AndreasRauscher

Scheitern als Chance - Die Filme John Carpenters

HALLOWEEN '98 - Michael Myers postmoderne Geburtstagsparty

 

Seit Ende Oktober macht der unzerstörbare Michael Myers in HALLOWEEN - H20 wieder die Leinwände unsicher, diesmal unter der unerwarteten Mithilfe Jamie Lee Curtis, die nach dem zweiten Teil 1982 bereits die Serie verlassen hatte. Das Ergebnis unter der Regie des FRIDAY THE 13th-Veteranen Steve Miner fiel unterhaltsamer und intelligenter aus als erwartet. Die zwischen Hommage und Wiederbelebungsversuch pendelnde filmische Geburtstagsparty, besetzt mit prominenten Gästen wie dem Rapper LL COOL J und dem PSYCHO-Opfer Janet Leigh, erweist sich als durchaus verständliches Unternehmen: Wenn die Horrorfreaks in Wes Cravens SCREAM mit Einzelbildschaltung über die Spielregeln im Original-HALLOWEEN von 1978 fachsimpeln können, und dann selbst noch nicht einmal der erfahrenste aller Geeks bemerkt, daß er sich gerade in der gleichen, ihm scheinbar so vertrauten, Situation wie die Heldin Laurie Strode befindet, dann hat die ehemalige Scream-Queen und Laurie-Darstellerin Jamie Lee Curtis definitiv das Recht sich in die Debatte um das Erbe des klassischen Slasherfilms einzumischen. Mit Hilfe des SCREAM-Autoren Kevin Williamson erwies sie sich als treibende Kraft hinter HALLOWEEN H20, der aus weiser Voraussicht auf die Ziffer Sieben hinter dem Titel verzichtete.

In HALLOWEEN H20 haben die Spielregeln des Genres den gleichen Referenzcharakter wie die zahlreichen Bezüge und Zitate in den Halloween-Episoden der SIMPSONS, bei denen Homer Simpson ohne weiteres die gefährlichen, DNA-vermischenden Materietransmitter aus David Cronenbergs THE FLY-Remake (1986) als einfaches Mittel verwenden kann, um schneller Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Daß zugleich die Katastrophe aus dem Vorbild - die Entstehung eines Fliegenmonsters durch Genvermischung  (in diesem Fall Bart Simpson) eintritt - stört Homer reichlich wenig, und auch das postapokalyptische Szenario einer Neutronenbombenexplosion dient Homer lediglich als Anlaß endlich mal ein ganzes Kino für sich alleine zu haben. Die gleiche Gelassenheit dominiert immer stärker in den seit SCREAM boomenden, selbstreferentiellen Genrefilmen. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit bis sie sich zum Zirkelschluß entwickelt (die Simpsons natürlich ausgenommen).

Doch während Wes Craven, Jamie Lee Curtis, Kevin Williamson und Steve Miner das große Genre-Zitatspiel zwischen schenkelklopfender Auflösung und reflektiertem Neuanfang abfeiern, sticht die Abwesenheit eines Regisseurs ins Auge: Michael Myers-Erfinder John Carpenter hat sich nach dem dritten HALLOWEEN -  SEASON OF THE WITCH (1984) aus der Serie verabschiedet. In seinen letzten beiden Filmen ESCAPE FROM L.A. (1996) und VAMPIRES (1998) bewegt er sich in den Ruinen des Genrekinos, als dessen innovative Hoffnung er in den 70er Jahren gefeiert wurde. Statt mit süffisanter tongue in cheek-Haltung ein Comeback á la Craven zu versuchen, setzt er auf postklassisches Krisenmanagement auf der Suche nach einem Ausweg aus der Stagnation.

Carpenter, der mit Klassikern wie ASSAULT ON PRECINCT 13 und dem ersten HALLOWEEN sich als Meister der minimalistischen Suspense etablierte, hat im Verlauf seiner bereits fünfundzwanzig Jahre umfassenden Karriere Höhen und Tiefen der Arbeit als Genreregisseur mit einer eigenen Vision kennengelernt. Als Auteur, der zugleich auch sein eigener Realisateur ist, sucht er immer wieder nach der richtigen Form im Falschen. Obwohl er als Regisseur, Drehbuchautor und Komponist in Personalunion die Idealvorstellungen des  europäischen Autorenkinos erfüllt, orientierte er sich bereits in seinen ersten Arbeiten an der Stringenz des klassischen Hollywoods und der filmischen Ökonomie seines großen Vorbilds Howard Hawks. Durch einen strengen Handlungsaufbau und den gezielten Einsatz formaler Mittel wie Kamera, Musik und Montage begab er sich Anfang der 70er mit geringen finanziellen Mitteln auf die Suche nach neuen Intensitäten.

 

Warten auf den Sense of Wonder - DARK STAR

Mit einem Budget von 60.000$ realisierte Carpenter 1974 sein Debut DARK STAR, konzipiert als „Waiting for Godot in space“.  Ähnlich den vergeblich auf einen gewissen Godot wartenden Figuren aus Samuel Becketts tragisch-absurdem Theaterstück, gestaltet sich der monotone Alltag für Carpenters desillusionierte Hippie-Astronauten. Seit Jahrzehnten reisen sie auf einem heruntergekommenen Raumschiff durchs All, und sprengen im Auftrag der Regierung Asteroiden. Ihre apathische Haltung erinnert stärker an gelangweilte Trucker als an die eklektizistischen Weltraumballette eines Stanley Kubrick in 2001 (1968). Die Odyssee im Weltraum gestaltet sich als äußerst monotone Angelegenheit, zugleich ein satirischer Seitenhieb auf die desolate Lage des Genres zu Beginn der 70er.

2001 entwickelte sich zum cineastischen Triumphzug der hard science-Ikone Arthur C.Clarke, der die literarische Vorlage für Kubricks Film lieferte, und auch am Drehbuch als Co-Autor beteiligt war. Carpenter hingegen begibt sich mit seinen Astronauten auf die Suche nach dem verlorengegangenen sense of wonder, der zahlreiche Klassiker des B-Science Fiction-Films der 50er Jahre wie FORBIDDEN PLANET (Alarm im Weltall, 1955)  prägte.

Zu Beginn des Films reist seine Crew bereits seit Jahren durch einen Weltraum, in dem es auf den ersten Blick nichts mehr zu entdecken gibt. Der Captain, auf Gene Roddenberrys Enterprise in der STAR TREK-ORIGINAL SERIES (1966-1969) noch durch die dominanten, überakzentuierten Gesten William Shatners im Mittelpunkt des Geschehens lokalisiert, befindet sich im Kälteschlaf. Wenn er in Notfällen kurzzeitig wiederbelebt wird, gilt sein einziges Interesse den Ergebnissen der nicht mehr existenten amerikanischen Baseball League.

