AndreasRauscher

Generation X'd - Die Filme von Kevin Smith

(aus Testcard Nr. 11, 2002)

 

„Verderbt ist die Kulturindustrie, aber nicht als Sündenbabel, sondern als Kathedrale des gehobenen Vergnügens."
Generation Grand Hotel Abgrund

„I am not a target market.“
Generation X

„Am liebsten wäre es mir, wenn man uns die STAR WARS-Generation nennen würde.“
Kevin Smith

 

Die Wahrscheinlichkeit heute noch auf eine Lost Generation zu treffen tendiert gegen Null. Die gegenwärtigen kulturindustriell gefertigten oder von FAZ-Feuilletonisten in mühevoller Heimarbeit im Hobbykeller gebastelten Generationen sind meistens schon benannt, bevor sie überhaupt in Erscheinung treten. Die entsprechenden Etikette Generation – hier bitte je nach Vorliebe X, Y, Golf, BMX, Golfkrieg, Me oder mir-doch-egal einsetzen – erscheinen beliebig. Das Spiel der austauschbaren Labels wäre eine an sich unterhaltsame Angelegenheit; wäre da nicht jene kleinbürgerliche Verbissenheit, die alles und jeden zur „Generation Golf“ zwangsrekrutieren will.

Statt einfach mit der dafür notwendigen Gelassenheit über Videospiele, die peinlichsten Lieblingssongs oder die im Keller ausgegrabene Playmobilsammlung zu schreiben, geht die neue deutsche Popliteratur mit ausgeprägtem Ordnungswahn und einer kaum verborgenen Aggressivität gegen längst obsolete Feindbilder zur Sache („Zigarettenselbstdreher“ als Synonym für verbitterte Alt-68´er – solche Kalauer reichen nicht einmal mehr für den Quatsch Comedy Club), als ginge es darum Gartenzwerge im mühevoll abgesteckten Pop-Schrebergarten an einem Sonntagnachmittag in Marschordnung zu bringen. Die vermeintliche „Gleichgültigkeit der Generation Golf gegen Theoriegebäude jeder Art“[i] führt am Ende dann doch nur dazu, dass „Generation Golf“-Ingenieur Florian Illies im Plural Majestatis kollektives Einverständnis mit Martin Walsers antisemitischem Keulenschwingen gegen die „Dauerrepräsentation unserer Schande“ proklamiert[ii]. Im Nachfolgeband Anleitung zum Unschuldigsein empfiehlt Illies als „Übung“ gegen mangelhaft ausgeprägten Nationalstolz auf pseudo-ironische Weise, dass man in Bundeswehrkleidung vor dem Buffet in einem italienischen Restaurant alle drei Strophen des Deutschlandlieds singen soll.

Dieser und andere Kontroversköder zur Steigerung der eigenen Popularität wären eigentlich völlig belanglos, wäre nicht die sogenannte „Generation Golf“ mitsamt „Tristesse Royale“-Anhang symptomatisch für das neu erwachte deutsche Pop-Selbstbewusstsein, in dem antisemitische Ausfälle gegen vermutlich selbstgedrehte „Moralkeulen“ wieder auf der Tagesordnung stehen. In der literarischen Golf-Inspektion werden bereits am Anfang Popmusik („statt neuer Singles gab es nur Maxi-Singles“) und Film („wenn man ins Kino ging, gab es statt neuer Filme nur neue Versionen“) unauffällig entsorgt, nur um auf den letzten Seiten des Buchs dann doch bei „Sissi“ und den „Dornenvögeln“ als „vorangekündigte Gefühlsäußerung“ außerhalb des fest geregelten Büroalltags zu landen.

Fight this Generation?? – Dieser von der Band Pavement gegen die Generation X propagierte Slogan führt nur zu einer unnötigen Aufwertung des Simulakrums „Generation Golf“. Auch das vermeintliche Ende der Spaßgesellschaft hat mit der „Generation Golf“ nichts zu tun, denn es gibt kaum etwas langweiligeres als den bemühten Hedonismus der neudeutschen Me-Generation. Wie sehen jedoch die Alternativen zur holistischen teutonischen Generationen-Hobbythek aus?

