abgründe lauern, die in BATMAN RETURNS zum zentralen Thema der Handlung selbst werden.

 

Suburban Gothic – EDWARD SCISSORHANDS

Im Gegensatz zu den Urban Legends der BATMAN Filme verwandte Burton für seine Erzählung über den Jungen mit den Scherenhänden, der in Suburbia anfangs mit offenen Armen als exotischer Gast empfangen und später unschuldig als Monster vertrieben wird, die Form eines artifiziellen Märchens. Doch die zeitlose Ignoranz und Paranoia der Suburbia-Bewohner, die ihr falsches Paradies auf Ausgrenzung und Vorurteilen errichtet haben, erscheint alles andere als märchenhaft, sondern überaus realistisch. Burton verarbeitet in EDWARD SCISSORHANDS eigene Erinnerungen, die er zu einer abstrakten Topographie überhöht: „Growing up in suburbia was like growing up in a place where there´s no sense of history, no sense of culture, no sense of passion for anything… So you were either forced to conform and cut out a large portion of your personality, or to develop a very strong interior life which made you feel separate.”Dieser Innenraum des interior life manifestiert sich in EDWARD SCISSORHANDS als gotisches Schloss in unmittelbarer Nähe von Suburbia, auf dem ein sanftmütiger Mad Scientist (Vincent Price in einer Hommage an seine eigene Rollengeschichte), der jeglichen Wahnsinn hinter sich gelassen hat, an seinen Erfindungen bastelt. Durch den überraschenden Tod seines Schöpfers kann das künstliche Wesen Edward (Johnny Depp) nicht mehr fertiggestellt werden und muss mit provisorischen Scheren als Händen leben. Eines Tages entdeckt ihn eine Avon-Vertreterin und nimmt ihn mit zu ihrer Familie nach Suburbia. Die anfängliche Neugier und Faszination der Nachbarn weicht zuerst einer kaltblütigen Verwertungslogik und kurz darauf offener Feindseligkeit. Sie benutzen Edward als Grillzange beim Barbecue und schätzen ihn als Friseur und kreativen Landschaftsgärtner, aber als menschliches Wesen wollen sie ihn nicht anerkennen. Lediglich im künstlerischen Schaffen kann sich der introvertierte Edward, den Johnny Depp in einer Kombination aus schüchternem Punk und puppenhafter Unschuld darstellt, selbst ausdrücken.

Wie zuvor in BEETLEJUICE übernimmt Winona Ryder, als Cheerleaderin Kim mit blonder Perücke geschickt gegen ihren Typ besetzt, die Vermittlerrolle zwischen tristem Alltag und dem unerwartet eintretenden Phantastischem. Ihre Romanze mit Edward zeigt, dass die vermeintliche Kreatur weitaus einfühlsamer und sensibler als die menschlichen Monster aus Suburbia ist. In Hinblick auf Johnny Depps Rollenentwicklung in den Filmen Burtons bildet Edward die Gegenfigur zum hyperaktiven und extrovertierten ED WOOD. Das Zusammentreffen zwischen Depp und Burton markiert einen entscheidenden Einschnitt in der Entwicklung des Regisseurs. In ihm fand er einen geeigneten und wandlungsfähigen Darsteller für seine charismatischen Außenseiterfiguren. Mit traurigen Augen emanzipierte sich Depp als Edward, changierend zwischen Neugier und verunsicherter Zurückhaltung, von seinem damaligen Image als Teenie-Star der Serie 22 JUMP STREET. Seine Bemühungen der Festlegung auf einen eindimensionalen Rollentypus und der damit drohenden künstlerischen Sackgasse zu entgehen, verbinden ihn mit Burton, der sich mit EDWARD SCISSORHANDS erfolgreich von seinem Image als Hollywoods neuestes Blockbuster-Wunderkind befreite.

 

Nightmares Before Christmas – BATMAN RETURNS

Durch den Erfolg des ersten BATMAN konnte Burton, der sich durch EDWARD SCISSORHANDS auch als eigenständiger Regisseur bei einem traditioneller orientierten Cineastenpublikum etabliert hatte, den zweiten Teil weitgehend nach seinen eigenen Vorstellungen realisieren. Die Rezeption von BATMAN RETURNS dominierte nicht mehr wie noch beim ersten Film der Merchandising-Hype, sondern die eigenwillige Vorgehensweise des Regisseurs. In einem Interview erklärte Burton die für ihn wesentlichen Elemente der BATMAN-Geschichten:"It´s about depression, and it´s about a lack of integration. It´s about a character.. I always see it being about those things, not about some kind of hero who is saving the city."

