Deconstruction Derby
South Park- Bigger, Longer, Uncut
(ursprünglich erschienen in Splatting Image)
Wenn die SIMPSONS die postmoderne Aufklärung darstellen, dann thematisiert SOUTH PARK deren dialektische Kehrseite. Im Springfield der Simpsons erhalten sämtliche Entwicklungen der realen Gesellschaft ihr Zeichentrick-Spiegelbild mit Hilfe von einem komplexen Netz aus Subplots und einem Ensemble von im Laufe von zehn Jahren immer weiter ausdifferenzierten Nebenfiguren. Reale Schauspieler treten ständig als Gaststimmen auf. James Woods (VIDEODROME) bereitet sich als Method Actor in Apus Supermarkt auf seine Rolle als gestreßter Verkäufer vor, Leonard Nimoy versucht verzweifelt seinem Image als Mr.Spock zu entkommen und der amerikanische Künstler Jasper Johns klaut auf einer von Isabella Rosselini für Homer Simpson veranstalteten Vernissage alles was, nicht niet und nagelfest ist für seine Installationen. Die SIMPSONS führen wie keine andere Serie vor, wie die postmoderne Mediengesellschaft funktioniert.
Das Redneck-Nest SOUTH PARK hingegen zeigt die Auswirkungen der Postmoderne in einer einzigen Dekonstruktionsorgie, deren bisherigen Höhepunkt der Film BIGGER, LONGER, UNCUT bildet. Surreale Intermezzos finden sich bei den SIMPSONS vor allem in den exzellenten Halloween-Folgen. Bei SOUTH PARK sind sie ein fester Bestandteil des Alltags. Jesus moderiert seine eigene Talk-Show im Privatfernsehen und tritt in einem Boxkampf gegen den Fürst der Finsternis an. Der Sohn des Satans, Damien, bekannt aus den OMEN-Filmen, besucht die örtliche Grundschule und hat auf Grund seiner übernatürlichen Fähigkeiten größte Schwierigkeiten sich mit dem SOUTH PARK-Mob, bestehend aus Kyle, Stan, Cartman und dem in jeder Episode auf eine andere Weise sterbenden Kenny zu arrangieren. In der Kanalisation lebt Hanky, der nette Weihnachtskot, und es findet sich kaum ein Charakter in SOUTH PARK, der nicht in irgendeiner Weise psychotisch veranlagt ist. Die große Ausnahme stellt der von Soul-Star Isaac Hayes synchroniserte Koch Chef dar, der jedesmal, wenn er um Rat gefragt wird, zweideutige Song-Einlagen zum Besten gibt.
Die Bigotterie der Gesellschaft, die bei den SIMPSONS diskursiv verhandelt wird,
demontiert SOUTH PARK durch deren offensive Entlarvung. Wenn Cartman sich an
Halloween als Hitler kostümiert, empfiehlt ihm der besorgte Klassenlehrer sich
doch stattdessen als "lustiges Gespenst" zu verkleiden, mit dem Resultat, daß
der ständig fluchende Dicke, dem keiner erklärt hat, daß "Jew" kein Schimpfwort
ist, später als Einziger vom Ku-Klux-Klan Süßigkeiten beim
Trick-or-Treat-Spielen erhält.
Diese Strategie hat weniger den immer wieder in Kritiken zum Film thematisierten politisch inkorrekten Tabubruch mit "Boah Ey"-Effekt zum Ziel, sondern funktioniert, wie in der Jungle World neulich treffend festgestellt wurde, als "popkulturelle Ideologiekritik an einer verklemmten Spießergesellschaft, die sich auf dem Weg zum semifaschistischen Staat befindet."
Und auf diesem Weg befindet sich die Gesellschaft im Zeichen von Rassismus, blindem Fanatismus und Zensurwahn in BIGGER, LONGER, UNCUT stärker als jemals zuvor in der Serie, mit dem Ergebnis, daß der Film die einfallsreichste Politsatire seit langer Zeit bietet. Für den Ausflug auf die Leinwand wählten die SOUTH PARK-Autoren Trey Parker und Matt Stone die Form eines Musicals, das so ziemlich jedes Klischee der Songnummern aus den Disney-Produktionen ins Visier nimmt. Nachdem der Fürst der Finsternis erneut von seinem diabolischen Liebhaber Saddam Hussein vor dem kurz zuvor wieder einmal verstorbenen Kenny lächerlich gemacht wurde, träumt er zu schmachtenden Geigenklängen vom friedlichen Leben auf der Erde. Dieser Song paßt im Stil so gar nicht zu dem zuvor präsentierten Breughelschen Höllenszenario. Als ein Krieg zwischen den USA und Kanada ausbricht, verläuft die Politisierung der SOUTH PARK-Kids über die Frage, was der Eiskunstläufer und Superheld Brian Boitano in ihrer Situation machen würde. Dabei rufen sie jedoch vorerst nur den Dauer-Nebendarsteller Brian Dennehy auf den Plan, der sich irrtümlicherweise angesprochen fühlt.