Eine davon bietet Kevin Smith. Seit fast zehn Jahren arbeitet der zwischen Mainstream und Indieszene changierende Regisseur, Schauspieler, Comic- und Drehbuchautor im provinziellen Niemandsland von New Jersey an Alternativen zum langweiligen Generations-Labeling. In seinen bisher fünf Filmen thematisiert er ironisch die Neurosen und Obsessionen der sogenannten Generation X. Im Unterschied zur neuen deutschen Popliteratur nimmt Smith die Vorlieben seiner Charaktere für Comics, Filme (vor allem die STAR WARS-Trilogie) und Musik ernst, ohne dabei den Alltag aus den Augen zu verlieren. In einer Serie von fünf Filmen, die vom Low Budget für 25.000$ produzierten CLERKS (1994) bis zur aktuellen 22 Millionen Dollar-Produktion JAY AND SILENT BOB STRIKE BACK (2001) reicht, entwarf Smith einen eigenen skurrilen Slackerkosmos, der sich über die Filme hinaus im Rahmen eigener Comicserien und auf einer Website im Internet (www.viewsaskew.com) fortsetzt. Das Bindeglied zwischen den sehr unterschiedlichen Filmen CLERKS, MALL RATS (1995), CHASING AMY (1997), DOGMA (1999) und JAY AND SILENT BOB STRIKE BACK (2001) bilden Smiths Alter Ego der wortkarge Kleindealer Silent Bob und dessen geschwätziger Begleiter Jay (Jason Mewes). Die prototypischen Slacker verbringen den Großteil ihrer Zeit vor dem Supermarkt Quickstop oder in der örtlichen Shopping Mall. Auf den ersten Blick entsprechen sie allen Erwartungen, die an die Generation X gestellt werden. Ihr Outfit, Baseball-Caps und Shorts, folgt dem Anfang der 90er gültigen Crossover-Dresscode und ihre Leidenschaft für Musik, Comics und Dope kennt man von ähnlich veranlagten Comedy-Duos, von den biederen Rockisten aus WAYNE´S WORLD bis hin zu dem in den frühen 90ern populären MTV-Dekonstruktionsduo Beavis and Butthead. Sie unterscheiden sich von diesen jedoch gravierend in ihren Vorlieben. Sie interessieren sich nicht für New Metal, sondern für die 80´er-Teeniekomödien von John Hughes (BREAKFAST CLUB). Und als ihr großes Rolemodel betrachten sie die Funkband The Time, eine Gruppe aus dem Umfeld des Symbols, das sich jetzt wieder Prince nennt, die zu den wichtigsten Wegbereitern des heutigen R´n´B zählt, aus der die Produzenten von Janet Jackson hervorgingen und die sich mit ihrem Funk-Dandyismus garantiert auf keiner Top Ten der Generation X finden würde.

