Being John Malkovich
Seinen eigenwilligen Stil demonstrierte Spike
Jonze bereits mit einigen der innovativsten Video-Clips der letzten Jahre. In
SABOTAGE jagte seine verwackelte Handkamera die Beastie Boys in einer Collage
aus Standard-Actionszenen der 1970er durch die Straßen von San Fracisco und in
Fatboy Slims PRAISE YOU vollführte eine stark beleibte Vortanzgruppe kuriose
Aerobic-Einlagen im Foyer eines Kinos. Mit offensichtlichem Spaß am durchdachten
Rollenspiel und ohne spektakuläre stilistische Tricks geht Jonze in seinem
erstem Film BEING JOHN MALKOVICH der Frage nach, was es bedeutet für fünfzehn
Minuten die Welt durch die Augen des vielseitigen Darstellers John Malkovich (u.a.
DANGEROUS LIAISONS, HEART OF DARKNESS, CON AIR) betrachten zu können. Doch der
Alltag des Stars, der in Jonzes Debüt erfolgreich mit seinem Image spielt, sieht
längst nicht so spektakulär aus, wie es sich die Stargazing-Touristen
vorstellen, die mehrere hundert Dollar löhnen, um an dem exklusiven Innenleben
teilhaben zu dürfen. Ständig wird er auf seine Rolle in "dem Film mit dem
Diamantenraub" angesprochen, obwohl er nie in einem solchen mitgespielt hat. Als
ihn ein Kellner auf seine einfühlsame Darstellung eines Behinderten anspricht,
kommen Malkovich beinahe die Tränen. Endlich jemand, der Verständnis für ihn und
sein künstlerisches Schaffen zeigt.
Das kann man von dem erfolglosen Puppenspieler Craig Schwartz (John Cusack)
nicht gerade behaupten. Der unsicher auftretende und dennoch restlos von sich
selbst besessene Künstler nimmt einen Bürojob im 7 1/2 Stock eines New Yorker
Wolkenkratzers an, nachdem er mit seinem expressiven Straßentheater bisher nur
Prügel von erzürnten Vätern bezog, die sein Puppenspiel als zu anstößig für ihre
minderjährigen Töchter empfanden. In den niedrigen Gängen des seltsamen Büros,
dessen Arbeitsbedingungen mit den ständig geduckt herumlaufenden Angestellten an
das Ministry of Silly Walks von Monty Python erinnern, entdeckt Craig eines
Abends eine versteckte Tür. Durch einen dunklen Geheimgang erhält man direkten
Zugang zum Bewusstsein von John Malkovich. Nach den Warholschen fünfzehn Minuten
Ruhm landet der Besucher unsanft auf einem matschigen Feld neben der Autobahn
nach New Jersey. Doch es bleibt nicht lange bei der ALICE IN
WONDERLAND-Allegorie. Das anfängliche Erstaunen weicht sehr schnell reinem
Kalkül. Da sich Craigs Frau Lotte (Cameron Diaz, die in ihrem
Naturkostladen-auf-Lebenszeit-Outfit kaum wiederzuerkennen ist) fast
ausschließlich um die Pflege von kranken Schimpansen in ihrer gemeinsamen
Wohnung kümmert, stellt der frustrierte Marionettenspieler seiner überheblichen
Kollegin Maxine (Catherine Keener) nach. Diese zeigt sich von seinen
gleichermaßen dilettantischen wie aufdringlichen Annäherungsversuchen alles
andere als begeistert. In einem letzten Versuch ihre Zuneigung zu gewinnen,
weiht Craig Maxine in das Geheimnis der versteckten Tür ein. Als sie den Zugang
zu Malkovichs Bewusstsein als lukrative Geschäftsidee nutzen will, lässt sich
Craig bereitwillig auf das Unternehmen ein. Obwohl er sonst übermäßig darauf
bedacht ist, sowohl beim Puppentheater, als auch in seiner Selbststilisierung
als leidender Künstler die Fäden des Geschehens zu ziehen, tanzt Craig komplett
nach Maxines Pfeife. Er wird nicht nur von ihr ausgenutzt, er lässt sich auch
noch begeistert darauf ein. Ihr gemeinsames Franchise entwickelt sich zum
einschlagenden Erfolg, bis Malkovich in Erfahrung bringt, woher die seltsamen
Stimmen in seinem Kopf kommen und darauf besteht auch einmal durch den Tunnel
ins eigene Selbst zu gehen.
Die Lage verkompliziert sich zusätzlich, als Lotte in den Körper von Malkovich
einsteigt, während Maxine diesen in der äußeren Realität gerade verführt.
Zwischen den beiden Frauen bahnt sich eine Romanze über das Medium Malkovich an.
Jonze bringt neben der Rolle des Stars, auch einige Gender-Thematiken souverän
ins Spiel, ohne dass der Film dadurch zu forciert oder überladen wirken würde.
Rasend vor Eifersucht sperrt Craig seine Frau in ihren Affenkäfig. Der
Puppenspieler ergreift komplett die Kontrolle über Malkovichs Körper und macht
ihn zu seiner Marionette. Von einem Tag auf den anderen verkündet Malkovich, er
werde in Zukunft keine Filme mehr drehen. Stattdessen will er sich (welch ein
Zufall) im Puppentheater versuchen und seine Freundin Maxine heiraten. Doch
Craig hat die Rechnung ohne Lottes Schimpansen gemacht, der sich angesichts der
misslichen Lage seiner Besitzerin in einer grandios absurden Rückblende an seine
eigene Vergangenheit erinnert und ihr zur Hilfe kommt. Das Finale steigert sich
zu einem bizarren Trip durch Malkovichs Unterbewusstsein.
In BEING JOHN MALKOVICH überbieten sich die Szenen an surrealem
Einfallsreichtum. Jonze behandelt selbst die absurdesten Einfälle als
alltägliche Selbstverständlichkeiten. Er lässt sich erst gar nicht auf das
Geheimnisvolle und Rätselhafte des 7 1/2 Stocks ein. Stattdessen präsentieren
die neuen Arbeitgeber Craig an seinem ersten Tag einen Industriefilm, in dem
eine vor Sentimentalität triefende Erklärung für die tiefer gelegte Decke
geboten wird. Stilsicher und flüssig bewegt sich die Inszenierung durch die
zahlreichen Wendepunkte der Handlung, ohne dabei ihre Stringenz zu verlieren.
Jonzes spielerischer Minimalismus bezieht neben dem originellen Drehbuch seinen
Reiz aus dem Talent seiner Darsteller. Eindeutige Identifikationsfiguren gibt es
in diesem Film nicht. Gerade indem John Cusack und Cameron Diaz stark von ihrem
gewohnten Image abweichen und Malkovich in erster Linie als neurotische
Projektionsfläche auftritt, stellt BEING JOHN MALKOVICH geschickt die Frage nach
der Bedeutung des Stars und den gezogenen Fäden, die auf der Leinwand die Bilder
zum Tanzen bringen.
(Die Kritik erschien 1999 in der Zeitschrift Splatting Image)
Weitere Filme von Spike Jonze:
ADAPTATION (USA 2002)