Neo-Mystizismus Overloaded
Matrix Revolutions
USA/Australien 2003, R+B: Andy und Larry Wachowski, K: Bill Pope, M: Don Davis, Sch: Zach Staenberg, D: Keanu Reeves, Laurence Fishburne, Carrie-Anne Moss, Hugo Weaving, Jada Pinkett-Smith, Start: 5.11.2003, Verleih: Warner
Durch eine für den damaligen Mainstream neuartige Kombination aus glatt
gebügeltem Cyberpunk und dynamischer Hong Kong-Action entwickelte sich THE
MATRIX 1999 zu einem Konsens-Kultfilm, für den sich Actionfans genau so wie
Akademiker begeistern konnten. Obwohl die Auflösung der Grenzen zwischen
Simulation und Wirklichkeit bereits spannender und vielschichtiger in den
Romanen von William Gibson oder den Filmen VIDEODROME (Kanada 1982) und EXISTENZ
(Kanada 1999) von David Cronenberg behandelt wurde, gelang es den
Wachowski-Brüdern diese Thematik erstmals erfolgreich ins Zentrum des Mainstream
zu befördern. Der ausgelöste Hype setzte sich nahtlos auf wissenschaftlichen
Kongressen zur „Philosophie der MATRIX“ und in zahlreichen Spekulationen über
die weiteren Teile der als Trilogie konzipierten Post-Cyberpunk-Martial
Arts-Saga fort. Poptheoretiker holten die angestaubten Bände des französischen
Simulationsphilosophen Jean Baudrillard noch einmal aus den hinteren
Bücherregalen und der von MATRIX eingeführte Zeitlupeneffekt, die so genannte
Bullet Time fand sich bald darauf in Spielen wie dem innovativen
Neo-Noir-Shooter MAX PAYNE.
Mit MATRIX RELOADED sollte im Frühjahr 2003 der sorgfältig geplante Rundumschlag
erfolgen. Die Wachowskis drehten nach dem Vorbild von Peter Jacksons LORD OF THE
RINGS-Adaption gleich zwei MATRIX-Sequels parallel und planten darüber hinaus
eine groß angelegte Marketing-Offensive, durch die MATRIX zum multi-medialen
Universum à la STAR WARS oder STAR TREK ausgebaut werden sollte. Die
Animationsfilm-Compilation ANIMATRIX präsentierte verschiedene Geschichten rund
um die Auseinandersetzung zwischen den in der archaischen Untergrundfestung Zion
verschanzten letzten Menschen und dem Maschinenimperium, das die künstlichen
Welten der Matrix kontrolliert. Für das Videospiel ENTER THE MATRIX wurden
während der Dreharbeiten zu den beiden neuen MATRIX-Teilen eigenständige
Sequenzen mit der Schauspielerin Jada Pinkett-Smith gedreht. Doch angesichts der
durch die multimedialen Ableger noch weiter gesteigerten Erwartungshaltung
gestaltete sich MATRIX RELOADED selbst relativ unspektakulär. Abgesehen von
einer aufwändigen Autojagd und einigen spannenden, aber nicht wirklich
konsequent umgesetzten Einfällen wie dem alltäglichen Surrealismus in der
Simulation, in der sich das opulente Schloss eines undurchsichtigen Schurken in
unmittelbarer Nähe zu einem Mythen umrankten Highway befindet, bot der Film
lediglich eine lose Aneinanderreihung unfertiger Ideen. Die gestelzten Dialoge
erweckten den Eindruck, als hätten die Wachowskis die zahlreichen Debatten über
die tiefere Bedeutung des Vorgängers etwas zu ernst genommen. Angesichts des
Alltags in der Untergrundstadt Zion stellte man sich erneut die im Film nicht
weiter thematisierte Frage, ob das Leben in der Matrix nicht angenehmer als in
der post-apokalyptischen Höhlenfestung ist. Zumindest wird man in dieser nicht
von monotonen Goa-Raves mit martialischen Ansprachen belästigt. Das offene Ende
des Films, das im Unterschied zu gelungenen Sequels wie THE EMPIRE STRIKES BACK
(USA 1980) oder X-MEN 2 (USA 2003) keine abgeschlossene Episode schuf, diente in
erster Linie als Teaser für MATRIX REVOLUTIONS. Alle Hoffnungen, dass die
MATRIX-Trilogie sich doch noch zu einem sinnvollen Ganzen fügen würde,
konzentrierten sich auf den ein halbes Jahr später veröffentlichten dritten
Teil. Jean Baudrillard, der sich darüber beklagte, dass die MATRIX-Filme sich
über seine Simulationstheorie lustig machen, wird nach dem Abschluss der Serie
mit MATRIX REVOLUTIONS wieder ruhig schlafen können. Die Simulation, im ersten
Teil noch zentrales Thema der Serie und im Sequel eine weitgehend ungenutzte
Möglichkeit für interessante Situationen spielt in MATRIX REVOLUTIONS überhaupt
keine Rolle mehr.