Lediglich die Fütterung des Parasiten sorgt für etwas Abwechslung an Bord. Dieses unheimliche Wesen aus einer anderen Welt, das den Astronauten Pinback (Dan ´O Bannon) im Stil alter Monsterfilme durch das halbe Schiff jagt, besitzt auffällige Ähnlichkeit mit einem aggressiven Gummiball. Das Auftreten selbstbewußter, künstlicher Intelligenz reduziert sich auf eine sprechende Bombe, die sich am Ende des Films mit neu entdecktem Selbstbewußtsein eigenständig in die Luft jagt. Während Kubricks Supercomputer HAL durch die Erkenntnis seiner Widersprüche zum Mörder wird, reagiert die Bombe auf die Beschwichtigungsversuche der Astronauten unterkühlt mit den Worten Descartes´: „Cogito, ergo sum“. - Ich denke, also detoniere ich.

Nach der Sprengung des Raumschiffs gewinnen die letzten beiden Überlebenden im von einer Ray Bradbury-Geschichte inspirierten Finale tatsächlich den sense of wonder zurück. Während Talby (Dre Pahich) mit den einladend glitzernden Phönix-Asteroiden durchs All zieht, reitet Doolittle (Brian Narelle) mit einem Wrackteil als Surfbrett auf der letzten großen Welle (Ein Motiv, das sich 22 Jahre später in ESCAPE FROM L.A. mit Peter Fonda als gealtertem Hippiesurfer wiederholen wird). Sinnbilder für den Regisseur des Films und seine Arbeit mit Genrefragmenten. 

Klaustrophobie bei Nacht - ASSAULT ON PRECINCT 13

Carpenter definierte seinen Stil aus dem Spannungsverhältnis zwischen der Fortführung und der eigenen Variation des klassischen Genrekinos. Der selbsternannte Outlaw zwischen traditionellem Hollywoodkino und Autorenfilm bezieht sich zwar auf bekannte Vorbilder wie Hawks, Hitchcock oder Bunuel, doch gleichzeitig legt er die Regeln des Genres gemäß seinen Ambitionen aus. In seinen besten Arbeiten erzielt Carpenter nicht zuletzt durch die Kombination diverser Genres eine innovative Wirkung.

Obwohl er bisher noch keinen Western gedreht hat, machen sich die Einflüsse des Genres in den Filmen Carpenters immer wieder bemerkbar. Sein zweiter Film ASSAULT ON PRECINCT 13 (Anschlag bei Nacht / Das Ende, 1976) verlegt die Handlung von Howard Hawks Westernklassiker RIO BRAVO (1959) nach Downtown Los Angeles, ergänzt um die klaustrophobischen Aspekte von George Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD (Die Nacht der lebenden Toten, 1968).

Einem formal stringenten Aufbau folgend führt Carpenter verschiedene Handlungsfäden ein, deren Verbindung erst nach dem ersten Drittel des Films ersichtlich wird. Die Eröffnungssequenz des Films folgt mit subjektiver Kamera einer Streetgang, die aus dem Hinterhalt niedergeschossen wird. Eine Radiomeldung informiert während der Überblendung auf das Geschehen am nächsten Morgen über die eskalierende Bandengewalt in der Gegend. Im Anschluß folgt Carpenter dem afroamerikanischen Cop Ethan Bishop (Austin Stoker) auf dem Weg zur Arbeit, und montiert parallel dazu einen Gefangenentransport, bei dem der Schwerverbrecher Napoleon Wilson (Darwin Joston) und zwei weitere Sträflinge verlegt werden sollen. Am Ende der detaillierten Exposition steht der brutale Mord an einem kleinen Mädchen, dessen Vater sich in den Slums verfahren hat, durch die zu Beginn eingeführte Streetgang. Der aufgebrachte Vater (Martin West) verfolgt in bester Charles Bronson / DEATH WISH-Manier die Mörder seiner Tochter. Einen von ihnen kann er reichlich unspektakulär erschießen, der Rest entkommt in die Dunkelheit der Nacht. Das Blatt wendet sich, und der Jäger wird kurz darauf zum Gejagten.

 Der verfolgte Rächer flüchtet in die abgelegene Polizeistation PRECINCT 13, in der schließlich alle Handlungsfäden zusammenlaufen. Der Cop Bishop soll die Auflösung des bereits aufgegebenen Reviers überwachen, und auch den Gefangenentransport mit Napoleon Wilson hat es ins Precinct 13 verschlagen, da einer der drei Häftlinge schwer erkrankt ist.

Aus dem folgenden Angriff der Streetgang auf das Revier entwickelt sich eine Zweckgemeinschaft zwischen Kriminellen und Cops, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: die Nacht lebend zu überstehen. Wie auch in vielen späteren Carpenter-Filmen bricht das Grauen nachts herein, nachdem es tagsüber sorgfältig vorbereitet wurde.

Suspense entsteht nicht alleine aus dem Wissensvorsprung des Zuschauers, sondern  vielmehr aus der Frage, wie sich die verschiedenen Teile zusammenfügen werden. Die Präsenz der Streetgang markiert der Anfang von ASSAULT ebenso deutlich als eine der Handlungsprämissen, wie später in HALLOWEEN die Vorgeschichte Michael Myers, das auf die Erde zu rasende UFO in THE THING oder die Geschichte über die durch einen heimtückischen Betrug ertrunkenen Seeleute in THE FOG. Carpenter macht zu Beginn des Films deutlich, daß das Grauen irgendwann im Verlauf des Films zuschlagen wird. Anschließend baut er die Handlung aus verschiedenen Perspektiven auf, um sie langsam zu einem Ereignis und Ziel zusammenzuführen.

Wenn schließlich die gemeinsam erfahrene Situation eintritt, aus der sich die mal mehr, mal weniger Hawkssche Zweckgemeinschaft ergibt, ist das Ziel in vielen von Carpenters Filmen bereits überdeutlich. Auf dieser Ebene angelangt ergibt sich der Spannungseffekt daraus, wann die im Dunkeln lauernden Angreifer wieder zuschlagen.

Die Gewalt in ASSAULT wirkt unterschwellig, da sie nicht explizit dargestellt, sondern nur kurz angedeutet wird, wodurch Carpenter eine beachtliche Intensität erzielt. Die Erschießung des kleinen Mädchens begleitet ein harmloses Kinderlied auf dem Soundtrack, durchdrungen von anschwellenden, bedrohlich langgezogenen Synthesizertönen. Bildgestaltung und Soundtrack ergänzen sich gegenseitig in den Filmen Carpenters. Die einfachen, aber sehr markanten Synthesizerthemen tragen entscheidend zur Atmosphäre der Filme bei. In den HALLOWEEN-Sequels 4 bis 6 weckt eigentlich nur das immer noch präsente, treibende Main Theme Erinnerungen an die Atmosphäre des Originals.

