AndreasRauscher

Classical Hollywood, Cyberspace-Operas und der Planet Hong Kong in Hollywood

Ein Interview mit David Bordwell

(aus Screenshot Nr. 23, Oktober 2003)

David Bordwell, Professor für Film Studies an der University of Wisconsin, zählt zu den bekanntesten amerikanischen Filmwissenschaftlern. Er verfasste zahlreiche Standardwerke zur Filmgeschichte, dem Classical Hollywood und dem Hong Kong-Kino. Im Unterschied zu den so genannten umfassenden Grand Theories der Postmoderne, vertritt er einen kognitiven Ansatz, der sich an der konkreten Analyse der Filme und deren Kontexte orientiert. Mitte Juni machte er ihm Rahmen einer Vortragsreise zu seinem Buch „Visual Style in Cinema“ Station in Mainz. Screenshot nutzte die Gelegenheit, um sich mit ihm über die Aktualität des Classical Hollywood, die Simpsons, die Ladehemmungen von MATRIX RELOADED und die Perspektiven des asiatischen Kinos in Hollywood zu unterhalten.

Screenshot: Vor einigen Jahren haben Sie im Rahmen einer Analyse von John McTiernans DIE HARD aufgezeigt, wie sich in diesem Film Konventionen des klassischen Hollywoods fortsetzen. Wie beurteilen Sie den Einfluss dieser Strukturen auf das gegenwärtige Hollywoodkino?

David Bordwell: Es gibt viele Gründe, warum diese Strukturen bis heute fortbestehen. Die kürzeste Antwort darauf wäre, dass die heutigen klassischen Filme sogar noch klassischer sind als es diejenigen im traditionellen Studiosystem waren. Als in diesem die Richtlinien entwickelt wurden, geschah dies unterbewusst. Sie sagten nicht, das ist eine Regel und hier ist noch eine weitere. Wenn man damals Drehbuchautor gewesen wäre, hätte es niemanden gegeben, der dich mit der Gliederung in drei Akte vertraut gemacht hätte. Man sah sich einfach viele Filme an, sprach darüber und merkte vielleicht an, dass diese oder jene Szene etwas zu langsam geraten sei. Auch sagte niemand, dass sich hier die Handlungsachse befindet, die man nicht überquert. Aber jetzt werden diese Regeln an den Filmhochschulen unterrichtet. Daher glauben die Leute, dass sie all das, das sie gelernt haben, auch anwenden müssten. Die Annahme besteht darin, dass es ein Publikum gibt, das dabei mithalten kann. Daher kommt es zu Filmen wie ADAPTATION, die beinahe wie Meta-Übungen wirken.  Aber das ist kein wirklicher Bruch mit den Konventionen, denn bereits das klassische Hollywoodsystem war ausgesprochen flexibel, wenn man beispielsweise an HELLZAPPOPIN oder die ROAD-Filme mit Bob Hope und Bing Crosby denkt. Diese sind voller Anspielungen auf das, was hinter der Kamera passiert oder jemand sagt zum Publikum, dass dies der seltsamste Film wäre, in dem er je aufgetreten sei. Oder der Warner Brothers Film BOY MEETS GIRL mit James Cagney spielt in einem Filmstudio und die Protagonisten sind Drehbuchautoren. Sie sitzen im Büro des Produzenten. Eine Frau kommt herein und bittet sie darum ihrem Freund eine Rolle zu geben, da er sonst die Stadt verlassen müsste. An dieser Stelle blickt Pat O’Brien zu Cagney, sie merken beide an, „boy meets girl.”, und fügen anschließend hinzu, „boy loses girl“. In diesem Dialog wird bereits 1937 zugleich die Handlungssituation kommentiert.

Einen ähnlichen Fall gibt es im klassischen Western. Nach THE GREAT TRAIN ROBBERY drehte Tom Mix einen Film namens THE GREAT K&A TRAIN ROBBERY und er ist voller Referenzen auf den anderen Film.

Screenshot: Man hat es hier also bereits mit einer anspielungsreichen Form von Parodie zu tun.

David Bordwell: Diese Art von Selbstreferentialität ist bereits Teil des Classical Hollywood. Sie findet sich gewöhnlich in Komödie wie in ADAPTATION oder dem Ende von Robert Altmans THE PLAYER. Wir haben sie wieder erfunden, aber wir haben sie nicht erfunden. Sie war als Möglichkeit bereits im System vorhanden.

Screenshot: Es war eine Möglichkeit, die ausgebaut wurde und die mit ernsteren Stoffen kombiniert wurde, wie beispielsweise in BARTON FINK von den Coen Brüdern. Die Reflexivität wird auf ein Drama übertragen.  

David Bordwell.: Das ist ein gutes Beispiel. Diese Art von Reflexivität wird von Independent-Filmemachern wie Lynch oder den Coens noch weiter getrieben. Aber das Potential dazu findet sich bereits im Classical Hollywood. Es ist kein transparentes Kino, es versucht nicht den Zuschauer davon zu überzeugen, dass er die Wirklichkeit sehen würde. Es ist ein Kino, das sich seiner eigenen Künstlichkeit in hohem Maße bewusst ist. Es ist sich auch bewusst, dass der Zuschauer bis zu einem gewissen Grad ebenfalls um diese Künstlichkeit weiß. Das gilt für die klassische Kunst im Allgemeinen. Sie bietet eine Vorstellung von der Welt an und wir können sie ausgehend von der Welt, die wir kennen, würdigen. Aber man ist sich sehr wohl bewusst, dass es sich um ein Kunstprodukt handelt.