Das alleine wäre noch nicht so spannend, würde Kevin Smith in seinen Arbeiten nicht immer wieder treffsichere, absurd übersteigerte Alltagsreflexionen und die kulturindustriellen Rahmenbedingungen des Slackertums genüsslich auf Kollisionskurs schicken. In CLERKS treten Jay und Silent Bob noch als einigermaßen realistische Nebenfiguren auf, die den Supermarktangestellten Randal und Dante das Leben schwer machen, vor dem Quickstop-Markt ihr Dope verkaufen und einen schwedischen Besucher zum Nachwuchs-Poser-Metalsänger ausbilden wollen (die Lyrics zu dessen einzigem Song „Berserker“ reduzieren mit wenigen Versen das Genre auf seine klischeehaften Bestandteile: „My love is like a truck – Berserker – do you wanna making fuck – Berserker.“) Im Nachfolger MALL RATS verhindern sie als comichaft überzeichnete Anarcho-Dudes eine Partnervermittlungsshow, bei der die Ex-Freundin eines der Protagonisten von ihrem Vater, einem arroganten schwerreichen TV-Produzenten, unter die Haube gebracht werden soll. Die Rolle der Superslacker führt im dritten Film CHASING AMY jedoch keineswegs zur erwarteten Routine. Stattdessen verarbeiten die Comiczeichner Holden (Ben Affleck) und Banky (Jason Lee) die beiden in einem Subplot zu einer lukrativen Cartoonserie im Stil der Freak Brothers. Für ihre kulturindustrielle Vermarktung kassieren Jay und Silent Bob gelegentlich von den Zeichnern einen Scheck. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Propheten wider Willen in DOGMA müssen sie in JAY AND SILENT BOB STRIKE BACK feststellen, dass sich ihre Verwertung in Underground-Comics in ein millionenschweres kulturindustrielles Unternehmen verwandelt hat, an dem sie keinerlei Anteile besitzen. Motiviert durch den Erfolg der real existierenden Comicverfilmung X-MEN (2000) will das ebenfalls real existierende Hollywoodstudio Miramax (das neben Quentin Tarantino auch die Filme von Kevin Smith produziert) den durch Jay und Silent Bob inspirierten fiktiven Comic Chronic and Bluntman in ein Blockbuster-Spektakel verwandeln. Als sie im Internet mit den (ebenfalls real gegen Kevin Smith geäußerten) Vorwürfen einiger Hobby-Filmkritiker konfrontiert werden, beschließt das aufeinander eingespielte Anarcho-Duo von New Jersey nach Hollywood zu reisen, um die Produktion des Films zu verhindern.

 

Auf ihre Weise funktionieren Kevin Smiths nach eigenen Drehbüchern und mit einem festen Ensemble an wiederkehrenden Schauspielern realisierte Filme als Autorenkino. Das tun sie jedoch in einer denkbar anderen Form, als es sich die Anhänger des genuinen Schöpfertums vorstellen, die Regisseure nur als Partisanen der Hochkultur wahrnehmen können. Kevin Smith zieht nicht im Alleingang mit einer camera stylo bewaffnet in den konstruierten Grabenkrieg gegen die Fluten des vermeintlich Trivialen. Stattdessen verfügen für ihn der Teenage Angst-Comedy-Chronist John Hughes, der Herausgeber der Marvel-Comics Stan Leeund George Lucas über die gleiche Relevanz wie die Indie-Ikonen Jim Jarmusch und Spike Lee. Von letzteren übernahm er in seinem Debüt CLERKS den spontanen Stil, die Vorliebe für ausgedehnte Dialoge und die Einstellung mit geringen finanziellen Mitteln einen kleinen persönlichen und realistischen Film realisieren zu wollen.

Doch im Gegensatz zu Aushängeschildern des amerikanischen Independentkinos wie Richard Linklater interessieren sich Smith und seine von Film zu Film expandierende Clique weniger für eine Poesie des Augenblicks, sondern für den gesamten Backkatalog der Kulturindustrie. Die schlecht bezahlten und ständig gereizten Supermarkt-Angestellten Dante (Brian O´Halloran) und Randal (Jeff Anderson) führen ausführliche Debatten über die Vorzüge von THE EMPIRE STRIKES BACK gegenüber der kommerziellen Muppet Show RETURN OF THE JEDI und erörtern das Schicksal von Darth Vaders namenlosen neutralen Dachdeckern auf dem noch nicht fertiggestellten, von den Rebellen in die Luft gejagten zweiten Todesstern. Filmkritiker Roger Ebert fasste die Gleichgültigkeit von Kevin Smiths Protagonisten gegenüber dem Generation X-Hype treffend zusammen: „CLERKS is so utterly authentic that its heroes have never heard of their generation. When they think of X, it´s on the way to the video store.” Genau diese von Ebert beschriebene Einstellung bringt Kevin Smith auf den Punkt, wenn Ladenhüter Randal seinen Arbeitsplatz in der an den Quick Stop-Market angeschlossenen Videothek verlässt, um in einem noch größeren Videostore Filme auszuleihen. Darin ähnelt der CLERKS-Protagonist durchaus dem Regisseur. Zwar avancierte CLERKS zu einem Prototypen des Indie Guerilla-Filmmaking in den 90´ern, doch im Unterschied zu seinen Indie-Kollegen entschied sich Kevin Smith für einen Job als Dachdecker in Hollywood.

