VERSCHWENDE DEINE JUGEND und LIEGEN LERNEN
Nicht nur Feuilletons und öffentlich rechtliche Kulturmagazine haben in diesem Sommer ihr Interesse an der schon eine ganze Weile in den unterschiedlichsten Formen anhaltenden Retrowelle entdeckt. Diese hat momentan mal wieder die 80er Jahre erreicht – in verklärender, inhaltsleerer und humorlos langweiliger Form in Gestalt der Generation Golf, deren von jeglichen Pop-Inhalten bereinigtes Popliteratur-Zwangsrekrutierungsprogramm zur verkrampft selbstironischen Biedermeier-Tristesse gerade in die zweite Runde gegangen ist. Bezeichnenderweise kommen in der Generation Golf wesentliche Strömungen der 80er zwischen postmoderner Überaffirmation und nuklearer Paranoia gar nicht erst vor. Dafür gibt es Appelle an ein neues Nationalbewusstsein im Plural Majestatis und seitenlange Polemiken gegen längst nicht mehr relevante Feindbilder. Jenseits der bereits im ersten Teil nicht sonderlich spannenden neokonservativen Reflexionen über Nutellagläser, die Walsersche „Dauerrepräsentation unserer Schande“ und „angekündigte Gefühlsäußerungen“ bei Sissi und den Dornenvögeln ereigneten sich in Zusammenhang mit dem 80er-Revival jedoch auch einige interessante Entwicklungen. Jürgen Teipels Dokuroman Verschwende Deine Jugend montierte als eine Art deutsches Äquivalent zu Jon Savages England’s Dreaming aus zahlreichen Interviews eine Oral History der frühen, wesentlich von Punk beeinflussten Neuen Deutschen Welle. Die darin in zentralen Rollen auftretenden Bands Fehlfarben und die Deutsch-Amerikanische-Freundschaft (DAF) setzten mit neuen Platten ihre eigene von Teipel dokumentierte Geschichte fort und sogar Diedrich Diederichsens Buch Sexbeat, in den 80ern das Manifest der poplinken Postmoderne, wurde nach Jahren neu aufgelegt. In etwas polierter Form hat das Revival mittlerweile den Weg auf die Leinwand gefunden. Die Filme VERSCHWENDE DEINE JUGEND und LIEGEN LERNEN befassen sich auf ihre jeweils eigene Art mit der Zeit von NDW und Nato-Doppelbeschluss.
Verschwende Deine Jugend
In den frühen 80er Jahren war die NDW-Band Deutsch-Amerikanische-Freundschaft der Schrecken aller Sozialpädagogen. Heftige Debatten wurden über den provokanten Elektro-Kontroversköder-Hit „Tanz den Mussolini“ geführt. Dass es sich dabei in erster Linie um ein gezieltes Spiel mit Oberflächen und deren Austauschbarkeit handelte, galt zum damaligen Zeitpunkt noch nicht als poststrukturalistische Binsenweisheit. Mittlerweile lobt sogar die der Poplinken gegenüber nicht immer sonderlich aufgeschlossene Zeitschrift Konkret die von DAF geleistete Dekonstruktion durch Überaffirmation. Am deutlichsten zeigt sich diese Neubewertung jedoch in Benjamin Quabecks VERSCHWENDE DEINE JUGEND, der wie Jürgen Teipels Punk-Chronik nach dem gleichnamigen DAF-Song benannt wurde. Statt die Parallelen zum erfolgreichen Buch weiter zu verfolgen, entwickelt der Film eine eigenständige NDW-Phantasie, die in ihrer Struktur und den zentralen Protagonisten an die traditionellen Muster zahlreicher Rock’n’Roll-Filme von ROCK’N’ROLL HIGH SCHOOL bis WAYNE’S WORLD erinnert. DAF, zum Zeitpunkt der Filmhandlung bereits auf die Kernbesetzung aus Gabi Delgado und Robert Görl reduziert, treten im Gegensatz zu ihrem damaligen Bad Boy-Image als die etwas planlosen, von talentierten Nachwuchsschauspielern dargestellten Good Guys in Erscheinung, die unfreiwillig der erfolglosen fiktiven Münchner NDW-Band Apollo Schwabing zur Hilfe kommen. Für die von Teipel thematisierten Diskurse, die widersprüchlichen Ansätze der involvierten Szenen und deren