Die 36 Kammern der Pulp Poesie
Kill Bill Volume 1
Lange Zeit war es still geworden um Quentin Tarantino, den ehemaligen Shooting
Star einer neuen selbstbewußten Pop-Cinephilie, die sich sowohl für Jean-Luc
Godard, als auch für die Geschichte des Exploitationkinos begeistern konnte.
PULP FICTION (USA 1994) avancierte in den frühen Neunzigern zum Crossover-Erfolg
par excellence. Von den Feuilletons bis hin zu den unterschiedlichsten
Zuschauergruppen zeigte man sich davon begeistert, dass die reichlich stagnierte
Postmoderne mit Hilfe des ausgestellten coolen Wissens des Regisseurs noch
einmal zu ungeahnter Hochform auflief. Doch schon bald bereiteten die
zahlreichen ermüdenden Imitationsversuche und omnipräsenten zotigen Querverweise
auf vermeintliche Tarantinoismen dem Spaß ein vorzeitiges Ende.
Tarantino selbst beförderte sich 1997 mit der Blaxploitation-Hommage JACKIE
BROWN erfolgreich aus der selbst geschaffenen Sackgasse. Er enttäuschte auf
äußerst produktive Weise die allgemeinen Erwartungen in unterschiedlicher
Hinsicht. Die kultindustrielle Verwertbarkeit des Films hielt sich im
Unterschied zum Fun-Splatter FROM DUSK TILL DAWN (USA 1996) in Grenzen und
Hochkulturpartisanen, die sich bereits darauf freuten ihn mal wieder
geschmäcklerisch als postmodernen Zyniker entlarven zu können, fanden keine
geeignete Angriffsfläche. Stattdessen demonstrierte Tarantino mit diesem Film,
dass er seine Ansätze ernst nimmt.
Schauspielerisch bietet er Außenseitern wie B-Picture-Ikone Pam Grier
Gelegenheit sich eindrucksvoll in Szene zu setzen. Die sorgfältige
Zusammenstellung seiner Soundtracks gestaltet sich zugleich als Archivarbeit in
Sachen Popgeschichte. Die zahlreihen visuellen und narrativen Zitate
funktionieren, wie einige Kritiker treffend bemerkten, wie die Remixes eines DJs,
der aus Querverweisen neue Stücke und Zusammenhänge erstellt. Tarantino hat mit
seinen Arbeiten eine eigenwillige Kombination aus Arthouse und Bahnhofskino
geschaffen, die sich nicht mit selbstgefälligen Spielereien und
Nerd-Insiderwissen zufrieden gibt, sondern versucht das Publikum durch
popkulturelle Übersetzungsarbeit für die Hinterhöfe und Seitenarme der
Filmgeschichte zu begeistern. Nachdem er in JACKIE BROWN das Erbe der
Blaxploitation verhandelt hat, nimmt er sich mit dem in zwei Hälften geteilten
KILL BILL den asiatischen Pulp-Rachedramen an. Den passenden musikalischen
Wegbegleiter durch die filmischen Kammern der Shaw Brothers aus Hong Kong und
die stilisierten Samurai-Welten der japanischen OKAMI-Serie (Japan 1972) fand
Tarantino in RZA. Als Produzent und Rapper gestaltet dieser seit zehn Jahren die
stark an Kung-Fu-Filmen orientierten Soundscapes des New Yorker Hip
Hop-Kollektivs Wu Tang Clan. Die beiden erklärten Martial Arts-Fans schufen eine
musikalische Collage, die in ihren unterschiedlichen Elementen von Nancy Sinatra
über Wu Tang-Rap-Songs bis hin zu Italo-Western-Scores der narrativen Struktur
des Films entspricht.
Die ursprünglich geradlinige Rachegeschichte um eine auf brutalste Weise von
ihren ehemaligen Kolleginnen verratene Auftragskillerin setzte Tarantino wie
eine in diverse Episoden aufgeteilte Comicserie um. Die Yakuza-Anführerin O-Ren
Ishii bekommt eine eigene Origin Story, die nicht viel mit dem zentralen Plot zu
tun hat. Diesen, wie ein Sonderheft zu einer fortlaufenden Reihe eingefügten
Exkurs realisierte Tarantino als Anime. Der in KILL BILL äußerst tödliche
Charlie's Angel Lucy Liu wurde als O-Ren Ishii geschickt gegen den von ihr
gewohnten Typ besetzt. RZA sinniert auf dem Soundtrack über ihre "sinister cat
eyes", die nicht gerade dem Bild einer unterkühlten Mörderin entsprechen.
In KILL BILL bewegt sich Tarantino im Grenzbereich zwischen stilisierter
Melodramatik und ironischer Übersteigerung. Einige Sequenzen wirken wie eine
Kombination aus der wuchtigen Melancholie John Woos und der Absurdität von Monty
Pythons schwarzem Ritter, der selbst nachdem er sämtlich Gliedmaßen verloren hat
nicht aufgeben will. Dass diese riskante Gratwanderung sehr überzeugend gelingt,
liegt an der Ernsthaftigkeit, mit der Uma Thurman ihre Rolle gestaltet und an
der stringenten Inszenierung. Auf seine charakteristischen Dialoge verzichtet
Tarantino in der ersten Lieferung von KILL BILL weitgehend und konzentriert sich
ganz auf das perfektionierte Zusammenspiel von Kamera, Schnitt und Musik. An
stelle von digitalen Effekten, verwendet er bewusst die gleichen billigen Tricks
wie die Bahnhofskinoepen der Siebziger. Trotzdem beschränkt er sich nicht auf
eine ironische Trash-Hommage, sondern verleiht dem systematischen Wechselspiel
aus grotesk brutalen Absurditäten und tragikomischem Pathos eine beinahe
abstrakte Qualität. Wenn sich Thurmans Rächerin und Lius Yakuza-Schwertkämpferin
vor einem blauen Vorhang wie im japanischen Schattentheater und anschließend in
einer an artifizielle Studiokulissen erinnernden Schneelandschaft duellieren,
gelingen Tarantino Augenblicke einprägsamer Pulp-Poesie, wie man sie sowohl in
den häufig berechenbaren Arthouse-Allgemeinplätzen, als auch im vor lauter
Beschleunigung stagnierten Popcornkino kaum findet. Die von Tarantino betriebene
Implosion der Genres führt zu fragmentarischen Intensitäten, die den
Zirkelschluss des reinen Zitatkinos durchbrechen und damit neue Anfänge
ermöglichen, statt sich mit inzwischen billig zu habenden Endspielen zufrieden
zu geben.