 

Mit einem Budget von sechs Millionen Dollar realisierte er für die Universal Studios 1995 den CLERKS-Nachfolger MALL RATS, für den er sich einige Jahre später bei der Verleihung der Independent Spirit Awards öffentlich entschuldigte. Der vom Studio als kommerzielles Fiasko und von der Indieszene als Ausverkauf gewertete Film ist längst nicht so schlecht wie sein Ruf und um einiges unterhaltsamer als der etwas unentschlossene Nischen-Smash Hit DOGMA. Kevin Smith nutzte das hohe Budget für eine Hommage an die überdrehten Mainstreamkomödien von John Hughes und John Landis (ANIMAL HOUSE, BLUES BROTHERS), bei denen er sich im Abspann dafür bedankt, dass sie ihm mit ihren Filmen eine Beschäftigung für langweilige Freitag-Abende bescherten. Er vermischt die Teenager-Neurosen von Hughes mit dem destruktiven, von SATURDAY NIGHT LIVE-Stars wie John Belushi, Bill Murray und Dan Ayckroyd geprägten Anarcho-Humor von John Landis zu einem eigenwilligen Comic-Cocktail. Der Plot ist denkbar einfach. Die Nerds T.C. und Brody werden von ihren Freundinnen verlassen, weil ihr Interesse überwiegend ihren Segakonsolen und der Comicsammlung und nicht ihren fragilen Beziehungen gilt. Mit Hilfe von Jay und Silent Bob können sie doch noch das Blatt wenden und ihre Freundinnen vor einem brutalen Herrenboutique-Yuppie-Angestellten (Ben Affleck vor seiner Hollywood-Karriere), bzw. vor einer biederen Herzblatt-Show voller Generation Golf-Schnösel retten.

Als Schauplatz dient nicht mehr der karge Vorort-Supermarkt aus CLERKS, sondern dem Steigerungsbedürfnis gängiger Sequels entsprechend eine mit allen Finessen ausgestattete Shopping Mall. Die Gegenspieler beschränken sich diesmal nicht mehr wie in CLERKS auf Kaugummiverkäufer, die Tabakhändler als Handlanger des Todes überführen wollen, oder auf penetrante Kunden, die in einem Stapel von Eierschachteln stundenlang nach dem perfekten Dutzend suchen. Die Feindbilder, vom gehässigen TV-Produzenten (Michael Rooker aus HENRY-PORTRAIT OF A SERIAL KILLER) bis hin zum streitlustigen Security-Chief, entsprechen auf unterhaltsame Weise den Stereotypen der fiesen Schuldirektoren, wie man sie vielleicht aus den John Hughes-Filmen kennt und wie sie sich bis heute bei den SIMPSONS in Gestalt von Hausmeister Willie oder Oberschulrat Chalmers finden. Die Konventionalität der 80´er-Komödien wie FERRIS BUELLER`S DAY-OFF (Ferris macht blau) wird in MALL RATS zum bewusst eingesetzten Stilmittel.

Dabei gelingt Smith in einigen Szenen genau jene Poesie des Augenblicks, die seinen nächsten Film CHASING AMY prägt und die er in CLERKS systematisch vermied. Comicfreak Brody wird aus seiner Lethargie gerissen, indem ihm der Spiderman-Erfinder Stan Lee einen romantischen Vortrag über die eine große Liebe hält, die er verloren hat und die durch keinen Comic ersetzt werden könne. Einen Augenblick später erweist sich die spontane education sentimentale als gezielte Aktion, die durch die Initiative von Brodys Freund T.C. zustande kam. Stan Lees Monolog über die Marvel-Helden als Metapher für verletzte Teenager-Gefühle stammte in Wirklichkeit aus einer alten Spiderman-Ausgabe.

Wahrscheinlich war Kevin Smith mit MALL RATS seiner Zeit voraus. Das entsprechende 80'er-Revival, das MALL RATS zum begleitenden Midnight-Movie gemacht hätte, setzte erst einige Jahre später ein. Smith bezeichnete MALL RATS im Nachhinein als „six-million dollar casting call“ für den nächsten Film CHASING AMY, seine bisher vielschichtigste und interessanteste Arbeit.