Bereits nach dem ersten Song über die "Little White Trash Redneck Mountain Town" konfrontiert BIGGER, LONGER, UNCUT Kyle und seine Freunde mit dem Furz-Fiasko ASSES OF FIRE. Dieser Film-im-Film mit dem kanadischen Komikerduo Terrence and Phillip erfüllt sämtliche Klischees in Sachen Fäkalhumor, die der Serie immer wieder von ihren Gegnern unterstellt werden. Nachdem Kenny versucht dem Beispiel auf der Leinwand zu folgen und beim Anzünden eines Furzes und der anschließenden Notoperation unter der Regie von Gastsprecher George Clooney, bei der ihm aus Versehen eine Bratkartoffel eingepflanzt wird, sein Leben läßt, gründet sich eine Initiative besorgter Eltern, die den "jugendverderbenden Schmutz" bekämpfen will. Die Ursachen für den vermeintlichen moralischen Verfall der Kids werden natürlich im nördlichen Nachbarland Kanada ausfindig gemacht, das sich im kulturellen Bereich neben dem Export von Bryan Adams, für den man sich jedoch schon offiziell entschuldigt hat, in erster Linie aus den Einkünften der Terrence and Phillip-Show finanziert. Auch Cartman bekommt nach einer Darbietung seines Songs "Kyle´s Mum is a Big Fat Bitch" die repressiven Maßnahmen des faschistoiden Moralistenmobs am eigenen Leib zu spüren. Der schuleigene Mad Scientist implantiert einen V-Chip in seinen Kopf. Dem real existierenden Vorbild entsprechend, das in amerikanischen TV-Geräten sämtliche Four Letter-Words automatisch zensiert, versetzt der Chip Cartman bei jeder unerwünschten Äußerung einen heftigen Stromschlag.
Es dauert nicht lange und der moralische Feldzug, der dem Motto der amerikanischen Filmzensur folgt, daß extreme Gewalt legitimiert sei, so lange keine schmutzigen Wörter dabei verwendet werden, führt zur Kriegserklärung. In den Staaten lebende Kanadier werden in Konzentrationslager verschleppt und die US-Army verhaftet das gegnerische Komikerduo während eines Besuchs bei der Conan ´O Brien-Show. Die öffentliche Exekution von Terrence und Phillip soll als Höhepunkt einer spektakulären Military Entertainment Show stattfinden. Gewarnt von Kennys Geist, daß im Fall einer vollzogenen Hinrichtung Satan und Saddam Hussein die Weltherrschaft erobern, ergreifen Kyle, Stan und Cartman die Initiative. Gemeinsam mit einem kettenrauchenden, französischen Existenzialisten und dem pathetischen Musterschüler Gregory, einer Alptraumgestalt wie aus einem James Ivory-Film, gründen die Kids La Resistance und beschließen die Military Show zu sabotieren.
Neben der bissigen Handlung, die einen treffenden Kommentar zur Verlogenheit der immer wieder aktuellen Zensurdebatte liefert, lebt BIGGER, LONGER AND UNCUT vor allem von den zahlreichen Details, die im formal bewußt minimalistisch gehaltenen Stil der TV-Serie Eingang in den Film finden. Parker und Stone spielen geschickt mit Erwartungshaltungen und Gegensätzen. Jedesmal wenn kitschige Momente ins Spiel kommen, werden diese eine Szene später um so genußvoller durchbrochen. Kyles herzerweichende Ansprache an seine Mutter, die sogar dazu führt, daß die unter anderem mit Kettensägen gegeneinander kämpfenden Soldaten gerührt ihre Waffen fallen lassen, kann nicht verhindern, daß diese Terrence und Phillip trotzdem erschießt. Konsequenterweise mündet der Film in ein bewußt übersteigertes Happy-End mit Kenny als seltsamer Erlöserfigur und einem springenden FREE WILLY-Wal.
Lediglich Isaac Hayes´in der Serie weitaus exponiertere Chef-Figur kommt im Film etwas zu kurz. Dafür darf er die Operation Lebendes Schutzschild, das den Befehlen der US-Army entsprechend nur aus Afro-Amerikanern besteht, erfolgreich sabotieren und steuert einen netten Running Gag bei, indem er den ahnungslosen Stan auf die Suche nach der mysteriösen Klitoris schickt. Nach der erfolgreichen Kino-Adaption von SOUTH PARK bleibt abzuwarten, wann endlich auch die SIMPSONS den Weg auf die Leinwand finden werden.