BATMAN RETURNS konzentiert sich auf die Burtonschen Alpträume um das Fest der Nächstenliebe, die Henry Selick zeitgleich in dem Animationsfilm THE NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAN nach einem Drehbuch und Entwürfen des Regisseurs umsetzte. Wie Jack Skellington, der unglückliche Held dieser ironischen Abrechnung mit den amerikanischen (Waren-)Mythen um Halloween und Weihnachten, versucht auch Batman seiner festgelegten Rolle als Superheld zu entkommen und die Liebe in der S&M-Beziehung zu Catwoman alias Selina Kyle zu entdecken. Noch deutlicher als im ersten Teil weicht Burton im Nachfolger von einer konventionellen Narration ab, um die Ambivalenz der Protagonisten deutlich zu akzentuieren. Der von Danny de Vito verkörperte Pinguin, der kurz vor Weihnachten aus der Kanalisation von Gotham auftaucht, um seinen Status als verstoßener Erbe einer wohlhabenden Familie einzufordern, erweist sich als tragische Figur, die den Manipulationsstrategien des Großindustriellen Max Shreck (Christopher Walken) zum Opfer fällt. Shreck versucht den mit kindlicher Unbeholfenheit und Aggressionsbereitschaft auftretenden Pinguin in einem kaum verdeckten Seitenhieb auf das Wahljahr 1992 zum leicht kontrollierbaren Bürgermeister der Stadt zu machen. Während Bruce Wayne vor dem Fernseher Mitleid mit der unglücklichen Kreatur auf der Suche nach ihren Eltern empfindet, lässt er als Batman nichts unversucht, um den Pinguin als gefährlichen Verbrecher zu entlarven. Obwohl sich dieser Verdacht letztendlich als eine Art Self-Fulfilling Prophecy bestätigt, lässt Burton keinen Zweifel daran, dass der Pinguin lediglich die verdrängte Seite des außer Kontrolle geratenen Großkapitals von Gotham, das Shreck repräsentiert, darstellt. 

Weihnachten erscheint in BATMAN RETURNS im Gegensatz zu Halloween, das in Gotham ohnehin das ganze Jahr andauert (gerade wenn man die neon-bunten Schuhmacher-Nachfolger betrachtet), als das eigentliche Fest des Schreckens voller Entfremdung und Einsamkeit. Bruce Wayne und Selina Kyle bewegen sich in ihren bürgerlichen Rollen als dislocated subjects durch die weihnachtlichen Einkaufsorgien, ständig besorgt um den Imageverlust ihrer Alter Egos Batman und Catwoman. Ein gigantisches Geschenkpaket, das zur feierlichen Erleuchtung des Weihnachtsbaums auf den Stadtplatz geschoben wird, entpuppt sich als trojanisches Pferd einer psychopathischen Clownbande, die mit Maschinengewehren bewaffnet über die Menge herfällt und in Nahaufnahme einen riesigen Teddybären in Brand setzt. Die Spielzeugwelt hat in BATMAN RETURNS ihre Unschuld verloren. Als Selina Kyle nach einem fehlgeschlagenen Attentat ihres Bosses Shrecks auf ihr Leben in ihre plüschverzierte, pinkfarbene Wohnung, die keinerlei Wärme ausstrahlt, zurückkehrt, muss sie sich auf dem Anrufbeantworter Werbung für ein neues Parfüm anhören, dessen Duft ihren „Chef dazu bewegen wird, sie zu bitten nach Dienstschluss noch zu bleiben.“ In einem wie ein Ritual inszenierten, von den gespenstischen Chorälen Danny Elfmans begleiteten Wutausbruch zertrümmert Selina systematisch die Inneneinrichtung ihrer Wohnung. Ihre zahlreichen Plüschtiere massakriert sie im Zerkleinerer des Waschbeckens und den an der Wand befestigten Neonschriftzug „Hello There“ verwandelt sie mit zwei gezielten Schlägen in „Hell Here“. Diese Aktion leitet ihre Transformation in die in schwarzes Leder gekleidete, mit einer Peitsche bewaffnete Nachtgestalt Catwoman ein, die Burton zuvor in mehreren Einstellungen auf das bedrohlich grinsende Katzen-Werbelogo der Shreck Company andeutete.