Mit ASSAULT gelang Carpenter eine beispielhafte Studie in Sachen minimalistischer Suspense. Mit geringem Aufwand skizziert er ein apokalyptisches Szenario, dessen scheinbarer Realismus sich bei näherer Betrachtung als Bestandteil einer Ausführung über filmische Formen und Genremechanismen erweist. Die silhouettenhaften Angreifer funktionieren nicht als Repräsentanten einer sozialen Realität, sondern vielmehr als Genrezitate. Die DEATH WISH-Lösung des rächenden Vaters scheitert bereits in ihrem Ansatz, und darüber hinaus liegen Carpenters Sympathien, wie auch in seinen späteren Filmen, deutlich bei Außenseiterfiguren, die sich in völliger Isolation zusammenschließen. Die gesellschaftliche Trennlinie zwischen Cop und Verbrecher erweist sich in dieser Situation als obsolet. Die wesentliche Charakterisierung der Protagonisten ergibt sich aus ihrem konkreten Handeln.

Ein gesellschaftskritischer Subtext  findet sich in fast jedem Carpenter-Film, so daß sich auf der ersten Ebene die Genregeschichte befindet, und auf einer zweiten Genrekonventionen gezielt hinterfragt werden. Wie in der ZOMBIE-Trilogie von George Romero entwickeln sich Ausgegrenzte bei Carpenter zu den zentralen Figuren, und nicht selten repräsentiert das Grauen, das die Gesellschaft heimsucht, wie in THE FOG jene verdrängte Schuld, auf der die trügerische Idylle errichtet wurde. Carpenter vermeidet jedoch plakative Stellungnahmen, und bringt stattdessen die Seitenhiebe und Statements in seinen frühen Filmen geschickt zwischen den Zeilen unter.

 

Der unheimliche Beobachter - HALLOWEEN

In dem Fernsehfilm SOMEONE´S WATCHING ME (Das unsichtbare Auge, 1978) inszeniert Carpenter bereits einige Varianten der Bedrohung durch einen anonymen Beobachter. Eine aufstrebende, aber zugleich vereinsamte, Reporterin (Adrienne Barbeau) zieht in ein Hochhaus. Kurz nach ihrer Ankunft muß sie feststellen, daß ein fremder Voyeur aus dem Nachbarhaus sie beobachtet. Das anfängliche Kokettieren mit dem Thrill der Situation weicht zunehmend dem blanken Terror. Carpenter entwirft die modernisierte Variante von Hitchcocks REAR WINDOW (Fenster zum Hof, 1954), in der sich das gemächliche Detektivspiel des Vorbilds in ein Kaleidoskop von Paranoia und Großstadtneurosen verwandelt hat. Der anonyme Beobachter wird auch für den Zuschauer nur durch Detaileinstellungen auf Tonbandrecorder und Fernrohr sichtbar. Während des Finales verstärkt Carpenter die Intensität der entscheidenden, direkten Konfrontation zwischen dem Voyeur und dem Objekt seiner Begierde durch den verstärkten Einsatz subjektiver Kameraeinstellungen.

Dieses Stilmittel greift Carpenter zu Beginn einer der vermutlich bekanntesten Sequenzen des neueren Horrorfilms wieder auf. In einer langen Plansequenz blickt die Kamera durch die Augen des jungen Michael Myers, der am Halloweenabend seine ältere Schwester bei einem romantischen tête-a-tête kaltblütig ersticht. - Fünfzehn Jahre später: Michaels behandelnder Arzt Dr.Loomis (Donald Pleasence) will seinen Patienten, den er als Ausgeburt des absoluten Bösen betrachtet, in eine andere Klinik überführen. Doch Michael entkommt aus der Psychiatrie und kehrt in das verschlafene Provinznest Haddonfield zurück, um an Halloween die Morde an ahnungslosen Teenagern fortzusetzen. Ständig streift die Kamera in ausgedehnten Fahrten um die Häuser, beobachtet die Protagonistin Laurie Strode (Jamie Lee Curtis). Laurie bemerkt die Gegenwart eines für sie unsichtbaren Beobachters. Nie weiß man genau, ob die Kamera eine neutrale Sicht oder wieder die Perspektive des Mörders mit der gesichtslosen weißen Maske übernommen hat.

HALLOWEEN setzte 1978 die Standards für das Stalk-N-Slash-Subgenre. Zahlreiche Nachzügler, von denen sich Sean S.Cunninghams FRIDAY THE 13th (Freitag der 13., 1980) als der populärste erwies, wurden zu Dauerserien ausgebaut.

HALLOWEEN bleibt im Gegensatz zum reaktionären Weltbild einiger FRIDAY-Filme, in denen, sobald Sex und Drogen im Spiel sind, der Mann mit der Machete moralisierend einschreitet, ambivalent. Dr. Loomis, der die Psychologenvariante des Draculajägers Dr.Van Helsing darstellt, hält Myers zwar für die Inkarnation eines übernatürlichen Bösen, doch der Film läßt sich im Gegensatz zu den Sequels nie auf eine eindeutige Festlegung ein.

Zwar sprechen einige Anzeichen für das Wirken übernatürlicher Mächte, wie etwa die ungeheure Ausdauer des bereits mehrfach von Laurie überwältigten Michaels, und ebenso die Tatsache, daß er am Ende des Films ohne Weiteres einen Sturz vom Balkon überlebt, nur um einfach in der Nacht zu verschwinden, und bei seiner Rückkehr in den späteren Fortsetzungen zum lukrativen Horrormythos zu werden.

Doch zugleich bedingen sich die fadenscheinige Idylle der Suburbs und ihr dämonisierter Henker gegenseitig. Zwar stellt Carpenter keine direkte Verbindung zwischen einer verdrängten Schuld und dem Erscheinen Michael Myers her, wie später in THE FOG oder in Wes Cravens A NIGHTMARE ON ELM STREET, aber dennoch finden sich einige Andeutungen darauf, daß er die Rückkehr des Verdrängten nach Suburbia darstellt.

Im Gegensatz zu Jason Vorhees aus FRIDAY THE 13th , der auf Grund fahrlässiger Aufseher, die lieber sexuellen Vergnügen nachgingen, und darüber den ertrinkenden Jason nicht bemerkten, als untoter Rächer aus seinem nassen Grab zurückkehrt, hat Michael noch keine klar umrissene Originstory. Er stellt die Quintessenz des voyeuristischen, omnipräsenten Angreifers dar, dessen weiße Maske eine Projektionsfläche für alle möglichen Ängste bietet. Carpenter verzichtet bewußt auf eine klare psychologische Erklärung für das Verhalten des Killers.