 

Die Hauptrollen besetzte Smith mit Joey Lauren Adams, Jason Lee und Ben Affleck, die bereits in MALL RATS mitwirkten. Im Gegensatz zu seinen späteren Rollen in den Hollywood-Blockbustern ARMAGEDDON und PEARL HARBOR, in denen Affleck wieder ähnlich affektiert und gelackt in Erscheinung tritt wie als karikaturhaft überzeichneter Boutiquenschläger in MALL RATS, erweist er sich in CHASING AMY als subtiler und einfühlsamer Schauspieler. Dieser Effekt ergibt sich in erster Linie daraus, dass er stellvertretend für den Regisseur ausagiert, wie der in CLERKS und MALL RATS etablierte Nerd-Kosmos an seine Grenzen stößt. Der von Affleck dargestellte Zeichner Holden verliebt sich auf einer Comic-Convention in die lesbische Underground-Cartoonistin Alyssa (Joey Lauren Adams). Entgegen aller Erwartungen ihres jeweiligen Umfelds finden die denkbar unterschiedlichen Charaktere zueinander. Holdens bester Freund und Geschäftspartner Banky (Jason Lee) versucht mit homophoben Ausfällen gegen Alyssa seinen mühsam aufgebauten Jungsclub zu verteidigen. Doch weder Bankys Eifersucht, noch Holdens anfängliche Naivität können die Beziehung gefährden. Dass die Romanze letztendlich scheitert, liegt an Holdens Unfähigkeit mit von Banky systematisch ausgegrabenen Affären aus Alyssas weit zurückliegender High School-Zeit umzugehen. Durch penetrante Küchenpsychologie und dem verletzenden Insistieren auf der überflüssigen Klärung längst abgeschlossener Kapitel aus Alyssas Vergangenheit zerstört Holden schließlich sowohl das gerade erst begonnene Verhältnis als auch seine Freundschaft mit Banky. Der wieder als Low Budget-Film realisierte CHASING AMY stellt mit seinen ambivalenten Charakteren und der tragikomischen Handlung einen offensiven persönlichen Gegenentwurf zum sterilen Mainstream-Beziehungskitsch der Tom Hanks / Meg Ryan-Filme dar. Kevin Smith strebt keine falsche Versöhnlichkeit an. Komödie und Drama ergänzen sich gegenseitig. Jay und Silent Bob bewegen sich in einer stark reduzierten Rolle auch in diesem filmischen Kosmos und liefern die Vorlage zu den Comics von Banky und Holden. Während eines Treffens beginnt der ansonsten nur eine Dialogzeile pro Film sprechende Silent Bob angesichts von Holdens emotionaler Krise über seine eigenen gescheiterten Beziehungen zu berichten. Er erweist sich als sensibler Beobachter, der einiges zu erzählen hätte, wenn er nicht ständig im Schatten seines geschwätzigen, auf unfreiwillig komische Macho-Routinen fixierten Begleiters Jay stehen würde.


Kevin Smith widmet sich ausgiebig seinen Nebenfiguren und diese Sorgfalt beschränkt sich nicht auf sein eigenes Alter-Ego. Der in drei längeren Sequenzen auftretende afro-amerikanische Comiczeichner Hooper X zählt zu seinen interessantesten und originellsten Figuren. Der homosexuelle farbige Cartoonist repräsentiert „eine Minderheit in der Minderheit“. Um dem latent homophoben afrozentrischen Diskurs zu entsprechen, tritt er jedoch auf den Comic-Conventions als kämpferischer, gängigen Männlichkeitsmythen entsprechender militanter Aktivist auf, der Vorträge über die Machenschaften des weißen Antichristen hält und STAR WARS-Held Lando Calrissian als „House Nigga“ des „arischen Bauernjungen“ Luke Skywalker entlarvt. Durch seine oberflächlich betrachtet als Political Incorrectness erscheinende polemische Haltung, erweist sich Kevin Smith als realistischer und politisch korrekter als einige seiner Kollegen.