Michelle Pfeiffer als Catwoman Selina Kyle erweist sich als ideale Partnerin für Michael Keatons unter seiner eigenen Zerrissenheit leidenden Batman. Auf dem Maskenball Max Shrecks erscheinen Kyle und Wayne als einzige Besucher ohne Kostümierung, als wollten sie zumindest für einen kurzen Augenblick ihren Masken und den damit verbundenen Rollen entkommen. Durch die umgekehrte Wiederholung eines Dialogs über die gefährliche Wirkung eines Mistelzweigs, den sie einige Nächte zuvor bei einer aggressiven Begegnung  als Batman und Catwoman bereits führten, erkennen sie die wahre Identität des Anderen. Doch bevor die resignierte Frage, „Does this mean we have to start fighting again?” beantwortet werden kann, reißt sie der Plot in Form eines Überfalls des Pinguins auseinander. Bei der entscheidenden Konfrontation entledigt sich Batman entgegen aller Genreregeln seiner Maske und bittet Catwoman mit ihm zu kommen. Doch diese erklärt ihm, dass es leider zu keinem märchenhaften Happy-End kommen wird, und vollführt ihre Rache an Max Shreck, nicht ohne sich ein weiteres ihrer neun Leben für das nächste Weihnachtsfest aufzusparen. Die Figur Catwomans bringt von allen Charakteren der BATMAN-Serie die von Burton gesuchte Ambivalenz am vielschichtigsten zum Ausdruck. Leider wurde Burtons geplanter CATWOMAN-Film, zu dem bereits ein fertiges Drehbuch existiert, bisher nicht realisiert. Nach diversen Auseinandersetzungen mit einigen Merchandising-Firmen, denen Burtons konsequent düsterer Ansatz nicht kommerziell genug erschien, übernahm Joel Schuhmacher mit dem von Burton produzierten dritten Teil BATMAN FOREVER die Serie. Er verwandelte Gotham City in ein schillerndes Pop-Art-Pastiche aus Neonlicht und ließ Batman mit Hilfe einer von Nicole Kidman verkörperten Psychologin, die dabei vermutlich beide Augen weit geschlossen hielt, von allen Neurosen heilen. Michael Keaton musste seinen Platz für Val Kilmer räumen, der Batmans Alter Ego Bruce Wayne in einen langweiligen Jungunternehmer verwandelte. Burton tangierte diese Entwicklung nicht weiter. Mit BATMAN RETURNS verfasste er nach EDWARD SCISSORHANDS seine zweite Unabhängigkeitserklärung von den Konventionen des Mainstreams, diesmal im Rahmen eines Blockbusters.

 

Hollywood von unten – Die Ekstasen des ED WOOD

Der Mitte der 50er Jahre auf der Schattenseite der Traumfabrik tätige Edward D. Wood Jr. handelte sich mit billigst und dennoch mit obsessiver Begeisterung produzierten Filmen wie BRIDE OF THE MONSTER, GLEN OR GLENDA (1953) und PLAN 9 FROM OUTER SPACE (1958) den Ruf des „schlechtesten Regisseurs aller Zeiten“ ein. Leider verstarb er völlig verarmt als Autor pornographischer Pulp-Romane, kurz bevor seine Filme im Zug der Trash- und Camp-Begeisterung Ende der 70er eine unerwartete Renaissance erlebten. Mit verbissener Begeisterungsfähigkeit versammelte Wood eine ganze Außenseiterbande um sich, die sich regelmäßig an der Entstehung seiner selbst verfassten und inszenierten Werke beteiligten. Das Budget beschränkte sich auf Summen, die bei gewöhnlichen Hollywood-Produktionen vermutlich lediglich die Tageskosten für das Catering umfassen würden.

