Postmoderne Revisited
Downtown 81
(ursprünglich erschienen in Splatting Image)
Der früh verstorbene Graffiti-Künstler Jean-Michel Basquiat (1960-1988) zählte
zu jenen Ausnahmetalenten, die sich stilsicher im Minenfeld zwischen Underground
und Kunst-Mainstream bewegen konnten. Protegiert von Andy Warhol entwickelte
sich Basquiat Anfang der 80er Jahre zum Shooting-Star der New Yorker Kunstszene.
Im Winter 1980 drehte er mit dem Fotographen und Regisseur Edo Bertoglio den
Film DOWNTOWN 81, in dem sich Dokumentarisches und Fiktion vermischen. Der lange
Jahre verschollene und erst letztes Jahr fertiggestellte Film schildert einen
(inszenierten) Tag im Leben des Künstlers vor den realen Kulissen der New Yorker
Szene in den frühen 80ern. Um seine Miete bezahlen zu können, muß Basquiat
innerhalb von einem Tag einen Käufer für sein neuestes Gemälde finden. Auf
seiner Odyssee durch Downtown NY begegnet er Stars der Szene wie Deborah Harry
und Bands wie Kid Creole & the Coconuts. Er nimmt an einer Hip Hop-Jam teil, die
sich noch weit vom heutigen Massenappeal des Genres entfernt befindet und eher
wie eine gemütliche Session im Jugendzentrum um die Ecke wirkt. Unterwegs sprüht
Basquiat Graffitis, probt mit seiner Band Gray und verliebt sich in eine schöne
Unbekannte.
Die Variante des postmodernen Selbstportraits erfreute sich in den 80er Jahren einer verstärkten Beliebtheit. Dabei kam es nicht darauf an, daß die abgebildete Wirklichkeit der Wahrheit entspricht, sondern daß eine möglichst interessante Geschichte erzählt wird. Die Strategie der fiktionalisierten Selbstdarstellung gehörte zum Standardrepertoire des postmodernen Pop. Fiktionaler Fake und Dokumentation ergänzten sich gegenseitig. Nachdem 1996 bereits das Leben Basquiats in einem Biopic mit prominenter Besetzung (unter anderem Dennis Hopper und David Bowie) als atmosphärische Pop-Collage verfilmt wurde, folgt jetzt die fiktive Dokumentation des echten Basquiats.
Filme wie DOWNTOWN 81 sind Dokumente einer Zeit, in der die Postmoderne noch als unterhaltsames Referenzspiel verstanden wurde. Da der stilisierte Blick des Stars auf sich selbst im Mittelpunkt steht, beansprucht man erst gar nicht die Authentizität eines Dokumentarfilms, und dennoch liefert das Portrait aus der Distanz heraus einen unmittelbaren Eindruck vom Selbstverständnis und dem Umfeld der New Yorker Kunstszene Anfang der 80er. In dieser Hinsicht bildet DOWNTOWN 81 die passende Ergänzung zum BASQUIAT-Biopic, das sein Kollege Julian Schnabel 1996 realisierte. Schnabel besetzte sich selbst in BASQUIAT mit dem wesentlich schlankeren Gary Oldman und erklärte sich spontan zum väterlichen Freund des Graffiti-Künstlers, mit dem er in Wirklichkeit nur beiläufig zu tun hatte. Seinen Hauptdarsteller Jeffrey Wright inszenierte er in der Rolle Basquiats als ständig etwas verschlafen dreinblickenden Einzelgänger. Das reale Vorbild erscheint in Bertoglios Film hingegen als hyperaktiver und charmanter Selbstdarsteller, der die eigene Geschichte in einen filmischen Event verwandelt. DOWNTOWN 81 vermittelt die allgemeine Aufbruchsstimmung der damaligen Zeit und bietet dadurch eine interessante Vorgeschichte zu Schnabels melancholischem Rückblick.