Silent Hill
Die vier, seit 1999 veröffentlichten Videospiele der Silent Hill-Reihe gehören zu den innovativsten Vertretern des Survival-Horror-Genres. Anstelle der amüsanten, immer am Rande zum Trash entlang balancierenden Zitatcollagen der Resident Evil-Serie setzen die von der japanischen Spielefirma Konami produzierten Games auf surreale Bildwelten, subtilen Gothic Horror und ausdrucksstarke Industrial-Soundtracks, deren Komponist Akira Yamaoka auch am Film mitarbeitete. Die von ständigem Nebel umgebene verfallene Geisterstadt Silent Hill ist eine Mischung aus Twilight Zone und Fegefeuer, in dem die verlorenen Seelen irrlichternd zwischen Leben und Tod umherirren. Der auf einprägsame visuelle Einfälle spezialisierte französische Ausnahmeregisseur Christophe Gans (Le Pacte de Loupe, Frankreich 2001, Crying Freeman, Frankreich 1995) setzte sich mit seiner Begeisterung für das Spiel und einem selbst produzierten Demoband als Regisseur für die seit längerem geplante Verfilmung durch. Das Drehbuch verfasste der in Sachen Videospiele ebenfalls kenntnisreiche Roger Avary, der als Co-Autor von Pulp Fiction (USA 1994) und als Regisseur der Filme Killing Zoe (Frankreich/USA 1995) und Rules of Attraction (USA 2002) bekannt wurde.
Trotz der digitalen Vorlage ließ Ganse den Großteil der Kulissen real nachbauen und engagierte für die bizarren Ungeheuer des mysteriösen Zwischenreichs erfahrene Choreographen. Das Set Design übernahm die bei zahlreichen Filmen für den kanadischen Meister des organischen Horrors David Cronenberg tätige Carol Spier. Nicht nur in Hinblick auf das sorgfältige Production Design unterscheidet sich Silent Hill deutlich von anderen Videospiel-Verfilmungen, die sich in den schlechtesten Fällen auf ein austauschbares Produkt der das Spiel begleitenden Merchandising-Palette beschränken. Silent Hill entwickelt nicht nur wie die Resident Evil-Filme eine Parallelhandlung zum Spiel, sondern realisiert durch die Integration visueller Kennzeichen und die sorgfältig platzierten Auftritte einiger Monster aus den Games eine Erweiterung des spielerischen Kosmos, die atmosphärisch stimmig und dennoch in jeder Hinsicht eigenständig erscheint.
Die schlüssige ästhetische Verknüpfung der einzelnen Geschichten in Film und Games gelang vor Silent Hill noch keiner Videospielverfilmung. An den sehr unterhaltsamen B-Movie-Achterbahnfahrten der Resident Evil-Reihe (USA 2002/04/07) tritt im zweiten Teil zwar auch Jill Valentine, die Heldin der Spielserie, als Charakter auf, doch im Unterschied zum Spiel setzten die von Paul W.S. Anderson betreuten Filme auf ständige High Speed-Action zu einem pulsierenden Techno-Soundtrack. Die ersten drei Teile der Games-Serie griffen hingegen zwar auf Trash-Motive wie fleischfressenden Pflanzen, riesige Haie und mutierte Spinnen zurück, die auf der Leinwand schnell unfreiwillig komisch wirken würden; sie verstanden es jedoch die langsame Ausbreitung des Grauen im Stil klassischer Horrorfilme wie Night of the Living Dead (USA 1968) zu inszenieren und waren in dieser Hinsicht filmischer als die Verfilmungen selbst.