In Woods Ensemble fanden sich die TV-Ikone Vampira (Lisa Marie), der Wahrsager Criswell (Jeffrey Jones), der  Wrestler Tor Johnson (George Steele), der es immerhin zum Vorbild für eine Halloween-Maske brachte, und der ehemalige DRACULA-Darsteller Bela Lugosi (Martin Landau). Der Auftritt Lugosis in PLAN 9 FROM OUTER SPACE trug entscheidend zum Mythos um den Film bei. Da der von seiner Opiumsucht gezeichnete Darsteller kurz vor Drehbeginn verstorben war, verwandte Wood spontan Archivmaterial. Er konstruierte in einer theatralischen Voice-Over-Narration haarsträubende Zusammenhänge zwischen Lugosi, der in seinem letzten Auftritt vor seinem Haus an einer Blume schnuppert und einem geheimen Plan von Grabräubern aus dem Weltall. Den Rest der Rolle übernahm ein befreundeter Arzt mit vorgehaltenem Cape. Wenn man Brandon Lees digitale Wiederbelebung für die fehlenden Szenen von THE CROW (1994) bedenkt, war Ed Wood vermutlich einfach nur seiner Zeit voraus. Die Finanzierung seiner Filme besorgte Wood aus den unterschiedlichsten Quellen, von einem texanischen Schlachter, der ins Filmgeschäft einsteigen wollte, bis hin zu einer Gruppe Mormonen, denen er mit dem vermeintlichen finanziellen Erfolg von PLAN 9 die Realisierung einer Serie von Bibelfilmen versprach. Außerdem verarbeitete Wood als verkannter Auteur in den Filmen regelmäßig seine Vorliebe für Angora-Pullover.  

Obwohl man die tragikomische Anti-Karriere Ed Woods exploitativ als schrille Groteske hätte verfilmen können, verzichtete Burton von vornherein darauf. Er verwandelte das auf dem  Buch „Nightmares on Ecstasy – The Life and Art of Edward D.Wood Jr.“ basierende Biopic in eine seiner typischen Außenseitergeschichten, in der er die Kehrseite von Hollywood betrachtet. Dabei orientiert er sich nicht am Realismus traditioneller Biopics, sondern belässt den Mythen Hollywoods, denen Wood und sein Ensemble vergeblich nachjagen, ihren schönen falschen Schein. Wenn Wood wie ein euphorischer Dirigent die Dreharbeiten zu PLAN 9 koordiniert und Bela Lugosi spontan auf der Strasse ein letztes Mal seinen Monolog aus BRIDE OF THE MONSTER vor einem begeisterten Publikum vorträgt, inszeniert Burton diese Magic Moments, als würde Wood tatsächlich gerade einen Trash-CITIZEN KANE produzieren und Lugosi einen Shakespeare-Monolog rezitieren. Die Grenzen zwischen sogenannter High und Low Culture erscheinen dabei willkürlich. Stattdessen kommt es Burton auf die Obsession und Leidenschaft an. Wenn Lugosi, mit der Souveränität einer vergessenen Leinwandlegende dargestellt von Martin Landau, und Wood an Halloween Tod Brownings DRACULA im Fernsehen anschauen und der alternde Vampir-Darsteller dem übereifrigen Nachwuchsregisseur den Hypnosegriff Draculas erklärt, entdeckt Burton ein verdrängtes Kapitel Filmgeschichte am Rande Hollywoods neu und integriert es in seinen filmischen Kosmos.

 