Ähnlich wie in den Filmen von Spike Lee akzentuiert er die Widersprüchlichkeiten seiner Protagonisten, ohne für diese eine Lösung anzubieten. Die Ironie seiner Dialoge dient dabei nicht der billigen Affirmation, sondern benennt in CHASING AMY genau jene Sackgassen, in die sich andere Vertreter der Generation X bereitwillig stürzen, ohne diese überhaupt als solche zu erkennen. In dieser Hinsicht erweist er sich als produktiver und interessanter als die auf Allgemeinplätze abonnierten Generation X-Ikonen Douglas Coupland und Bret Easton Ellis. Gerade in Rückblick auf CHASING AMY scheinen die von der amerikanischen Gay and Lesbian Alliance Against Discrimination (GLAAD) erhobenen Vorwürfe gegen die vermeintliche Homophobie in Kevin Smiths Filmen das falsche Ziel ausgesucht zu haben. In diesem Fall wird das Symptom und nicht die Ursache bekämpft. Kevin Smith entlarvt gerade in der Charakterisierung von Figuren wie Banky Homophobie als jene beschränkte dümmliche Ignoranz, die sie im leichtfertigen Gebrauch von Worten auch ist. Letztendlich erweist sich Kevin Smith als weitaus politisch korrekter als es einige seiner Kritiker vermuten würden (was sich gerade an dem etwas formelhaften DOGMA zeigt, in dem Alanis Morrissette als Gott auftritt und in dem der afro-amerikanische Komiker Chris Rock die These belegt, dass Jesus schwarz war). Die Sympathieträgerin in CHASING AMY ist nicht zuletzt durch die überzeugende schauspielerische Leistung von Joey Lauren Adams eindeutig die bisexuelle Comiczeichnerin Alyssa. Dass ihre Beziehung zu Holden scheitert liegt nicht ihr, sondern an dessen unbeholfener Ignoranz.

Erkundete Kevin Smith in CHASING AMY noch auf undogmatische Weise die Grenzen des eigenen Nerd-Kosmos, begab er sich mit DOGMA auf eine schmale Gratwanderung zwischen seinem vertrauten Anarcho-Humor und theologischem Diskurs-Blockbuster. Motiviert durch die Erkenntnis, dass es an der High School von Shermer, Illinois, Schauplatz des Films BREAKFAST CLUB, zwar zahlreiche Parties, aber keine Dealer gibt, machen sich Jay und Silent Bob auf den Weg, um diese Marktlücke für sich zu nutzen. Leider müssen sie feststellen, dass dieser Ort lediglich eine Erfindung des Regisseurs John Hughes war, und so landen sie unerwartet in einem Konflikt von biblischen Ausmaßen. Sie begleiten die Protagonistin Bethany (Linda Fiorentino, die es sichtlich genießt einmal nicht die Neo Noir-Femme Fatale spielen zu müssen) in einen Kampf zwischen Himmel und Hölle, der natürlich Anlass für zahlreiche komische Dialoge über Gott und die Welt bietet. DOGMA bewegt sich etwas unentschlossen zwischen einer polemischen Religionssatire in der Tradition von Garth Ennis' PREACHER-Comics (für die Kevin Smith das Vorwort verfasste), einem an Douglas Adams orientierten Hitchhiker´s Guide to Feierabend-Katholizismus und effektgeladenem Spektakel. Wahrscheinlich wäre eine Umsetzung der ausufernden Geschichte mit ihren zahlreichen Charakteren als epische Comic-Serie effektiver gewesen. Immer wieder wird deutlich, dass Kevin Smith sich lieber ausführlicher den skurrilen Diskussionen zwischen übernatürlichen Mächten und gestrandeten Slackern widmen würde, als der Stringenz des Plots folgen zu müssen. Zumindest dürfte DOGMA der einzige Film sein, in dessen Special Thanks sich sowohl Douglas Adams, Martin Scorsese, Spike Lee und Quentin Tarantino, als auch Nikolas Kazantzakis (Autor der Romanvorlage zu Scorseses THE LAST TEMPTATION OF CHRIST), Cervantes, John Milton und die vier Apostel finden. Natürlich kann die drohende Apokalypse verhindert werden und so steht dem Abschluss der CLERKS-Saga in einem fulminanten Comic-Feuerwerk nichts mehr im Weg.