Wenn man den etwas überbewerteten ersten MATRIX noch einmal genauer betrachtet,
blockieren darin die New Age-Untertöne das innovative Potential der
Simulationsthematik. Mit MATRIX REVOLUTIONS gewinnt der platte Mystizismus um
die Erlöserrolle Neos endgültig die Oberhand und ruiniert das nicht mehr
sonderlich spannende Endspiel. Im Prinzip erreichte MATRIX 1 bereits sein
Game-Over, bevor er überhaupt in die Gänge kam. Nach dem leider alles andere als
revolutionären MATRIX REVOLUTIONS erscheinen die damals bereits eingeplanten
Sequels als Bonusspiele, die jedoch keine Vertiefung der Materie bewirken,
sondern lediglich einige nett gestaltete Zusatzlevel bieten. RELOADED lieferte
einen Nachschlag in Sachen theoretischer Überbau. Dieser fehlt weitgehend in
REVOLUTIONS, dafür wird die im zweiten Teil etwas zurückhaltende Action in der
Schlacht zwischen Menschen und Maschinen ausgiebig nachgeholt. Die Konfrontation
zwischen den Bewohnern von Zion unter der Führung von Morpheus (Laurence
Fishburne) und Niobe (Jada Pinkett-Smith) sieht aus wie die Verfilmung des
Videospiels STARCRAFT. Trotz der stereotypen Standardsituationen um einen jungen
Kämpfer, der zum Helden wird, und einen alten mürrischen General, der die
Verdienste des Nachwuchssoldaten kurz vor seinem Tod anerkennt, bilden diese
ausgedehnten Sequenzen den unterhaltsamsten Teil des Films. Neo (Keanu Reeves)
und seine Freundin Trinity (Carrie-Ann Moss), die sich durch eine göttliche
Eingebung auf den Weg in die Hauptstadt des mechanischen Feindes begeben haben,
verschwinden für fast eine Stunde aus der Handlung des Films. Nachdem sie doch
noch an ihrem Ziel angekommen sind, verliert sich MATRIX REVOLUTIONS endgültig
in peinlicher New Age-Belanglosigkeit. Während die Schlacht um Zion auf Grund
ihrer Dynamik und der gelungenen Effekte noch ein Vorbild für die nächsten, nach
der am Ende des dritten Teils eingetretenen Apokalypse angesiedelten
TERMINATOR-Filme abgeben könnte, lässt das Finale sämtliche Ansätze aus RELOADED
ungenutzt.
Die angedeutete Doppelung der Realitätsebenen nach dem Vorbild von WELT AM DRAHT
spielt keine Rolle mehr und auch Hugo Weaving als Neos sich selbst endlos
reproduzierender Gegenspieler Agent Smith taucht lediglich kurz zu Beginn und im
Finale auf, nur um sich mit Neo im strömenden Neo-Noir-Regen ein Duell der
verhinderten Superhelden zu liefern. Das ehemalige Sicherheitsprogramm, das sich
von seinen künstlichen Ursprüngen in der Matrix emanzipierte, um seine eigenen
machtbesessenen Ziele zu verfolgen, beschränkt sich einzig und allein auf die
Funktion des dämonischen Schurken, ohne dass die Figur in irgendeiner Form
weiter entwickelt werden würde. Weshalb sich Smith eine Armee von Doppelgängern
zugelegt hat, wenn er am Ende dann doch in einem einfachen Faustkampf gegen
seinen Widersacher Neo antritt, erscheint nicht nur unverständlich, sondern
gerade zu absurd, nachdem er den vorangegangenen MATRIX-Filme damit verbrachte
Ebenbilder seiner selbst zu schaffen. Sämtliche philosophischen Untertöne, die
von der Auflösung der MATRIX-Trilogie zu erwarten waren, treten in den
Hintergrund zu Gunsten einer reichlich eindimensionalen Erlösergeschichte. Im
zweiten Film kurz eingeführte, schillernde Figuren wie der zwielichtige
Merowinger und seine Frau Persephone kommen erst gar nicht dazu ihr ganzes
Potential zu entfalten. Sie treten lediglich zu Beginn von REVOULTIONS als
Herrscher einer virtuellen Unterwelt am Rande der Matrix auf. Die Dauer ihres
Auftritts fällt noch kürzer aus als in RELOADED. MAD MAX-Veteran Bruce Spence
gibt als Neuzugang eine eigenwillige Variante des Fährmanns in die Unterwelt,
der im Unterschied zu seinem Vorgänger aus der griechischen Mythologie eine
U-Bahn-Strecke kontrolliert. In diesen kurzen Szenen scheint für einen
Augenblick noch einmal das ganze Potential auf, das die MATRIX-Filme als
surreale Cyberpunk-Mythologie gehabt hätten. Der im Koma liegende Neo ist am
Anfang des Films in der U-Bahnstation dieses kauzigen Schwellenhüters gefangen.