Der beswingte Anti-Independence Day – MARS ATTACKS

In ED WOOD zeigt sich Burtons Hang zum Ensemblefilm. In dieser Hinsicht lieferte er die geeignete Vorbereitung für den zwei Jahre später entstandenen MARS ATTACKS, eine Hommage an das Trash- und Paranoiakino der 50´er Jahre, die zugleich erfolgreich das hohle Pathos von Emmerichs INDEPENDENCE DAY ins Visier nimmt. Burton versammelte eine ganze Starriege, von Jack Nicholson, über den aktuellen James Bond Pierce Brosnan und Rod Steiger, bis hin zu Danny de Vito und Michael J. Fox. Diese versammeln sich jedoch nicht wie bei Emmerich zu einer hurrapatriotischen Kriegserklärung in der Wüste von Arizona. Sie scheiden auf denkbar unspektakuläre und sehr komische Weise vorzeitig aus der Handlung aus. Steigers an Kubricks DR.STRANGELOVE (Dr. Seltsam) angelehnter, hysterischer General wird von den Marsianern mit einer Spielzeugpistole verkleinert und zertreten. Der von Nicholson souverän chaotisch portraitierte Präsident hält eine ergreifende Ansprache, die sogar dem marsianischen Botschafter die Tränen in die Augen treibt. Diese hält den marsianischen Gegenspieler jedoch nicht davon ab, den Präsidenten mit einem originellen Scherzartikel nach einem scheinbar versöhnlichen Handshake über den Jordan zu befördern. Die Outcasts um die Blaxploitation-Stars Pam Grier und Jim Brown und den zufällig in Las Vegas anwesenden Entertainer Tom Jones entkommen hingegen der absurden außerirdischen Attacke. Obwohl Burton behauptet, er hätte während der Dreharbeiten noch nichts von INDEPENDENCE DAY gehört, liefert sein 1997 realisierter Film dennoch die treffende Kritik an der Rückkehr des Mainstreams zu den tradierten Formen des Invasionsfilms. Zahlreiche Parallelen und Standardsituationen finden sich in beiden Filmen, doch Burton sabotiert deren klassische Ursache und Wirkung-Relation. Als Schauplatz wählte Burton neben dem obligatorischen Washington, in dem er beim Angriff der Aliens auch eine Pfadfindergruppe nicht verschont, nicht die Standard-Metropolen des in den späten 90er Jahren wiederbelebten Katastrophendramas. Er verlagert die weiteren Parallelhandlungen in ein entlegenes Provinznest im Mittleren Westen und in die Show- und Glitzermetropole Las Vegas, in der ein egozentrischer Spekulant (ebenfalls Jack Nicholson) sogar während der Invasion vom Mars sein Investmenttreffen fortsetzt. Die Rettung der Menschheit erfolgt nicht über eine alles entscheidende Schlacht oder ein raffiniertes Computervirus, sondern mit Hilfe eines ohrenbetäubenden Countrysongs, der die überdimensionalen Gehirne der Marsianer platzen lässt. Von den vier großen Studiofilmen Burtons ordnet sich MARS ATTACKS am deutlichsten den Spielregeln des Regisseurs und Co-Autors unter. Mit einem Budget von 70 Millionen Dollar leistet Burton ausgehend von einer 55-teiligen Kaugummi-Sammelbildserie konstruktiv-anarchistische Archivarbeit in Sachen Popkultur. Während Filme wie INDEPENDENCE DAY und DEEP IMPACT reaktionäre Klischees modernisieren und sie dadurch zu kaschieren versuchen, stellt Burton die Ursprünge des Genres und seine Mechanismen überdeutlich aus und lässt sie wie ein Kartenhaus  zu  den beswingten Klängen von Tom Jones in sich zusammenfallen. Am US-Box Office stieß Burtons Satire auf wenig Verständnis. Zu deutlich hatte er die latenten Strukturen des Ende der 90er Jahre wieder zu neuer Popularität gelangten apokalyptischen Melodrams offengelegt.

 

 

Die Hessen kommen - Re-Reading SLEEPY HOLLOW

Nachdem Burtons Rückkehr zur Comicverfilmung mit SUPERMAN REBORN nach über einem Jahr Vorbereitungszeit vom Studio auf Grund kreativer Differenzen auf Eis gelegt wurde, nahm er sich der von FX-Experten Kevin Yagher (Erfinder der CHILD´S PLAY-Puppe Chucky und Teilzeit-Alan Smithee bei HELLRAISER 4) vorbereiteten Literaturverfilmung SLEEPY HOLLOW an. Burton nutzte die Adaption von Washington Irvings berühmter Kurzgeschichte, die bis heute zum Standardprogramm einer jeden amerikanischen Grundschule gehört und die in den 40er Jahren schon einmal von Disney als Zeichentrickfilm umgesetzt wurde, als Grundlage für eine Hommage an die stilbewusste Künstlichkeit der klassischen Hammer-Horrorfilme. 

Zu Beginn des Films sendet ein von Christopher Lee dargestellter Richter den Constable Ichabod Crane (Johnny Depp) aus dem bereits im Zeichen der sich langsam anbahnenden Aufklärung stehenden New York in das abergläubische Nest Sleepy Hollow, um eine Mordserie aufzudecken, hinter der angeblich der Geist eines kopflosen Reiters steckt. Im Kontext von Burtons Genre-Tableaus deutet diese Szene bereits an, dass die neben Bela Lugosi bekannteste Verkörperung Draculas Crane und den Zuschauer auf eine Reise durch die pastellfarbenen Alptraumszenarios der Hammer-Filme einlädt. Den filmhistorischen Referenzen entsprechend entstand der Film in den englischen Leavesden-Studios und wurde bis auf wenige Außenaufnahmen im Atelier gedreht. Es erscheint typisch für Burton, dass ausgerechnet die on location gefilmten Sequenzen am stärksten an Studioaufnahmen erinnern. 

