Dark Water
Nicht erst seit der durch die RING-Filme ausgelösten
neuen Welle japanischer Horrorfilme fallen immer
wieder die Unterschiede zwischen westlichen und
asiatischen Genretraditionen auf. Von Kenji Mizoguchis
Drama UGETSU MONOGATARI bis hin zu JU-ON bilden
Geister in Japan keine Ausnahmeerscheinung, sondern
gehören schon fast zum spirituellen Alltag. Dass
angesichts übernatürlicher Vorkommnisse überraschte
bis abweisende Reaktionen erfolgen, aus denen diverse
westliche Horrorfilme häufig ihren ganzen
Grundkonflikt beziehen, erwartet man daher in den
meisten japanischen Geisterfilmen vergebens. Vielmehr
erinnert der Unterschied zwischen westlichen und
östlichen Sehgewohnheiten an jene Szene in Tim Burtons
SLEEPY HOLLOW, in der Johnny Depp als streng
rationaler Ermittler Ichabod Crane den in seinen Augen
abergläubischen Dorfbewohnern entsetzt erklärt, dass
es wirklich einen kopflosen Reiter gäbe, und diese
reichlich verständnislos reagieren: Natürlich gibt es
den Geisterreiter, genau aus diesem Grund hätte man
Crane ja nach Sleepy Hollow geholt.
Der Umgang mit dieser Diskrepanz zwischen
exzeptioneller Grenzerfahrung und übernatürlichem
Alltag macht den Reiz der amerikanischen Adaptionen
erfolgreicher japanischer Horrorfilme aus. Hollywood
verfährt bei der Neuverfilmung japanischer Horrorfilme
durchaus geschickt, indem man wie bei THE RING 2 den
Regisseur des Originals in die USA holt oder wie im
Fall von THE GRUDGE geschehen diesen in Tokio eine
weitere Version seines eigenen Films mit einer
eingeflogenen, amerikanischen Besetzung realisieren
lässt. Für das Haunted House-Drama DARK WATER
engagierte man hingegen Walter Salles, der durch
CENTRAL STATION und THE MOTORCYCLE DIARIES zum
Shooting-Star des World Cinema avancierte und der
nicht gerade im Verdacht steht, zu den Handlangern der
Studios zu zählen. Angesichts der Debatte über Sinn
und Unsinn solcher Neuinszenierungen geraten die
spezifischen Qualitäten der einzelnen Filme leicht in
Vergessenheit. Hideo Nakata führte etwa mit RING 2 die
in seinen japanischen Filmen etablierte Thematik der
Familienbande zwischen Dies- und Jenseits auf
interessante, wenn auch etwas missglückte Weise fort.
Auch Salles bringt seine eigenen Ansätze, gerade durch
den streckenweise eher Genre-untypischen,
realistischen Blick auf das Szenario ein.
DARK WATER bietet erwachsenes Horrorkino der subtilen
Art, das seine Wirkung neben Salles zurückgenommener
Regie dem eindrucksvollen Ensemble verdankt, allen
voran Jennifer Connelly. Als alleinerziehende Mutter
Dahlia hat sie mit den Topoi des Gothic Horrors genau
so wie mit den Widrigkeiten des Alltags zu kämpfen,
von den gut bezahlten Anwälten ihres arroganten
Ex-Gatten, mit dem sie sich um das Sorgerecht für ihre
kleine Tochter streitet, bis hin zu Schwierigkeiten
mit der Hausverwaltung jenes heruntergekommenen,
festungsartigen Sozialbaus an der Peripherie von New
York, in den sie gerade eingezogen ist. Selbst wenn
der Film vertraute Genremotive wie einen eigenartigen
Hausmeister oder feindselige jugendliche Nachbarn ins
Spiel bringt, verzichtet Salles konsequent auf den
Einsatz von Stereotypen. Durch die in seinem Remake
neu hinzugefügten Halbstarken bleibt länger im
Unklaren, ob es nicht vielleicht doch eine rationale
Erklärung für die unheimlichen Ereignisse, von den
ständigen Überschwemmungen in der unbewohnten
Nachbarswohnung bis hin zu den Fehlfunktionen des
Fahrstuhls, gibt.
Das Grauen verstärkt Salles durch seine
zurückgenommene Inszenierung, die deutlicher als in
Hideo Nakatas Original die Psychologie der
Protagonisten in den Mittelpunkt stellt und dadurch
für zusätzliche Verunsicherung sorgt. Die meiste Zeit
über befindet sich der Zuschauer bei der Protagonistin
Dahlia. In einer Sequenz nimmt der Film unmittelbar
ihre subjektive Perspektive ein, in der sich aus
Erschöpfung Einbildung und Realität vermischen. Den
verstörenden Zustand zwischen unruhigem (Alp-)Traum
und beklemmendem Alltag inszeniert Salles gekonnt. Der
fließende Übergang zwischen beiden Ebenen erinnert
gelegentlich an David Lynch, dessen Hauskomponist
Angelo Badalamenti den Soundtrack für DARK WATER
komponierte.
Im Unterschied zur japanischen Verfilmung des Romans
schießen keine Wasserfontänen aus dem Aufzug wie einst
das Blut durch die Gänge des Overlook Hotel in Stanley
Kubricks SHINING und der Geist erscheint weniger
zombieartig. Nur einige kurze Zwischenschnitte auf den
Fahrstuhl aus bedrohlicher Untersicht verweisen auf
die Möglichkeit, dass es sich um ein Tor zu einer
anderen Welt der Verlorenen, die in ihrer Einsamkeit
keine Ruhe finden, handelt. Diese Bildkompositionen
erinnern an das unterschwellige Grauen von Lars von
Triers KINGDOM / GEISTER und Nicolas Roegs DON’T LOOK
NOW / WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN, von dessen Zwerg
im roten Anorak Salles eine neue, unheimliche Variante
im blauen Bademantel schafft. Die beklemmende Enge des
tristen Appartements und die immer wieder ins Bild
gerückte Verlassenheit der Charaktere, die behaupten
familiär eingebunden zu sein und dann doch nur alleine
im Kino oder im elektronischen Wettbüro sitzen,
verstärken das Gefühl des Unheimlichen. Im Gegensatz
zu den GRUDGE / JU-ON-Filmen und auch einigen Passagen
der RING-Remakes schafft es Salles überwiegend nicht
durch CGI-Effekte, sondern durch stimmungsvoll
arrangierte Bilder und verunsichernde Hinweise das
Publikum zu fesseln. Er entwirft eine eindringliche
Variante eines modernen Spukhauses. Dieses entfaltet
seine Wirkung gerade dadurch, dass man sich lange Zeit
nicht sicher sein kann, ob man nicht wie die
gestresste Dahlia einer paranoiden Wahnvorstellungen
erliegt.
Mit DARK WATER gelang Walter Salles ein intensiver und
eindrucksvoll gespielter Horrorfilm, in dem der
Schrecken durch die präzise Inszenierung und die
stringente Dramaturgie sorgfältig konstruiert wird.
Angesichts zahlreicher, in den letzten Jahren häufig
auf der Stelle tretender Genre-Produktionen ein
erfreulicher Ausnahmefall, an dessen Ende eine
versöhnliche Geste in der Tradition der japanischen
Geisterfilme steht.