HALLOWEEN funktioniert sowohl als Allegorie über die unterbewußten Ängste von Suburbia, wie auch als atmosphärischer Horrorfilm, in dem ohne komplizierte Hintergedanken alle formalen Register gezogen werden. Erst das 1982 nach einem John Carpenter-Drehbuch von Rick Rosenthal inszenierte Sequel stellt eine familiäre Verbindung zwischen Michael Myers und Laurie Strode her. Myers Lieblingsopfer entpuppt sich als seine verschollene Schwester. Diese etwas forcierte Verknüpfung zur familiären Horror-Soap potenziert sich in den weiteren Sequels, wenn Michael schließlich Jagd auf seine kleine Nichte macht

In einem Interview erklärte John Carpenter 1996: „Als ich begann HALLOWEEN 2 zu schreiben, stellte ich fest, daß wir keine Geschichte haben... Wir haben wieder die gleiche Geschichte, es gibt keine weitere Geschichte mehr, wir haben alles gesagt.“ - Natürlich sollte diese Feststellung niemanden daran hindern die Geschichte zur Endlosserie in immer absurderen Konstellationen auszubauen.

Durch Michael Myers und seine Epigonen wurde der Serienmörder als Popmythos endgültig Bestandteil des Mainstreams. Mit zunehmender Folgenzahl entfernte sich die Darstellung des Serial Killers als Popstar immer weiter von ihren Ursprüngen im True Crime-Genre. Mit Jason Vorhees entstand eine endlos wiederholbare Campfire Story des modernen Horrorkinos, die zu jeder Saison wieder neu aufgelegt werden kann. Freddy Krueger hingegen bewegt sich von vornherein im Grenzbereich zwischen surrealen Alptraumwelten und Realität. Auch Michael Myers entwickelt sich im Lauf der Serie zum immer stärker berechenbaren Stehaufmännchen, ständig verfolgt von Donald Pleasence, der seiner Rolle als Dr.Loomis nicht entkommen konnte.

Carpenter hingegen beteiligte sich noch an der Produktion von HALLOWEEN III - SEASON OF THE WITCH (1984, von Tommy Lee Wallace), der eine Variante des klassischen BODY SNATCHERS-Stoffs mit Halloweenmasken präsentiert, und inhaltlich nichts mehr mit den ersten beiden Folgen zu tun hatte. Erst im vierten Teil (1988) schickte man erneut Michael Myers auf die Jagd nach neuen Opfern und Konsumenten. Carpenter hatte jedoch bereits das Weite gesucht. Sein Executive Producer Moustapha Akkad übernahm das, vorerst uninspiriert im Leerlauf dahintreibende, Franchise, womit er nachhaltig demonstrierte, daß nicht nur der HALLOWEEN-Nachzügler FRIDAY THE 13th  sich in langatmigen, immer gleichen Fortsetzungen verlieren konnte, sondern auch das Original selbst. Erst H20 findet einen Ansatz, durch den er mit dem Original und der ersten HALLOWEEN-Fortsetzung eine Art Trilogie bildet.

1980 bearbeitete Carpenter in der Geistergeschichte THE FOG (Nebel des Grauens) mit Jamie Lee Curtis und ihrer Mutter Janet Leigh explizit das Thema der verdrängten Schuld, die als rächende Gewalt die Nachkommen der Mörder heimsucht. Der verschlafene Küstenort Antonio Bay bereitet sich auf seine Jubiliäumsfeier vor. Parallel zu den anlaufenden Festivitäten ereignen sich nachts eigenartige Dinge. Die Besatzung eines Schiffs wird tot aufgefunden, und ein dichter Nebel bewegt sich vom Meer aus auf die Stadt zu. Der Priester einer kleinen Abtei (Hal Holbrook) findet in einem Geheimversteck ein altes Tagebuch über die wahren Umstände der Stadtgründung: Die Siedlung wurde mit dem Geld ermordeter Seeleute erbaut, die man mit einem falschen Leuchtsignal in den Tod lockte. Am Tag des Jubiläums kehren die lebenden Toten zurück, um Rache an den Nachkommen ihrer Mörder zu nehmen.

Diese Mischung aus Gothic Novel und E.C.-Comic bietet Carpenter die Möglichkeit formal und narrativ alle Register seines Könnens zu ziehen. Wieder setzt sich die Handlung aus diversen Strängen zusammen, die erst nach der Hälfte des Films zusammengeführt werden. Einzelne Sequenzen, wenn etwa eine Radiomoderatorin (Adrienne Barbeau) auf ihrem Sende-Leuchtturm immer höher vor den untoten Seeleuten fliehen muß, nachdem sie lange zuvor bereits den unheimlich leuchtenden Nebel aufkommen sah, nutzen optimal das sorgfältig aufgebaute Spannungspotential. Carpenter arbeitet geschickt mit Verzögerungen. Erst schrittweise erfährt der Priester aus den Aufzeichnungen die ganze Wahrheit über die Gründung von Antonio Bay. Parallel montiert dazu machen sich erste Anzeichen für das hereinbrechende Grauen bemerkbar. Während Carpenter sich in THE FOG ausgiebig Zeit nimmt, um Stimmungen auszuloten, gestaltet sich sein nächster Film als ein einziger Wettlauf gegen die Zeit.

 

Last Action Outlaw - ESCAPE FROM NEW YORK

New York 1997 - In den USA herrscht ein totalitäres System. Manhattan Island wurde in ein überdimensionales Gefängnis, in das alle Dissidenten und Kriminellen abgeschoben werden, umgewandelt. Alle Wege nach Draußen sind vermint, und neben der Statue of Liberty wacht ein Orwellscher Kontrollkomplex unter der Leitung des Westernveteranen Lee Van Cleef als Bob Hauk über das ausgegrenzte Gebiet. Die Freiheitsstatue wurde symbolisch für die herrschende Politik zur „Security Control“ umfunktioniert.

Die Lage eskaliert drastisch, als sich ein atomarer Konflikt mit Rußland anbahnt, der nur durch ein Tape verhindert werden kann, das der Präsident der Vereinigten Staaten (Donald Pleasence, diesmal nicht als Dr.Loomis) mit sich führt. Durch ein Attentat auf die Air Force One verschlägt es ihn nach New York. Carpenter demonstriert in dieser Sequenz übrigens sehr schön, wie man innerhalb von zehn Minuten eine Air Force One loswerden kann, ohne daraus eine zweistündige, patriotische Schnulze zu machen. In New York regiert der afro-amerikanische Gangleader Duke (Soul-Legende und Blaxploitationdarsteller Isaac Hayes) als archaischer Herrscher über einen eigenen Hofstaat, in dessen Festung Gladiatorenkämpfe abgehalten werden.

