AndreasRauscher

Jean-Luc Godards Verachtung der amerikanischen Nächte Francois Truffauts

"le mépris kann keine Vorstellung vom Kino geben, es kann, jedenfalls habe ich das versucht, eine Vorstellung von Leuten im Kino geben, und das finde ich weniger unehrlich als eben zum Beispiel den Film von Truffaut, der den Leuten zu sagen versucht: So läuft es beim Film. Und die Leute verstehen zwar nichts von alledem, aber sie sind zufrieden, in ihrer Vorstellung bestärkt worden zu sein, dass man davon sowieso nichts verstehen kann." 

Jean-Luc Godard über la nuit américaine

 

In Eine wahre Geschichte des Kinos bedauert Jean-Luc Godard den Verlust des Dialogs im Film: "Die Leute reden nichts miteinander, und dann in dem Moment, wo sie reden müßten, ist der Film aus." Als favorisiertes Beispiel für dieses Dilemma nennt er Spielbergs UFO-Drama close encounters of the third kind (Unheimliche Begegnung der dritten Art, USA 1977): "Er weiß nicht, was er dem Marsmenschen sagen könnte, weder als irdisches Wesen noch als Marsmensch. Und so behaupte ich als Marsmensch, daß das ein ziemlich schlechter Film ist." - Bei dieser etwas pauschalisierenden Analyse geht es jedoch weniger um die Prinzipien der Nouvelle Vague aus der Sicht e.t.´s. Godard beschäftigt anscheinend vielmehr der Verlust des Dialogs mit dem Darsteller des französischen UFO-Experten aus "dem Film von Spielberg", dessen Titel er aus stilisierter Verachtung erst gar nicht erwähnt. Dabei handelt es sich um niemand anderen als Francois Truffaut, Godards ehemaligen Verbündeten in den atemlosen Anfangstagen der Nouvelle Vague und Kritikerkollegen bei den Cahiers du Cinema. Godard versuchte mit dem Kollektiv Dziga Vertov und dem mit Jane Fonda und Yves Montand besetzten marxistischen Star-Vehikel tout va bien in den frühen 70er Jahren Film-Politik als Strategie von unten zu betreiben. Truffaut hingegen nahm die Strategie des Kinos von unten als Utopie beim Wort und drehte den von Godard nicht nur im Vergleich zu seinem eigenen le mépris verachteten la nuit américaine - eine Liebeserklärung an ein in dieser Form nicht mehr existentes Kino. In der Rolle des Regisseurs Ferrand kämpft Truffaut auf einem opulenten Set in Südfrankreich mit allen denkbaren Problemen einer konventionellen Studioproduktion. Als einfühlsamer Beobachter kümmert er sich geduldig um die Probleme der ganzen Filmcrew. Der Markt der Lügen, auf dem Fritz Lang (in einer Anspielung auf Bert Brecht) und Jean-Luc Godard in le mépris in mühevoller Arbeit am Detail ihre Waren anbieten, verwandelt sich bei Truffaut in einen cineastischen Karneval, in den sich der auteur als Mitglied eines großen familiären Ensembles auf sehr demokratische Weise einreiht. la nuit américaine bietet einen inszenierten Blick hinter die Kulissen - ein romantisiertes Making of.