gesellschaftliche Zusammenhänge interessiert sich VERSCHWENDE DEINE JUGEND nicht wirklich. Im Gegenteil macht sich der Film in Gestalt des von MTV-Moderator Christian Ulmen dargestellten Pop-Papst Wieland Schwartz ausgiebig über die aus Zeitschriften wie Spex und Sounds bekannte Diskurs-Hipness lustig. Die Rolle des polemischen Kritikers, der eine Kombination aus den realen Vorbildern Kid P und Diedrich Diederichsen darstellt, erschöpft sich in der Karikatur eines austauschbaren Snobs, der sich den aufstrebenden Musikern von Apollo Schwabing und deren engagierten Manager Harry mit zynischen Verrissen in den Weg stellt. Der Konflikt Harrys gestaltet sich sehr traditionell und könnte in dieser Form auch in jeder anderen Phase der Popgeschichte vorkommen. Tagsüber arbeitet er als Angestellter in einer Sparkasse, während er sich nachts aufopferungsvoll um die noch nicht wirklich in die Gänge gekommene Karriere seiner NDW-Freunde kümmert. Aus reiner Verzweiflung kündigt er ein DAF-Konzert im Münchner Zirkus Krone an, bei dem Apollo Schwabing als Vorgruppe auftreten soll. Die vermeintlichen Headliner, die neben den Fehlfarben zu den Aushängeschildern der Düsseldorfer Szene um den Ratinger Hof zählten, wissen jedoch noch gar nichts von ihrem neuen Engagement. Es folgt die zu erwartende Serie von allen denkbaren Komplikationen, vom Beziehungsstress zwischen Bassistin und Sänger innerhalb der Band über die mangelnde Bereitschaft DAFs sich auf den nach ihren Maßstäben nicht lukrativen Gig einzulassen bis hin zu Harrys Überfall auf die eigene Sparkassenfiliale, mit dem er im letzten Moment doch noch das Konzert finanzieren will.
Während die frühe Neue Deutsche Welle mit kreativer Destruktivität die gezielte Auflösung musikalischer Klischees und Wertvorstellungen betrieb, verlässt sich das von dem früheren Palais Schaumburg-Mitglied Ralf Hertwig mitverfasste Drehbuch überwiegend auf eine tradierte Dramaturgie. Der überraschungsarme Ablauf der Ereignisse entspricht streng den von Drehbuch-Gurus wie Syd Field und Robert McKee vorgeschriebenen Mustern, ohne dass daraus eine der dargestellten Zeit entsprechende Feier der Oberflächlichkeit entstehen würde. Das Zeitkolorit beschränkt sich überwiegend auf perfektioniertes Ambiente. Selbst interessante Ansätze wie die Verlagerung des Handlungsorts von den NDW-Zentren Düsseldorf, Berlin und Hamburg nach München, das zu diesem Zeitpunkt lediglich gemütlich rockende Skandale im Sperrbezirk aufweisen konnte, werden nicht wirklich genutzt.
Dass der Film dennoch im Vergleich zum Gruselkabinett der handelsüblichen deutschen Komödien einen positiven Eindruck hinterlässt, liegt an der Souveränität der Darsteller und der Inszenierung. Die Schauspieler und der Regisseur realisieren die vorhersehbaren Wendungen der Handlung mit einer Professionalität, die das drohende Klischee erfolgreich überspielt. Gerade in der ironischen Darstellung von DAF, die jene durch Teipels Buch wieder reanimierten Mythen um Sex, Drugs und Synthie-Beats konterkariert, gelingen Quabeck einige witzige unprätentiöse Szenen. Auch wenn VERSCHWENDE DEINE JUGEND das erwartete filmische NDW-Portrait nicht wirklich realisiert, als sympathischer, etwas berechenbarer Genrefilm funktioniert er ohne weiteres. Damit bietet er zumindest die lange überfällige Alternative zum filmischen Mainstream-Erbe der Post-NDW. Dieses hieß „Gib Gas, ich will Spaß“, in dem sich die NDW-Epigonen Nena und Markus zu kleinen, brennenden Taschenlampen als Neuauflage von Conny und Peter betätigten, und wäre höchstens ein Fall für die Generation Golf.