 

Das Road-Movie JAY AND SILENT BOB STRIKE BACK führt fast alle Protagonisten der vorangegangenen Filme zusammen. Kevin Smith präsentiert darin die Kulturindustrie als ein einziges Irrenhaus im Stil der ersten SATURDAY NIGHT LIVE-Generation um John Belushi, Dan Ayckroyd und Bill Murray. Holden aus CHASING AMY lästert über den Erfolg der Hollywood-Nachwuchsstars, zu denen sein Darsteller Ben Affleck selbst zählt. Im Finale des Films tritt Affleck schließlich als er selbst auf und versucht seine Rollen in ARMAGEDDON und PEARL HARBOR am Set von GOOD WILL HUNTING 2 zu rechtfertigen. Horror-Altmeister Wes Craven verwandelt die Dreharbeiten zu einer neuen SCREAM-Folge im wahrsten Sinne des Wortes in ein Affentheater und die Helden um den geisterjagenden Cartoon-Köter Scooby Doo lassen sich von Jay und Silent Bob zum Dopekonsum verleiten. Chris Rock stellt als Regisseur angesichts eines Laserschwert-Gefechts zwischen Mark „Luke Skywalker“ Hamill und Silent Bob vor bonbonfarbener Comickulisse fest, dass dafür garantiert jemand von George Lucas verklagt werden wird (die Anwälte der 20th Century Fox werden diesem Wunsch, wenn sie mit allen laufenden SIMPSONS-Prozessen fertig sind, sicher gerne nachkommen). JAY AND SILENT BOB STRIKE BACK verwandelt den CLERKS-Kosmos in einen Flying Circus in der Tradition der Monty Python-Filme. Das Ergebnis wirkt trotz aller Insider-Gags, der Seitenhiebe auf das aktuelle Filmgeschehen im Stakkato-Tempo und der Anspielungen auf die eigenen Vorgänger nicht überladen, sondern bildet einen konsequenten Abschluss der Serie. Die vorhersehbare Kritik an JAY AND SILENT BOB nimmt Kevin Smith gleich selbst vorweg. Auf gefaketen Websites, die auch im Film selbst auftauchen, ließ er Jay und Silent Bob als „third rate Cheech and Chong“ beschimpfen und rief im Namen eines fiktiven Gralshüters der Filmkunst zum Boykott des eigenen Films auf. Strategien dieser Art könnten auch aus der Werkstatt von Malcolm McLaren stammen. In der letzten Sequenz des Films kommen die Protagonisten der früheren Smith-Filme enttäuscht aus der Premiere des Jay und Silent Bob-Vehikels und artikulieren sämtliche Kritikpunkte, die nach dem Start des Films dann auch direkt in den realen Kritiken auftauchten – besser als MALL RATS, aber nicht subtil genug, flacher Hollywood-Mainstream mit berechenbaren Gags. Am Ende feiert Kevin Smith als Silent Bob gemeinsam mit Jay zu den Funk-Grooves von The Time den Abschluss der Serie. Dass die nach ihren Auftritten in den Prince-Filmen in der Versenkung verschwundenen The Time endlich einmal nicht die fiesen Schurken spielen müssen, die den leidenden Artist Formerly Known as Prince quälen, erinnert in der konsequent ausgespielten Sympathy for the Second Best schon fast an die Serien von Matt Groening. Bevor das CLERKS-Universum weiter stagnieren konnte, sorgte Kevin Smith selbst für dessen Implosion. In seinen nächsten Projekten will er zwar weiterhin mit dem gleichen Ensemble arbeiten, doch Jay und Silent Bob treten mit diesem Film den verdienten postpubertären Pop-Ruhestand an.

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[i] Florian Illies, Generation Golf. Frankfurt am Main, S. 19

[ii] ebd. S.175