Truffaut weist in la nuit américaine auf die Differenz von Film und Wirklichkeit hin und romantisiert diese zugleich. Ein auf einem hohen Gerüst angebrachtes Fenster dient ihm nicht als Metapher für den Blick des Betrachters im Kino, sondern als optische Täuschung. Mit verspielter Entdeckungslust zeigt Truffaut, wie die Kamera durch ihren Bildaussschnitt das Gerüst in den Balkon eines Appartements verwandelt. Regen entsteht durch eine aufwendige technische Anlage, die Schnee auch im sommerlichen Südfrankreich produzieren kann. Selbst als der Hauptdarsteller des Retorten-Melodrams pamela tödlich verunglückt (in le mépris das tragische Ende einer fin du partie der Liebe im Spätkapitalismus), lässt Ferrand / Truffaut, lange vor den digitalen Reanimationsverfahren von the crow, seinen Star für die obligatorische Schlussszene noch einmal in Form eines Doubles von den Toten auferstehen. Wie man über die Probleme eines klassischen Studiofilms hinaus, eine Katze vor der Kamera dazu bekommt im richtigen Moment aus dem Milchnapf zu lecken, präsentiert Truffaut als ironische Insider-Anspielung auf ähnliche Erfahrungen bei den Dreharbeiten zu seinem Film la peau douce. Sein Abschied vom Mythos des allmächtigen Regisseur sollte "nicht die ganze Wahrheit, aber zumindest etliche wahre Dinge über das Filmemachen" zeigen. Die Wahrheit des Kinos liegt für Truffaut jenseits einer wahren (und Waren-) Geschichte des Kinos in der Leidenschaft für dessen Mythen. Er inszeniert seine Hauptdarstellerin Jacqueline Bisset als Star und studiert auf einem Foto ihr Erscheinungsbild, lässt Deleuzsches Aktions- und Zeitbild zusammenfallen. Genau diese "Lust am Sehen", gleichzeitig subjektive Durchbrechung und Reaffirmation des klassischen Hollywood-Systems, führte Truffaut ins Kreuzfeuer der Kritik, die, nachdem Alfred Hitchcock und Roger Ebert la nuit américaine zum besten Film über das Filmemachen an sich erklärt haben, mit missionarischem Eifer Jean Luc-Godard übernahm: "Wahrscheinlich wird dich niemand Lügner nennen, also tue ich es. Das ist keine größere Beleidigung als Faschist, es ist eine Kritik, und Filme wie dieser... hinterlassen nur die Abwesenheit von Kritik... Lügner, denn die Einstellung von dir und Jacqueline Bisset neulich abends bei Francis fehlt natürlich in deinem Film und man fragt sich, warum der Regisseur der einzige ist, der in la nuit américaine nicht bumst... Du sagst:´Filme sind wie große Züge in der Nacht, aber wer nimmt den Zug, in welcher Klasse sitzt man und wer ist es, der den Zug steuert, mit dem Spitzel von der Direktion an seiner Seite ?... Und wenn Du nicht vom TEE redest, dann vielleicht vom Vorortzug oder dem von Dachau nach München... Euch hindert niemand daran den Zug zu nehmen, aber ihr hindert andere daran. Und ich stecke fest."

Auf die Ideologiekritik  des selbsternannten strangers on the cinematic train reag ierte Truffaut verletzt und ungewöhnlich direkt: " Was Du von la nuit américaine denkst, ist mir absolut egal, aber was ich so jämmerlich finde, ist, daß Du immer noch nicht aufgehört hast Dir solche Filme überhaupt anzusehen, Filme, deren Inhalt Du schon im voraus kennst und die weder Deiner Vorstellung vom Kino noch Deiner Lebensanschauung entsprechen."

Der belehrenden Haltung von Godards Selbstinszenierung als kritische Stimme der Revolution setzte Truffaut trockenes Understatement entgegen: Die wahren Militanten seien Putzfrauen, Godard hingegen wäre wie Ursula Andress, ein self-made Star, der kurz auftaucht, um ein paar bedeutungsschwangere Worte abzulassen und mit seinem Verhalten zu überraschen und danach zu verschwinden "wie ein Arschloch auf seinem Sockel." Das Prinzip der Gleichheit existiere für Godard nur in der Theorie. - Auch wenn mit dieser Antwort der Zug für eine spätere Versöhnung der beiden ehemaligen Nouvelle Vague-Stars endgültig abgefahren war, verband sie dennoch eine entscheidende Gemeinsamkeit: Jeder von beiden verabschiedete sich auf seine Weise von einem genialischen Autorenbegriff.