Der Konflikt zwischen Romantik und rationaler Aufklärung deutete sich unterschwellig bereits in den früheren Filmen Burtons an. Bruce Wayne vereinigte bis hin  zur Schizophrenie wissenschaftliches Denken, das er mit seinem umfangreichen chemischen Wissen und seinen technischen Fähigkeiten demonstrierte, und die irrationale Selbstmystifizierung, mit der er sich als Batman zur Urban Legend hochstilisierte. In SLEEPY HOLLOW entwickelt sich der Konflikt zwischen dem logisch denkenden, aber letztendlich sehr emotional handelnden Ichabod Crane und den scheinbar abergläubischen Dorfbewohnern, die in Wirklichkeit sehr materialistische Gründe zu ihrem Handeln veranlassen, zum zentralen Thema.

Irvings Vorlage handelt Burton mit einer Hommage an den SLEEPY HOLLOW-Kurzfilm der Disney-Studios ab. Der eifersüchtige Brom Van Brunt, selbstverliebter Geliebter der Dorfschönheit Cathrina (Christina Ricci), verkleidet sich eines Abends als kopfloser Reiter und jagt mit einem Kürbiskopf unter dem Arm den erschrockenen Crane durch das Dorf. Doch während bei Irving der entsetzte Crane, dem sein übertriebener Stolz, den Johnny Depp nur flüchtig aufscheinen lässt, zum Verhängnis wurde, aus Sleepy Hollow flieht, erfährt er bei Burton eine education sentimentale. Der Constable, in der Vorlage noch ein naiver abergläubischer Dorfschullehrer, überwindet sein Kindheitstrauma und gewinnt Cathrina für sich. Dorfmacho Van Brunt, bei Irving der lachende Sieger, verliert hingegen in der Mitte des Films seinen Kopf. Burton deutet die literarische Vorlage zu Gunsten des Außenseiters um. Die von einem der Dorfältesten ausgegebene Devise „seeing is believing“ wird durch Cranes Grundsatz, „Truth is not always appearance.“, korrigiert. Doch schließlich muss der dem reinen Rationalismus verpflichtete Crane, der mit seinen obskuren Untersuchungsgeräten selbst wie ein Magier und Taschenspieler auftritt, die überraschende Erkenntnis verarbeiten, dass es tatsächlich einen kopflosen Reiter gibt. In den begleitenden Rückblenden wird der hessische Söldner von Christopher Walken erbarmungslos und dämonisch dargestellt, ohne dass er dabei auch nur einmal das Wort Bembel in den Mund nehmen muss.

Bei einer erneuten nächtlichen Begegnung trifft Crane auf den echten kopflosen Hessen und fällt, als der von ihm gerade verhörte Bürgermeister überraschend enthauptet wird, in Ohnmacht. In einer der witzigsten Sequenzen des Films erklärt Crane nach seinem Erwachen den verbliebenen Dorfältesten panisch, dass es den mysteriösen Reiter wirklich gibt. Diese reagieren sichtlich verständnislos und erwidern lediglich, dass es natürlich so sei. Sie hätten doch Crane einzig und allein aus diesem Grund ins Dorf geholt. Die Auflösung der Geschichte, deren Finale sich in einer Hommage an James Whales FRANKENSTEIN in einer alten Windmühle abspielt, erfolgt dem Konflikt zwischen Aufklärung und Romantik entsprechend in einer Kombination aus Detective Story und Gothic Novel. Der Geist des kopflosen Reiters wurde von einer Person kontrolliert, die mit seiner Hilfe ganz rational ihre Widersacher in einem Erbschaftsstreit beseitigt hat.

 

Marky Mark and the Burton Bunch - Reimaging PLANET OF THE APES


Konspirativer Anrufer: “Have you heard of the PLANET OF THE APES??“

Überraschte Reaktion: “Hmmm…the movie or the planet?“

Anrufer (mit unverhohlenem Pathos): ”The brand-new multi-million dollar remake and you´re directing as the human auteur.”

Angerufener: “It was the part I was born to direct, baby.”

(frei nach Matt Groenings “Stop the PLANET OF THE APES – I want to get off!!”)


