Liegen Lernen
LIEGEN LERNEN entwickelt im Gegensatz zu Benjamin Quabecks VERSCHWENDE DEINE JUGEND nicht aus dem popkulturellen Hintergrund der 80er seine Geschichte, sondern verfährt genau umgekehrt. Der Alltag dieses Jahrzehnts zwischen kollektiver Anti-AKW-Betroffenheit und individueller Apathie bildet das Ambiente für die unspektakuläre Biographie des Protagonisten Helmut. Dieser von Fabian Busch dargestellte Anti-Held ohne Anti-Haltung erinnert nicht von ungefähr an die Charaktere aus den Romanen des britischen Autoren Nick Hornby (HIGH FIDELITY). Doch während sich diese selbst unter zunehmend widrigen Umständen wenigstens für die ohne ihre Kenntnis verschwundenen Mikrokosmen der Popkultur begeistern können oder beharrlich auf den tatsächlich überraschend wieder eintretenden Erfolg ihres favorisierten Fußballvereins warten, zeichnet sich Helmut lediglich durch seine Passivität aus. Als werdender Vater flüchtet er sich vor der drohenden Verantwortung und begibt sich auf eine Reise in seine Vergangenheit, die eigentlich nie richtig in Bewegung gerät. Sie endet vorschnell auf dem Asphalt in einer Pfütze. Aus dieser Situation heraus berichtet Helmut im Voice-Over über sein Leben, in dem er sich bisher immer wieder erfolgreich gerade auf Grund seiner abwartenden Haltung aus allen Affären ziehen konnte, sowohl in beruflicher, als auch in privater Hinsicht. Dennoch trauert er seiner verlorenen Liebe aus den frühen 80ern, einer für Nicaragua und gegen Atomkraft engagierten Schülersprecherin, nach. Auf der damaligen Klassenfahrt nach Berlin hat es kurzzeitig gefunkt, bis sie überraschend in die USA ging. Das erste Wiedersehen nach einigen Jahren verläuft unspektakulär. Beim zweiten Treffen zieht sich Helmut, nachdem er zwischendurch den Asphalt küsste und damit die umfassende Rückblende initiierte, freiwillig ins sichere Kleinbürgerleben zurück, ohne mit der anscheinend doch nicht so sehr Vermissten überhaupt ein Wort zu wechseln. Obwohl Helmut in einer Szene sogar einen Dialog Robert De Niros aus ONCE UPON A TIME IN AMERICA, einem der pointiertesten Filme der 80er über gescheiterte Illusionen, herbei zitiert, wirkt er dabei dennoch wie in allen anderen Lebenslagen völlig leidenschaftslos.
Im Gegensatz zu Nick Hornby erzählt LIEGEN LERNEN, für den der Autor der
Romanvorlage Frank Goosen auch das Drehbuch verfasste, seine Geschichte nicht
aus einer einfühlsamen, ambivalenten Perspektive, sondern in Form eines
analytischen Psychogramms. Dieses gerät zwar in der Rekonstruktion der 80er
ähnlich detailgenau wie Hornbys Pop-Elegien, hinterlässt aber letztendlich
einen unangenehm moralisierenden Beigeschmack. Die zukünftige Kleinfamilie und
die nicht sonderlich schmerzhafte Aufgabe aller Illusionen, an die Helmut
sowieso nicht wirklich glaubt, erweisen sich am Ende als die einzig wahre
Erfüllung. Der Impuls des gebrochen romantischen Aufbegehrens im Alltag, der
Hornbys Figuren auszeichnet, ist dem gemächlichen Helmut völlig fremd.
Popkulturelle Obsessionen, wie der in FEVER PITCH überraschend erfüllte
Fußballtraum, dass sich „Boring“ doch noch in „Scoring Arsenal“
verwandelt, oder die in HIGH FIDELITY realisierte Synthese aus
Plattenladen-Poplife und neu arrangierter Beziehung finden sich in LIEGEN LERNEN
erst gar nicht. Aber in dieser Hinsicht entsprechen Film und Buch ganz dem
Charakter ihres Protagonisten, der das wirklich realistische Abbild der
Generation Golf ohne nostalgische Verklärung verkörpert. In einem euphorischen
Review zu LIEGEN LERNEN in epd Film weist der Kritiker Rudolf Worschech darauf
hin, dass die 80er Jahre vielleicht „die eigentliche bleierne Zeit, mit der
Tüteligkeit des politischen Widerstands und dem Sich-Einrichten im falschen
Leben“ waren. Diese Stimmung gibt LIEGEN LERNEN präzise wieder, von den sich
im Kreis drehenden Betroffenheitsdiskussionen in Polit-AGs bis hin zu jenem
ereignislosen Biedermeier-Kitsch, den Generation Golf-Ingenieur Florian Illies
in seinen Büchern rein affirmativ abfeiert. Aber gerade dadurch vermisst man
erst recht jene Elemente, die in diesem Jahrzehnt in Second Order-Identitäten
und diversen Nischen zumindest den Schein einer Perspektive jenseits des tristen
Alltags suchten.