Der Silent Hill-Verfilmung merkt man im Vergleich dazu an, dass Regisseur Christophe Gans und Autor Roger Avary sorgfältig die Vorlagen durchgespielt haben. Vielleicht bietet Silent Hill mit seiner eigenwilligen Mischung aus japanischem Geisterglauben, in dem es eigenständige übernatürliche Parallelwelten gibt, und westlichem Gothic Horror, in dem die verlorenen Seelen nach Erlösung suchen, im Vergleich zur Resident Evil-Rumpelkammer aber auch einfach den spannenderen Stoff. Die an Filme von David Lynch wie Lost Highway (USA 1997) und Mulholland Drive (USA 2002) erinnernden, visuell von Francis Bacon und Hieronymus Bosch inspirierten jenseitigen Welten lassen sich auf einfallsreiche Weise um weitere Ebenen erweitern, wie es bereits in den inhaltlich eher über den Ort als über die Handlung verbundenen vier Spielen der Fall war. Ganse und Avary orientieren sich in der Gestaltung des Ambientes und der Logik der tristen Geisterstadt an den Spielen. Bizarre Gestalten wie der an einen surrealen Schlachter erinnernde Pyramid Head, die mysteriösen Krankenschwestern, die Schaben und die grotesk entstellten Untoten absolvieren kurze Auftritte im Film. Die an eine psychoanalytische Spurensuche erinnernde Dramaturgie ähnelt ebenfalls der Struktur der Spiele, in denen der Weg durch die verlassene Stadt an die Schauplätze vergessener Verbrechen und zunehmend in die Abgründe der eigenen Seele führt. Im Zentrum des Alptraums steht die Einsicht in eine verdrängte Schuld, verbunden mit einem Endgegner, der diese symbolisch verkörpert. Neben diesen strukturellen Parallelen finden sich im Film immer wieder geschickte kleine Anspielungen wie einige für das Spiel typische Kamerapositionen, der unheimliche Ascheregen oder die per Radio und Funkgerät aufgefangenen Störgeräusche aus dem Jenseits.
Die Protagonistin Rose, die ein ungeklärtes Trauma ihrer neunjährigen Adoptivtochter in das Paralleluniversum von Silent Hill geführt hat, findet im Verlauf ihrer Odyssee eine deutlich an das Gamedesign angelehnte Karte, die sie wie einen Walkthrough auswendig zu lernen versucht. Abgesehen von einer Parallelhandlung um Sean Bean, der als Roses Ehemann in der realen Welt begleitet von einem Polizisten vergeblich nach seiner verschwundenen Frau und Tochter sucht, die mehr Verwirrung stiftet, als dass sie Durchblick schafft, konzentriert sich die Erzählung ganz auf Roses Perspektive. Wie in den Videospielen bekommt der Zuschauer keinen allzu großen Wissensvorsprung vor der Protagonistin.
Während ästhetisch und dramaturgisch die Parallelen zu den Spielen betont werden, entwickelt sich die Handlung um eine fanatische Sekte und ein grausames Verbrechen an einem unschuldigen Kind unabhängig von der Vorlage. Eine wesentliche Neuerung gegenüber den Spielen besteht in der erkennbaren Unterscheidung zwischen den einzelnen Realitätsebenen, die Ganse mit Hilfe einer ausgefeilten Farbdramaturgie und in einem Fall durch den Gebrauch von grobkörnigem, an die Vorspänne der Spiele erinnerndem Filmmaterial markiert. Im Unterschied zu den Spielen, in denen es sich bei Silent Hill auch um die gestörte Wahrnehmung eines tragischen Neurotikers handeln könnte, lässt der Film keinen Zweifel daran, dass in diesem Wasteland verschiedene Wirklichkeitsebenen aufeinandertreffen.
Wie David Lynch setzt Ganse Schwarz- und Weißblenden systematisch als Stilmittel ein. Wenn die Dunkelheit über die ohnehin bereits im grauen Nebel verborgene Geisterstadt hereinbricht, verschwindet das gesamte Bild buchstäblich im Dunkel. Die treffend besetzten Hauptdarstellerinnen entwickeln beispielhaft den für neuere Horrorfilme definierenden Typus des von der Filmwissenschaftlerin Carol J. Clover analysierten Final Girls weiter. Im Gegensatz zu den stereotypen Opfern des traditionellen Horrorfilms verstehen es Rose und die sie begleitende, ebenfalls in die Welt von Silent Hill geratene Polizistin Cybill Bennett (Laurie Holden) sich als weibliche Heldinnen zu bewähren, ohne sich deshalb auf umgekehrte Klischees einlassen zu müssen. Sowohl in der Charakterisierung, als auch in der stringenten, auf plakative Effekte verzichtenden Inszenierung eröffnet Silent Hill dem auf der Stelle tretenden Horrorfilm neue Perspektiven. Ganse und Avary realisieren nicht nur einen überzeugenden Schritt in die Richtung jener multimedialen, auf Filme, Games, Romane und Comics verteilten Erzählungen, die der amerikanische Medienwissenschaftler Henry Jenkins als „Transmedia Storytelling“ bezeichnet hat. Silent Hill schafft sowohl als Videospiel, wie auch als Film einen spannenden Brückenschlag zwischen den Tendenzen des neueren japanischen Horrorkinos wie Ring (Japan seit 1998, US-Remake 2002) oder Dark Water (Japan 2002, US-Remake 2005) und der klassischen psychologisch ausgefeilten American Gothic, wie sie sich in den Hinterhöfen von Lynchville und den Romanen von Stephen King findet.