Jedes Mal wenn er versucht diese durch einen Ausgang zu verlassen, betritt er
sie von der anderen Seite erneut, als wäre er im Labyrinth des
Videospielklassikers PAC-MAN gefangen. Doch statt diese spielerische
Herangehensweise produktiv weiter zu verfolgen, präsentieren die Wachowskis nach
dem sehenswerten Kampf um Zion ihre eigene Variante der Oberammergauer
Passionsfestspiele in den Kulissen der TERMINATOR-Filme. Neo gibt den
erblindeten Messias, der durch sein Opfer für den Frieden zwischen Menschen und
Maschinen sorgt. Der Zentralrechner der Computer mit dem nicht sonderlich
originellen Namen Deus ex Machina nimmt Neos Angebot ihn im Kampf gegen den
inzwischen die Matrix und die Menschheit bedrohenden Agent Smith zu helfen nach
kurzer Bedenkzeit an. Das Design der obersten Maschine erinnert verdächtig an
eine finstere Variante des bösen Master Control Programmes in Steven Lisbergers
TRON (USA 1982). Am Schluss raunt die Maschine, vermutlich stellvertretend für
den Zuschauer, erleichtert die Worte, „Es ist vollbracht“. Doch nicht die
Dramatik des Geschehens, die penetrant vor sich hin schmetternden Choräle oder
der sintflutartige Dauerregen verleiht der entscheidenden Konfrontation zwischen
Neo und Smith einen bedrückenden Beigeschmack, sondern die Einfallslosigkeit,
mit der das Potential einer halbwegs originellen Science Fiction-Trilogie
verschenkt wurde. Die am Ende von RELOADED angerissenen Fragestellungen um den
Architekten der Matrix, der Neo mit einer Vielzahl von Parallelwelten
konfrontierte, lösen sich im plakativen Esoterik-Kitsch auf, wenn der Architekt
in der letzten Sequenz gemeinsam mit dem aus den ersten beiden Filmen bekannten
Orakel in eine im wörtlichen Sinne strahlende neue Zukunft für die Menschheit
und die Maschinen blickt.
Selbst den für einen Blockbuster ungewöhnlichen Tod mehrerer Hauptfiguren kann
man nicht mehr sonderlich ernst nehmen, nachdem diese bereits in den beiden
Vorgängern im rotierenden System verstarben und wieder zum Leben erweckt wurden.
Besonders das Ende einer Figur, die anscheinend nur aus dem Reich der Toten
zurück geholt wurde, um noch mal etwas dramatischer zu sterben wirkt angesichts
der investierten schauspielerischen Leistung unbefriedigend. Lediglich dass sich
die afro-amerikanischen Stars Laurence Fishburne und Jada Pinkett-Smith nicht
für den gleichzeitig überladenen und dennoch erstaunlich inhaltsleeren
Erlöserkitsch hergeben müssen, sondern ihre Coolness bewahren dürfen, lässt sich
vielleicht als Neuerung im ansonsten enttäuschenden Abschluss der MATRIX
erkennen. Nach den diversen Ladehemmungen der MATRIX-Trilogie wäre es endlich an
der Zeit William Gibsons Cyberpunk-Trilogien aus den Achtziger und Neunziger
Jahren auf die Leinwand zu bringen, in denen die gleichen Themen jenseits von
plakativen New Age-Mythen verhandelt werden.