Alle Hoffnungen die drohende nukleare Katastrophe zu verhindern ruhen auf einem gerade inhaftierten Outlaw. - Snake „I thought you were dead“ Plissken (Kurt Russell in seiner prägnantesten Rolle) tritt in Erscheinung, als hätte man ihn gerade aus einem Western in einen apokalyptischen Gefängnisfilm strafversetzt. Der zynische Einzelgänger verkörpert zugleich einen der letzten Antihelden nach dem Muster der skeptischen 70er vor den systemkonformen, gestählten Killermaschinen der 80er. Widerwillig akzeptiert er den Auftrag den Präsidenten zu finden und das Tape zu sichern, und erst als ihm Hauk zwei Sprengkapseln injiziert, die nach einem Tag explodieren, verfolgt Snake auch ein eigenes Interesse bei diesem Auftrag, das sich auf das reine Überleben beschränkt. 

Snake bleiben für seine Mission knapp 24 Stunden Zeit. Mit einem Segelgleiter landet er auf dem Dach des World Trade Center. Der Präsident geriet mittlerweile in die Gewalt des Duke. Auf seiner Mission bewegt sich Plissken durch eine düstere, von den verschiedensten Gruppierungen bewohnte, Ruinenlandschaft, deren dunkle Grautöne ein Gegenbild zu den ein Jahr später entstandenen, schillernden Neonwelten von Ridley Scotts BLADE RUNNER skizzieren. In dem Taxifahrer Cabby (Ernest Borgnine), dem Gangster Brain (Harry Dean Stanton) und dessen Freundin findet Snake kurzlebige Verbündete, von deren Tod bei der Flucht über eine verminte Brücke sich der gerettete Präsident reichlich unberührt zeigt. Kurz vor der entscheidenden TV-Ansprache des Präsidenten vertauscht Snake das relevante Tape mit einem anderen aus Cabbys Auto. Beswingter Easy Listening-Sound spielt zur drohenden Apokalypse auf, während Snake, zumindest für die nächsten sechzehn Jahre, unauffällig verschwindet.

ESCAPE FROM NEW YORK lieferte das passende Ende als Vorspiel zur Krisenstimmung, die in den apokalyptischen Filmen der 80er Ausdruck fand. Die Vision einer vielleicht nicht so weit entfernten Zukunft gewinnt aus heutiger Sicht in Hinblick auf hysterische Debatten um die Innere Sicherheit eine neue Aktualität. Zugleich stellt der erste ESCAPE-Film einen Abgesang auf eine bestimmte Variante des Actionfilms dar, die sechzehn Jahre später im zweiten Teil nur noch als Farce möglich erscheint.       

 

SomeTHING's gonna get you

Im Gegensatz zum Original THE THING von Howard Hawks und Christian Nyby hält sich Carpenters Adaption des Romans Who goes there? von John W. Campbell eng an die literarische Vorlage. Die Isolation der Gruppe, die auf einer abgelegenen Polarstation von einem gestaltwandelnden Alien heimgesucht wird, macht Carpenter von Anfang an sichtbar. Kurt Russell als Pilot Mac gibt sich als wortkarger Einzelgänger. Während die anderen Mitglieder des Teams Tischtennis spielen, vertreibt er sich die Zeit mit einem Schachcomputer, den er nach einer verlorenen Partie aus Frustration kurzschließt. In der Gruppe besteht nicht der Kollektivgeist wie zuvor bei Hawks, der sich immer wieder durch die richtige, lockere Bemerkung zur richtigen Zeit äußert, und wo am Ende natürlich geheiratet werden muß. Bei Carpenters Variante der Geschichte bleibt hingegen sogar der Tod der letzten beiden Überlebenden unausweichlich.

Zu Beginn des Films sieht man ein UFO bei der Bruchlandung im Ewigen Eis und direkt im Anschluß in einer Panoramaaufnahme die Jagd eines Helikopters auf einen unscheinbaren Schlittenhund. Der norwegische Pilot scheint Amok zu laufen, und eröffnet das Feuer auf die Mitglieder des amerikanischen Forschungsteams, zu dem sich der Hund geflüchtet hat. Keiner ahnt, daß mit dem harmlos aussehenden Tier das Grauen aus dem Weltall Einzug in die Station hält. Die erste Hälfte von THE THING steigert langsam und intensiv durch verstreute Hinweise den Spannungsbogen. Im Gegensatz zu Hawks unheimlicher Rübe aus einer anderen Welt, die einfach nur noch gekocht werden mußte, kommt der Schrecken bei Carpenter auf äußerst physische Weise von Innen. Zweifel an der eigenen Wahrnehmung kennzeichnet die Ängste und das tiefe gegenseitige Mißtrauen der Akteure. Carpenter kombiniert den psychologischen, unterschwelligen Thrill des BODY SNATCHERS-Motivs mit explizitem Körperhorror, der sich nicht an die bis dahin bekannten Standards des Monsterkinos hält.

Anne Billson stellt in ihrer, 1998 beim British Film Institute veröffentlichten, Analyse von THE THING treffend fest, daß es sich im Gegensatz zum in den 80er Jahren populären, augenzwinkernden Zitatkino, bei THE THING um einen Film der 70er handelt. Carpenter nimmt sein Monster und seine Prämissen entsprechend ernst, nicht ohne Humor, doch dieser beschränkt sich auf einen trockenen Galgenhumor. Während sich vor allem die Horror-Serienproduktionen in ihrem gesamten Erscheinungsbild immer stärker an einem neuen Teenpublikum orientierten, blieb Carpenter auf produktive Weise dem skeptischen, anti-autoritärem Zynismus der 70er verhaftet. Folglich hatte THE THING gegen Steven Spielbergs optimistisch-versöhnlichen E.T. 1982 keine Chance.

Das von der Produktionsfirma Universal anvisierte Massenpublikum blieb aus. Dabei wäre nichts einfacher gewesen als Hawks Meilenstein des Paranoiakinos dem reaktionären Zeitgeist der Reaganära entsprechend neu zu verfilmen. Zu Beginn des Films bemerkt ein Mitglied der Station, in der Außenwelt könnte vielleicht ein Krieg zwischen Amerika und Norwegen ausgebrochen sein. Tatsächlich erinnert das verlassene, triste Ambiente in Carpenters Film an die düstere Stimmung von postapokalyptischen Filmen der späteren 80er, die den Schrecken nach der nuklearen Katastrophe visualisieren. THE THING gestaltet sich als ein desillusioniertes Endspiel, in dem die bekannte Aufforderung des Originals, „Watch the Skies!“ obsolet geworden ist.