Überraschend nahm sich Burton nach SLEEPY HOLLOW des bereits seit einigen Jahren unter anderem von Oliver Stone und James Cameron vorbereiteten Remakes von Franklin J. Schaffners PLANET OF THE APES an. Die negativen Reaktionen auf den daraus entstandenen eigenwilligen düsteren Blockbuster erinnern an das Feedback auf den mittlerweile rehabilitierten ersten BATMAN vor zwölf Jahren. Hat sich der eigenwillige Popstar-Auteur an den Mainstream verkauft und die sozialkritischen Ambitionen des Originals und seiner Fortsetzungen, über die mittlerweile ganze Cultural Studies-Reader verfasst werden, verraten? Weder noch – mit der gewohnten Stilsicherheit fand Burton einen eigenen Ansatz, in dem es auf die Nuancen und nicht auf die reine Oberfläche oder den fragmentarischen Plot ankommt. Diese zeigen sich auf Grund der Dynamik und der optisch überwältigenden Oberfläche des Films nicht selten erst bei einer genaueren Betrachtung. Innerhalb einer Sequenz entwirft Burton einen umfassenden, detailverliebten Einblick in die Mikrokosmen des Affenstaats. In einer stillen Ecke rauchen die Primaten-Teens Wasserpfeife oder spielen Football. Auf den opulenten Abendgesellschaften der Affen diskutiert man eifrig über die Rechte der Menschen und ob sie eine Seele besitzen. In einem grandiosen Cameo des NRA-Oberaffen Charlton Heston greift erneut Burtons Strategie der Umcodierung. Ausgerechnet der überzeugte Waffenfetischist Heston erklärt seinem Sohn, dem aggressiven Gorillageneral Thade (Tim Roth), dass die Menschheit ihren Untergang durch den unüberlegten Gebrauch von Waffen besiegelt hätte. Anschließend übergibt er dem streitlustigen Misanthropen die wie einen heiligen Gegenstand gehütete Pistole. Überhaupt stehlen die zu Hochtouren auflaufenden Affendarsteller Tim Roth und Helena Bonham Carter ihren menschlichen Counterparts weitgehend die Schau. Als menschenfreundliche Affenwissenschaftlerin spielt Helena Bonham Carter, unterstützt von Burtons konzentrierter Inszenierung, die von Model Estella Warren farblos dargestellte Amazone mühelos an die Wand. Sie repräsentiert das eigentliche Love Interest des Hauptdarstellers Mark Wahlberg. Doch auf Grund der Beschränkungen des Blockbuster-Formats bleibt es bei einigen pointierten Andeutungen. Tim Roth als militanter Gorilla Thade reiht sich spielfreudig in die Galerie exzentrischer Burton-Schurken in der Nachfolge von Jack Nicholson und Christopher Walken ein. Trotz des effektvollen Make-Ups von Altmeister Rick Barker bleibt seine schauspielerische Arbeit in jeder Szene deutlich sichtbar.

Natürlich wäre es reizvoller gewesen, wenn Burton gleich die bei den SIMPSONS kongenial realisierte Musical-Variante des PLANET OF THE APES starring Troy „Sie kennen mich noch aus Filmen wie THE WACKIEST COVERED WAGON TRAIN IN THE WEST“ McClure umgesetzt hätte. Statt dem Ed Wood Springfields engagierte er jedoch den als Schauspieler nicht untalentierten Mark „Sie kennen mich noch aus Filmen wie BOOGIE NIGHTS und THE PERFECT STORM“ Wahlberg, formerly known as prominente Werbefläche für Unterwäsche und bekannt für schlechte, mit Prince Ital Joe und dem Funky Bunch verbrochene Teenie-Rap-Platten über das „Life in the Streets“. In seiner neu begonnenen Zweitkarriere changiert Wahlberg bisher unentschlossen zwischen solider Arbeit in BOOGIE NIGHTS und THREE KINGS und überflüssigen Rohrkrepieren wie Wolfgang Petersens THE PERFECT STORM, in dem die computeranimierten Sturmwellen den überzeugendsten Part spielten. Auch wenn Wahlberg die Intensität von Johnny Depp und Michael Keaton vermissen lässt, realisiert er seine Rolle dennoch ganz passabel. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Charlton Heston reagiert er in erster Linie auf die Ereignisse und versucht nicht sie zu beeinflussen. Wenn sich vor den Ruinen der abgestürzten Raumstation, die gewisse Ähnlichkeiten zu der im Sand begrabenen Freiheitsstatue am Ende des Originals aufweist, die Menschen versammeln, um ihren vermeintlichen Befreier zu empfangen, erinnert der sichtlich überforderte Wahlberg entfernt an Monty Pythons Brian von Nazareth. Nach einem kurzen Schlachtintermezzo in der Tradition von Stanley Kubricks SPARTACUS, das wie die Pflicht vor der Kür wirkt, landet unerwartet der lange erwartete Affen-Messias als Monkey-ex-machina und bewirkt jenen Frieden zwischen Menschen und Affen, der in der ursprünglichen Serie erst am Ende des letzten Teils eintrat.