"I don´t believe in the solitude of an artist and the auteur with a capital  A...In general, there is a tendency today to consider the problems of the director without thinking that behind him there are many other figures equally important in the making of the film." -
Jean- Luc Godard (1983)

"la nuit américaine ist ein demokratischer Film, gemessen an dem, was man auf der Leinwand sieht... Ich kann die Regisseure, die la nuit américaine kritisieren, durchaus verstehen, nur finde ich, sie sollten ihre eigene Version abliefern." -
Francois Truffaut (1981)

 

Godard forderte die Film gewordene Filmkritik, die Truffaut nicht realisieren wollte und nicht realisieren konnte. Mit le mépris hatte Godard zehn Jahre zuvor seine eigene sowohl negativ dialektische, als auch melodramatische Form der Filmkritik als Film ins Kino gebracht. Truffaut begeisterte sich dagegen für die uneingelöste Utopie im illusionären Raum des Kinos zugleich ein Forum für die Alltagswelt zu bieten. Der romantische Blick auf die sinnlichen und emotionalen Bedürfnisse der Leute, die an der Kinokasse ihre 5$ ausgeben, führte Truffaut schließlich ganz unprätentiös zu Spielbergs close encounters der cinephilen Art. Obwohl sie sich sehr unterschiedlicher Stilformen bedienen, verbindet Truffaut und Spielberg ihre Begeisterung für die Magie des Kinos und den verführerischen Schein der Illusionen. Godard versuchte hingegen aus einer zunehmend größeren Distanz heraus, die Kulturindustrie mit ihren eigenen Mitteln zu kritisieren und seinen eigenen Status darin zu reflektieren. Während Truffaut selbst als idealisierter fiktiver Regisseur in la nuit américaine vor die Kamera tritt, hielt Godard in le mépris am gestischen Prinzip der Typenpräsentation im Sinne Brechts fest. Sämtliche seiner Darsteller bis hin zu Fritz Lang (als er selbst bei der Arbeit zu einem Film, den er nie gedreht hat) traten als Stellvertreter für Positionen im Produktionsprozess auf. Truffaut hingegen agierte die Begeisterung für das Kino in seinen Filmen selbst aus. Mit der Figur Ferrands in la nuit américaine sucht er (nicht als er selbst) die Überhöhung der Person ins Symbolische. Doch dieser realisateur der fiktiven Studio-Schmonzette pamela folgt eben nicht mehr den Klischees des grüblerischen und in sich selbst versunkenen Autorenfilmers, die zur gleichen Zeit auf der anderen Seite des Rheins fröhliche Urstände feierten. Das seit den 80er Jahren besonders im amerikanischen Independent-Kino verbreitete enthierarchisierte Prinzip des auteurs als Popstar, wie es Jim Jarmusch und Quentin Tarantino auch schauspielerisch vertreten, vereinigte später schließlich die konträren Positionen Truffauts und Godards.

Godard wollte, wie er im Prolog zu le mépris erklärt, die wahre Geschichte des Kinos als einer Welt erzählen, die nach André Bazin "auf das Begehren des Zuschauers zugeschnitten ist". In seiner späteren Kritik an la nuit américaine hatte er jedoch übersehen, dass es noch andere Teile dieser brüchig gewordenen großen Erzählung gibt. Truffaut versuchte das Begehren im Illusionären zu erfüllen, Godard hingegen die Illusion zu dekonstruieren und das Begehren als (unerfülltes) Begehren bewusst zu machen. In seinem Vorwort zu Truffauts posthum veröffentlichten Briefen schrieb Godard: " Warum habe ich mich mit Francois gestritten? Das hat nichts zu tun mit Genet oder Fassbinder. Etwas anderes. Glücklicherweise namenlos. Gebliebenes. Idiotisches, Gebliebenes. Glücklicherweise, während alles andere zum Zeichen wurde, zum sterblichen Dekor, Algerien, Vietnam, Hollywood und unsere Freundschaft, unsere Liebe zum Realen. Gesang der Zeichen und Schwanengesang....Francois ist vielleicht tot. Ich bin vielleicht lebendig. Es spielt keine Rolle, nicht wahr.