Die Paranoia befindet sich im Leerlauf. Die Demarkationslinien lassen sich nicht mehr eindeutig ziehen, und auch die Frage nach einem klar abzugrenzenden äußeren Gegner kann nicht mehr beantwortet werden. Bis heute stellt THE THING eines der am stärksten unterschätzten Werke Carpenters dar. Eine umfangreiche Neuentdeckung á la BLADE RUNNER blieb ihm bisher verwehrt, obwohl sich die Einflüsse des Films bis heute bemerkbar machen. Die Folge „Ice“ aus der erfolgreichen TV-Serie X-FILES (Akte X), in der die skeptische Stimmung des 70er-Politthrillers, kombiniert mit zahlreichen Motiven der Science Fiction- und Horrorfilmgeschichte, eine ungeahnte Renaissance erlebt, gestaltet sich als direkte Hommage an Carpenters THE THING, und die Changelings aus dem düsteren STAR TREK-Ableger DEEP SPACE NINE bieten eine direkte Weiterentwicklung von Carpenters gestaltwandelndem Alien.       

 

Flucht in den Mainstream und wieder zurück

Mit CHRISTINE (1983) reihte sich auch Carpenter in die Galerie prominenter  Regisseure wie Stanley Kubrick, Brian de Palma und David Cronenberg ein, die sich an einer Stephen King-Adaption versuchten. Doch im Gegensatz zu dem zeitgleich entstandenen THE DEAD ZONE, mit dem David Cronenberg und Christopher Walken die bisher beste King-Umsetzung gelang, blockierten sich Carpenter und King gegenseitig. Während Carpenter sich in Hochform befindet, wenn er eine straff strukturierte Geschichte mit allen Mitteln des minimalistischen Suspense umsetzt, entfaltet King immer dann seine Stärken, wenn er sich in den ausufernden Details und Charakterskizzen seiner umfangreichen Horrorgeschichten verliert. CHRISTINE bewegt sich in beide Richtungen gleichzeitig, und scheitert reichlich unspektakulär. Bevor Carpenter die Geschichte in den Griff bekommen kann, rollt Stephen Kings Killerkarosserie in Richtung belangloser Durchschnittsmainstream davon.

In der Fantasykomödie BIG TROUBLE IN LITTLE CHINA (1986) wollten Carpenter und Kurt Russell mit enormem Aufwand die Naivität und den Charme alter Genrefilme mit effektgeladener Kung Fu-Action kombinieren, doch am Ende erwiesen sich Joe Dante (GREMLINS) und Robert Zemeckis (BACK TO THE FUTURE) als die besseren Spielbergs. Auch der Versuch mit STARMAN (1984) eine erwachsene E.T.-Variante zu schaffen, blieb in den Ansätzen stecken.

Erst die Rückkehr zum vertrauten Low Budget-Film mit PRINCE OF DARKNESS (Die Fürsten der Dunkelheit, 1987) brachte den anvisierten Erfolg. In einer abgelegenen Kirche in Los Angeles droht der Teufel, der als blubbernde Masse in einem Glasbehälter eingeschlossen wurde, in die Realität zurückzukehren. Eine Gruppe von Wissenschaftlern muß, unterstützt von einem Priester (Donald Pleasence in der kirchlichen Variante seiner Dr.Loomis-Rolle), in der Kirche eingeschlossen überleben. Der Weg nach Draußen wird von einer Ansammlung grimmiger Gestalten, unter der Führung des in die Jahre gekommenen Horrorclowns Alice Cooper, blockiert. Natürlich ergreift der dämonische Schleim von diversen Mitgliedern der Gruppe Besitz. PRINCE OF DARKNESS erreicht nicht die Intensität der frühen Carpenter-Filme, und auch der eigentlich obligatorische, kritische Subtext läßt vergeblich auf sich warten. Stattdessen inszeniert Carpenter eine kurzweilige Greatest Hits-Sammlung seiner Standardmotive. Er übernimmt die Belagerungssituation aus ASSAULT, und der Schrecken aus dem mysteriösen Glas ähnelt nicht von ungefähr der Trashvariante des Körper assimilierenden Dings aus einer anderen Welt. Gleichzeitig bilden jedoch die rätselhaften Visionen, die ein Wissenschaftler aus der Zukunft empfängt, eine Art Vorübung zur Auflösung der klassischen narrativen Strukturen, die Carpenter einige Jahre später mit IN THE MOUTH OF MADNESS realisieren wird.

In der sympathischen, wenn auch nicht ganz geglückten, Satire THEY LIVE (Sie Leben) verlieh Carpenter 1988 seiner Aversion gegen die reaktionäre Mentalität der Reagan-Ära mit einer polemischen Umkehrung der klassischen Invasionsgeschichten des Paranoiakinos Ausdruck. Vorzeige-Yuppies entpuppen sich bei genauerer Betrachtung durch spezielle Sonnenbrillen als raffgierige Aliens. Die Reaganomics als das Produkt einer Invasion, die völlig unbemerkt mit Hilfe der Massenmedien, kaschiert durch einladende Konsumangebote, stattgefunden hat. Die beiden Helden (Roddy Piper und Keith David) sind Außenseiter, die sich durch ein Los Angeles bewegen, das sich nicht allzu stark von den Ruinenlandschaften in den ESCAPE-Filmen unterscheidet. Der Rückbezug auf eine skeptische 70er Haltung erweist sich bei Carpenter nicht als die eskapistische Sehnsucht nach einer angeblich einfacheren, vergangenen Zeit, sondern gestaltet sich vielmehr als das Festhalten an einer kritischen Haltung, die durchaus zu produktiven Resultaten führen kann. Doch trotz der originellen Einfälle und der zahlreichen Seitenhiebe kann THEY LIVE nicht auf der ganzen Linie überzeugen. Der ehemalige Catcher Roddy Piper wirkt zu verkrampft, um als Kurt Russell-Ersatz zu bestehen, und das von Carpenter unter dem Pseudonym Frank Armitage verfaßte Drehbuch bewegt sich zu unentschlossen zwischen verschiedenen Handlungsfäden, die zu keinem schlüssigen Ende führen.

Die Komödie MEMOIRS OF AN INVISIBLE MAN (Jagd auf einen Unsichtbaren) stellte 1991 nach einer vierjährigen Pause Carpenters eine ironische Hommage an die Universal-Horrorfilme der 30er Jahre dar. Mit einem beachtlichen Aufwand an Special Effects und Chevy Chase und Daryl Hannah in den Hauptrollen näherte sich Carpenter erneut dem Mainstream an, diesmal wesentlich amüsanter und sicherer als in den 80ern. Ein Comeback im kleinen Format sollte er jedoch erst 1995 mit einem Film feiern, der geschickt auf dem vertrauten Bereich des Horrorfilms operierte.