Im Gegensatz zur  fünfteiligen PLANET OF THE APES-Serie der späten 60er und frühen 70er nimmt Burton eine weitaus desillusioniertere Perspektive ein, die sich stärker auf Details und die düstere Atmosphäre als auf gesellschaftliche Allegorien konzentriert. Obwohl für einen kurzen Augenblick die Utopie auf dem Affenplaneten Wirklichkeit wurde, besteht der Astronaut darauf durch die Zeit auf die Erde zurückzureisen. Dort findet er in einer raffinierten Wende eine Variation des ursprünglichen Romanendes und eine Gedächtnisstätte für Ape Lincoln vor.

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte Burton neulich: „Die Realität ist so ziemlich das Unwirklichste, was man sich vorstellen kann. FRANKENSTEIN erzählt mir etwas über mich selbst. Ich kann mit der Art, wie FRANKENSTEIN mit der Wirklichkeit umgeht, mehr anfangen als mit der von ON THE WATERFRONT.“ Auf raffinierte Weise reflektieren die Filme Tim Burtons in ihrem Subtext immer auch die zugehörigen gesellschaftlichen Kontexte, die sie in bildgewaltige, ambivalente Allegorien über die vom Mainstream übergangenen Außenseiter übersetzen. Burton arbeitet als ambitionierter Außenseiter nicht selten im Zentrum des Hollywood-Mainstreams selbst. Auf weitere Expeditionen zum PLANET OF THE APES will er allerdings in Zukunft verzichten. Stattdessen nahm er sich in der Romanverfilmung BIG FISH 2004 erneut der exzentrischen und verträumten Außenseiter am Rande Suburbias an. In einer Umkehrung tradierter Rollenklischees erweist sich in dieser pointierten Hommage an die Notwendigkeit des unzuverlässigen Erzählens der von Albert Finney gespielte sterbende Vater als der unkonventionelle Märchenerzähler. In Rückblenden schildert Burton die imaginäre Autobiographie des in seinen jungen Jahren von Ewan McGregor dargestellten Paradiesvogels. Mit einem ausgeprägten Hang zu einer berührenden, aber in keiner Szene kitschigen Melancholie erzählt Burton von der vorsichtigen Annäherung zwischen dem extravaganten Vater und seinem etwas verkorksten Sohn, der sich über die Jahre deutlich von ihm entfremdet hat und eine triste bürgerliche Existenz bevorzugt. In BIG FISH kombiniert Burton auf einfallsreiche Weise poetische surreale Bildwelten, die sich aus der märchenhaften Verfremdung des Alltags ergeben, mit seinen wiederkehrenden Themen. Das beeindruckende Ergebnis befördert Szenarien, wie man sie aus den Filmen Fellinis kennt, mitten ins Zentrum der amerikanischen Kleinstadt, die sich in den Filmen Burtons nie allzu weit vom nächsten düsteren Märchenwald entfernt befinden.

 

 

Filmographie:


1982
    VINCENT

1984     FRANKENWEENIE

1985     PEE WEE´S BIG ADVENTURE / PEE WEE´S IRRE ABENTEUER

1988     BEETLEJUICE

1989     BATMAN

1990     EDWARD SCISSORHANDS / EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN

1992     BATMAN RETURNS / BATMANS RÜCKKEHR

1994     ED WOOD

1996     MARS ATTACKS

1999     SLEEPY HOLLOW

2001     PLANET OF THE APES / PLANET DER AFFEN

2004     BIG FISH

 

Bibliographie:

  • Mark Salisbury: Burton on Burton, London 1995 – Tim Burton: The Melancholy Death of Oyster Boy, New York 1997 

  • Ken Hanke: Tim Burton – An Unauthorized Biography, Los Angeles 1999 – Helmut Merschmann: Tim Burton, Berlin 2000