Auch wenn dieser Streit in Godards Erinnerung "glücklicherweise namenlos" blieb, so sagt er dennoch einiges über das unterschiedliche  Verständnis der beiden Regisseure vom Kino und das Filmen über den Film aus. Die Narration von le mépris betont die Ellipsen und klammert bewußt entscheidende dramatische Ereignisse aus, um der Illusion keinen in sich geschlossenen Raum zu bieten. la nuit américaine schafft im Gegensatz dazu einen Mythos zweiter Ordnung, der den Illusionsbruch selbst zum Gegenstand einer fiktionalisierten Handlung macht. Aus heutiger Sicht liegt die Ironie des Konflikts darin, dass Godard, der sich zur Zeit der Auseinandersetzung mit Truffaut überwiegend auf Videoprojekte konzentriert hatte, Anfang der 80er Jahre mit Filmen wie passion und detective nochmal ein fulminantes Comeback feierte. Im Nachhinein entwickelte er sich erneut zum Popstar des Autorenkinos und nahm flankiert von Francis Ford Coppola genau jenen Status ein, für den er Truffaut zehn Jahre zuvor heftigst kritisiert hatte. Retrospektiv erscheint die Auflösung des auteur-Stars Jean Luc-Godard im Kollektiv Dziga Vertov als sympathische Geste, die sich unter ähnlich konstruierten Bedingungen vollzog, wie David Bowies Band Tin Machine oder das Projekt des Gangsta-Rap-Stars ICE-T mit der Speed-Metal-Combo  Body Count als einfaches Bandmitglied aufzutreten. Am Ende war die Nouvelle Vague nicht ein Patchwork der Minderheiten, sondern eine neue große Erzählung, die, wie Godard schon in Hinblick auf Truffauts in sich widersprüchliche Biographie anmerkte, selbst wahrscheinlich irgendwann ihren Weg auf die Leinwand finden wird. Der von der Nouvelle Vague gestartete Zug rast weiter in das Dunkel des Kinosaals, um die Leinwand zwischen dem Alltag des Spätkapitalismus und der Utopie, die in der Fiktion angedeutet wird, zu durchbrechen. Der Unterschied zwischen le mépris und la nuit américaine bestand in erster Linie zwischen der Wahl der Projektionsfläche. Truffaut suchte nach dem Moment der Wahrheit im Falschen. Darin fand sich die gemeinsame Ausgangsbasis für seine Zusammenarbeit mit Spielberg, an dem er bewunderte, dass er das Phantastische im Alltäglichen entdeckt. Godard hingegen interessiert die Wahrheit, die für einen Sekundenbruchteil hinter dem schönen Schein der Projektion aufblitzt. Dabei fand er in den letzten Jahren Verbündete wie Abel Ferrara mit seinen dangerous games, in dem der echte Popstar Madonna in der Rolle eines kulturindustriellen Stars auftritt, und unerwartete Epigonen wie Quentin Tarantino, der mit pulp fiction die condition postmoderne zur Implosion brachte, um schließlich mit Pam Grier in jackie brown vergessene Geschichten der Traumfabrik neu zu entdecken (auch wenn Jean Luc-Godard dafür wahrscheinlich nicht seine, von ihm immer wieder als Metapher für die Kulturindustrie Kino bemühten, 5$ pro Woche an der Kinokasse ausgeben würde). Tarantino behandelt in seinen Arbeiten die Auswirkungen der Filmgeschichte auf den Alltag der Postmoderne. Ganz im Sinne von Godards Satz, dass die Art und Weise, in der man ein Zitat gebraucht, eine eigene Lesart andeutet, gelangen die Protagonisten bei Tarantino zu einer Authentizität zweiter Ordnung. Die in Songs und Filmzitaten präsenten Mythen der Popkultur gewinnen durch den individuellen Umgang der Personen mit ihnen eine neue Ernsthaftigkeit. 

Die Fortsetzung der Nouvelle Vague mit anderen Mitteln durch Regisseure wie Quentin Tarantino oder die skurrilen Shopping Mall-Diskurse von Kevin Smith (clerks, chasing amy) verhindert, dass die Filme von Godard und Truffaut zum sich selbst genügenden Gesamtwerk werden. Der Bruch mit einer selbstgefälligen Tradition der Qualität, die immer wieder von Partisanen der Hochkultur als regressives Genie-Pathos artifiziell und ästhetizistisch herbeigeredet wird, bleibt dadurch bestehen. Das Kino als Kritik seiner selbst gelangt durch die Aktualisierung der Ansätze der Nouvelle Vague zu neuen Qualitäten und Intensitäten, und diese kommen mit Regisseuren wie Spike Jonze (being john malkovich) oder Paul Thomas Anderson (boogie nights, magnolia) nicht selten aus dem Zentrum der Kulturindustrie selbst.