 

Into the Mouth of Madness

IN THE MOUTH OF MADNESS (Die Mächte des Wahnsinns, 1995) beginnt als Private Eye-Geschichte. Der abgebrühte Detektiv John Trent (Sam Neill) begibt sich auf die Suche nach dem verschwundenen Horrorschriftsteller Sutter Cane (Jürgen Prochnow). Die Spur nach dem vermeintlichen Stephen King-Verschnitt führt ins Hinterland von New England, wo überraschend die unsagbaren Grauen H.P.Lovecrafts gepaart mit dem absurden Humor des Surrealisten Luis Bunuel regieren. Trent folgt einer Karte, die er aus den Umschlägen der Cane-Bestseller zusammengebastelt hat, und gelangt an einen Ort, der eigentlich nur in den Romanen des populären Autors existiert. Die Grenzen zwischen realer und fiktionaler Wirklichkeit verschwimmen. Der von Trent zunehmend intensiver in opulenten Bildtableaus erfahrene Wahnsinn überträgt sich auf die Struktur des Films selbst.

Carpenter setzt die Auflösung eines stringenten Handlungsaufbaus gezielt als Stilmittel ein.

Die Verunsicherung des Protagonisten überträgt sich auf die Wahrnehmung des Zuschauers. Der gesuchte Cane erscheint aus dem Nichts, und offenbart seinem Verfolger, daß durch seine Bücher einer mysteriösen Macht aus einer anderen Dimension der Weg in die Welt ermöglicht wird. Diese strebt eine Herrschaft des kompletten Wahnsinns durch die neueste Veröffentlichung Canes an. Trent kann die Publikation des fraglichen Scripts nicht mehr verhindern, und natürlich läßt auch die Verfilmung des Buchs nicht lange auf sich warten. Am Ende sitzt der wahnsinnig vor sich hin lachende Trent in einem Kino, und betrachtet das fertige Produkt auf der Leinwand: Es ist seine eigene Geschichte.

IN THE MOUTH OF MADNESS hält geschickt die Balance zwischen reflexiver Auflösung der Erzählung und effektvollen Spannungsmomenten. Carpenters nächste Arbeit, ein Remake des schwarz / weiß-Klassikers VILLAGE OF THE DAMNED (Das Dorf der Verdammten, 1995), erwies sich als langatmige, uninspirierte Routinearbeit. Nachdem der erwartete Erfolg an den Kinokassen ausblieb, beschloß Carpenter die lange hinausgezögerte Reaktivierung eines gewissen Outlaws.

 

Snake Plissken - looks kinda retro - Krisenmanagement im postklassischen Kino

Snake „I thought you were a little bit taller“ Plissken kehrt in ESCAPE FROM L.A. (1996) nach sechzehn Jahren zurück. Die Apokalypse fand vielleicht inzwischen statt. Und selbst wenn sie am Ende von ESCAPE FROM NEW YORK stattgefunden haben sollte, dann spielt es keine Rolle mehr, da der Endzeitfilm sich im Lauf der 80er Jahre zu seiner eigenen Parodie entwickelt hatte. Konsequenterweise inszenieren Carpenter und Russell die Rückkehr ihres selbst geschaffenen Leinwandmythos als postklassische Farce mit bissigen Untertönen, die die Geschichte des ersten Teils gegenliest, und sich dabei zugleich auf die Suche nach neuen Ansätzen macht. Situationen des ersten Teils wiederholen sich auf fast identische Weise, nur um im entscheidenden Moment einen anderen Verlauf zu nehmen.

Als Snake für den L.A.-Auftrag rekrutiert wird, kommentiert eine der Aufseherinnen: „Das ist also Snake Plissken. Er sieht irgendwie Retro aus, so 20. Jahrhundert.“ - Snake hat irgendwie die 80er Jahre überstanden, und schleppt sich nun als anachronistisches Relikt durch die Ruinenlandschaft eines Genres und seiner Mechanismen. Sein Gegenspieler Guervo Jones entpuppt sich, im Gegensatz zu Isaac Hayes´ imposanter Verkörperung des Duke im ersten Teil, als Operetten-Che Guevara, der im Cyberspace die Tochter des Präsidenten Utopia als Anhängerin gewinnen konnte. Diese flüchtet mit der sogenannten Black Box, einem gefährlichen Kontrollgerät, ins vom Festland abgetrennte L.A. Der obligatorische Gladiatorenkampf gegen Ende des Films, gestaltet sich in der Guervo Jones-Residenz (einem umgewandelten Vergnügungspark in der Art von Disneyland) als triviales, aber tödliches, Basketballspiel. Die klassischen Regeln, die im Original in der Zuspitzung noch funktionierten, sind außer Kraft gesetzt. Überhaupt spielen Hologramme und Simulationen eine zentrale Rolle in ESCAPE FROM L.A. Guervo Jones Rolle als Revolutionsführer reduziert sich auf mediale Selbstinszenierungen. Das Gleiche gilt für seinen Gegenspieler, den fundamentalistisch-klerikalen Präsidenten der faschistoiden USA, der bereitwillig auch noch die eigene Tochter auf den elektrischen Stuhl befördern läßt, und die Hauptstadt in den bibelfesten  Mittleren Westen verlegte. Absurdität und Apokalypse bedingen sich in ESCAPE FROM L.A. stärker als im Original, wodurch die satirischen Aspekte des Films deutlicher hervortreten.

Angesichts des außen herrschenden Systems stellt sich die bereits im Original angedeutete Frage, ob die Flucht überhaupt noch Sinn macht. Vielleicht lassen sich im Gegensatz zum streng hierarchisch organisierten New York des Dukes sogar Ansätze für eine Utopie erkennen, wie Jan Distelmeyer in Bezug auf Peter Fondas Auftritt als alternder Hippiesurfer feststellte.

Am Ende muß Snake erkennen, daß sogar die aus dem ersten Teil vertraute tödliche Injektion ein Fake war. Mit einem lakonischen „Welcome to the human race“ dreht er den Waffensystemen der Zukunft den Strom ab, und raucht in Westernpose (seinem neuen, an den Italowestern angelehnten Soundtrackthema entsprechend) seine erste Zigarette im gesamten Film.

Die Spezialeffekte in ESCAPE FROM L.A. wirken absichtlich billig, und verstärken die Ambivalenz zwischen ironischer Auflösung und der Suche nach neuen Ansätzen. Der Film operiert mit Camp-Elementen, ohne in diesen aufzugehen. Die L.A.-Mission gestaltet sich für Plissken als eine Reise durch die unterschiedlichsten Trash-Szenarien, von einem unterirdischen Labor unter den Ruinen Hollywoods, in dem Bruce Campbell (EVIL DEAD) als wahnsinniger Gesichtschirurg sein Unwesen treibt, über das versunkene Universal-Studiogelände bis hin zu Guervo Jones skurrilem Vergnügungspark.

Carpenter entwickelt sich in seinen letzten beiden Filmen zunehmend zum Krisenmanager des postklassischen Kinos. Einerseits entwickelt er strategisch reflexive Brüche in der Erzählung, andererseits weigert er sich die Geschichten ganz in selbstgenügsamen Zitathumor aufzulösen. Auch Carpenters Darstellerensemble in ESCAPE FROM L.A. spricht für sich: Pam Grier in Anspielung auf ihre Blaxploitation-Vergangenheit als dominante Mobsterin und Steve Buscemi als zynisches Gegenstück zu Ernest Borgnines Taxifahrer, der hier weitaus besser seine Fähigkeiten im Actionkontext demonstrieren kann als in diversen Jerry Bruckheimer-Produktionen.

Die Arbeit mit Fragmenten, die im Gegensatz zu den früheren Filmen nicht mehr zu einem geschlossenen Ganzen führt, kennzeichnet auch Carpenters neuesten Film VAMPIRES (1998). Zwar wird noch einmal eine bekannte Geschichte (Vampirjäger gegen einen Fürsten der Dunkelheit, der anscheinend seine Begleiter auf Darkwave-Parties rekrutiert) in neuem Ambiente erzählt (Westernkulissen wie aus einem Walter Hill-Film), aber gleichzeitig bleiben die Risse sichtbar. James Woods als verbissener Professional, dem nichts mehr als sein Job bleibt, wirkt zynisch und desillusioniert.

Carpenter baut zwar einige ironisierende Aspekte ein: Der Obervampir Valek (Thomas Ian Griffith) entstand erst durch einen fehlgeschlagenen Exorzismus des Vatikans. Seitdem finanziert die katholische Kirche eine Art Vampirkiller-Spezialeinheit, die in ihrem Erscheinungsbild an das Ensemble eines mittelmäßigen Söldnerfilms erinnert. Doch trotz aller comichaften Elemente, bleibt Carpenter auf Distanz zur kompletten, parodistischen Auflösung des Genres, wie sie in anderen Filmen von BRAINDEAD bis FROM DUSK TILL DAWN praktiziert wird. Am Ende läßt James Woods den bereits infizierten langjährigen Freund und Partner und dessen Vampirfreundin (Sheryl Lee) entkommen. Statt des altvertrauten, berechenbaren Schocks nach dem Finale, herrscht hier Apathie und vielleicht sogar ein bißchen Melancholie vor.

Carpenter definierte sich von Anfang an als Pragmatiker. Die Zukunft des Genres bleibt bei ihm offen. Er läßt sich, den Charakteren und seinen Zuschauern keine Zeit für Retrosehnsüchte nach scheinbar eindeutigeren Zeiten. VAMPIRES erwies sich in den USA als Erfolg. Er spielte am Startwochenende 15 Millionen $ ein, und das natürlich ausgerechnet an Halloween. Die ständige Suche nach der eigenen, immer nur temporär realisierbaren, Form zwischen Mainstream und der Idee eines unabhängigen Genrekinos geht weiter, auch über die Grenzen der Genres hinaus.

 

Metal Thrashing Mars und der Original Gangsta im Precinct 13

Mit dem 2001 realisierten Science-Fiction-Thriller GHOSTS OF MARS lieferte Carpenter den anschaulichen Beweis, dass sich Ego-Shooter wie das einflussreiche Kultspiel DOOM (ID Soft, 1993), dessen wesentliche Gestaltungsmerkmale der Film unmittelbar übernahm, nicht verfilmen lassen. Glücklicherweise versuchte der abgebrühte Genreexperte gar nicht erst eine direkte Verfilmung der Gefechte eines Space-Marines gegen dämonische Geisterhorden auf dem Mars zu realisieren, sondern nahm lediglich einige Motive des Spiels als Grundlage für eine Variation klassischer Genrestandards.

Die Ausgangssituation erinnert deutlich an ASSAULT ON PRECINCT 13, der 2005 einem ebenso uninspirierten wie überflüssigen Remake zum Opfer fiel. In einem verlassenen Gefängnis verbarrikadiert sich ein von Natasha Henstridge und Pam Grier befehligtes Sonderkommando der matriarchalisch organisierten Marsregierung, um den aussichtslosen Kampf gegen eine ihnen zahlenmäßig weit überlegene Truppe von Zombies und Marsgeistern aufzunehmen. Unterstützt werden sie von einer Gruppe Strafgefangener, die von dem einschlägig erfahrenen Gangsta-Rapper und Filmemacher Ice Cube angeführt werden.  Trotz der überzeugenden Besetzung, einem treibenden Soundtrack, den die Trash-Metal-Experten von Anthrax gemeinsam mit dem Horror-Altmeister einspielten, und dem sympathischen B-Picture-Charme der billigen Effekte überzeugt GHOSTS OF MARS nicht durchgehend. Carpenter lässt sich auf das riskante Unternehmen ein, eine straighte Handlung, die in jeden Ego-Shooter eingebaut werden könnte, mit dem RASHOMON-Prinzip des unzuverlässigen Erzählens zu kombinieren. Die Logik der verschachtelten Narration erschließt sich nicht wirklich und wirkt angesichts der permanenten Action ein wenig aufgesetzt. Dennoch erscheint GHOSTS OF MARS wesentlich unterhaltsamer als die meisten hoch budgetierten Mainstream-Action-Produktionen. Er repräsentiert eine inzwischen fast in Vergessenheit geratene Old School der Action-Stylisten, die sich ideal mit den Eighties-Riffs des Soundtracks und der selbstironischen Gelassenheit des Original Gangstas Ice Cube ergänzt.

 

Filmographie:

1974    DARK STAR (Finsterer Stern)

1976    ASSAULT ON PRECINCT 13 (Assault- Anschlag bei Nacht / Das Ende)

1978    SOMEONE´S WATCHING ME (Das unsichtbare Auge, TV-Film)

1978    HALLOWEEN (Halloween- Die Nacht des Grauens)

1979    ELVIS (Elvis- The King, TV-Film)

1980    THE FOG (The Fog- Nebel des Grauens)

1981    ESCAPE FROM NEW YORK (Die Klapperschlange)

1982    THE THING (Das Ding aus einer anderen Welt)

1983    CHRISTINE

1984    STARMAN

1986    BIG TROUBLE IN LITTLE CHINA

1987    PRINCE OF DARKNESS

1988    THEY LIVE (Sie Leben)

1992   MEMOIRS OF AN INVISIBLE MAN (Jagd auf einen Unsichtbaren)

1993    BODY BAGS (TV-Film)

1995    IN THE MOUTH OF MADNESS (Die Mächte des Wahnsinns

1995    VILLAGE OF THE DAMNED (Das Dorf der Verdammten)

1996    ESCAPE FROM L.A. (Flucht aus L.A.)

1998    VAMPIRES

2001    GHOSTS OF MARS

 

Literatur:

Anne Billson. The Thing (London, 1998) 

Gerhard Hroß: Escape to Fear (München 2000)

Frank Schnelle. Suspense. Schock. Thrill - John Carpenter und seine Filme. (Stuttgart, 1991)