Ich denke, dass die Hollywood-High End-Filme, die Leute schätzen, wirklich sehr klassisch, schon beinahe hyper-klassisch, sind und auch die Filme, um die sich die Leute nicht so kümmern, Sommer-Teenie-Filme, Low End-Genreproduktionen, sind nach sehr klassischen Mustern strukturiert. Das Classical Hollywood  ist noch präsent, aber es wurde wie jedes angewandte System zu einer Tradition.

Screenshot: Mit dieser experimentieren Regisseure wie beispielsweise John McTiernan in DIE HARD. Als er sich jedoch mit LAST ACTION HERO von den klassischen Strukturen abwandte, wurde der Film zum Misserfolg. Kann es sein, dass er zu sophisticated angelegt und das Publikum nicht bereit für Bergman-Zitate in einem Schwarzenegger-Film war?

David Bordwell: Das ist richtig. Heute wäre das Publikum nach Filmen wie ADAPTATION und BEING JOHN MALKOVICH einem Film wie LAST ACTION HERO gegenüber vielleicht aufgeschlossener. Aber bei diesen Filmen gibt es ein Problem mit dem Publikum, das gleiche passierte auch mit HUDSON HAWK. Die Zuschauer, die sich diese Art von Filmen ansehen, sind nicht auf eine Parodie vorbereitet, sie wollen lieber richtige Action sehen. Es wäre ein anderes Publikum nötig, um diese Filme zu würdigen.

Screenshot: Ein cineastischeres Publikum?

David Bordwell: Richtig, aber dann würden sie 100 Millionen Dollar für Leute wie dich und mich ausgeben. Das ist nicht gerade, was sie als Zielpublikum im Auge haben.

Screenshot: Was halten Sie von der TV-Serie THE SIMPSONS? Diese Serie erklärt häufig, wie klassischer Stil funktioniert. Beispielsweise wird THE BIRDS zitiert und einen Moment später durchquert Hitchcock in einem Cameo das Bild. 

David Bordwell: Ich liebe die SIMPSONS. Ein großes Meisterwerk der amerikanischen Kultur. Das gleiche macht die Serie auch mit den klassischen Strukturen des Fernsehens. Meine Frau Kristin Thompson schrieb ein Buch über Erzählstrukturen in Hollywood. Im Nachfolger über Erzählstrukturen im Fernsehen gibt es eine Sektion über die Simpsons, in der sie über die Konvention der Sitcoms schreibt, dass, egal was passiert, nach einer halben Stunde wieder alles wie am Anfang ist. Die Leute haben einen Gedächtnisverlust und eine Woche später erinnert sich niemand mehr daran, was in der vergangenen passiert ist. Es gibt zwar Ausnahmen wie FRIENDS, wenn eine der Figuren schwanger wird, aber in der Regel ist am Ende alles wieder im Normalzustand. Am Ende einer SIMPSONS-Folge überlegt Marge, „Nun, die Dinge nahmen ihren Lauf, dann wurden sie ziemlich kompliziert, aber jetzt sind wir wieder da, wo wir angefangen haben und wir werden das, was passiert ist, nie wieder erwähnen.“ Und Homer antwortet darauf: „Wovon redest du überhaupt? Ich kann mich schon jetzt nicht mehr daran erinnern.“ – Ich denke, dass die SIMPSONS einer der großen Beiträge der amerikanischen Popkultur sind. Sie sind ausgesprochen lustig, auf so vielen unterschiedlichen Ebenen. Als Homer sich beim Springfield Film Festival als einziger für den Film, in dem jemand von einem Ball in den Magen getroffen wird, begeistert, erklärt er, dass dieser auf so vielen unterschiedlichen Ebenen funktionieren würde. Das ist genau das, was ein Filmkritiker sagen würde, aber der von ihm favorisierte Kurzfilm hat gar keine verschiedenen Ebenen.

Screenshot: Die Serie selbst nimmt eigentlich schon fast alles vorweg, was man dazu sagen könnte.

David Bordwell: Ja, sie greift jedem Kommentar voraus.

Screenshot: Beim Springfield Film Festival gibt es beispielsweise auch einen Filmkritiker, der gleich in der entsprechenden Szene die verschiedenen Bezüge thematisiert.

David Bordwell: Das ist auch eine der Funktionen von Kent Brockman in der Serie. Er gibt dem Zuschauer die fernsehbezogene Antwort auf das, was man im Fernsehen sieht. Es wird bereits vom Mechanismus der Nachrichten verarbeitet und natürlich ist es komplett falsch...Es gab eine sehr lustige Folge, in der Homer etwas sagt, während unten im Bild bereits der Hinweis abläuft, dass der Sender Fox keine Verantwortung für die geäußerten Inhalte übernimmt. Homer blickt nach unten und sieht den Text. Er beginnt ihn zu lesen, dann greift er ihn sich, isst ihn und erklärt: „Hmmmm, Subtext.“ Diese Sachen sind durchgehend erfinderisch. Es gab sogar eine Folge, in der Rupert Murdoch mit seiner echten Stimme auftrat. Sie haben ihn dazu bekommen das aufzunehmen.

Screenshot: In einer anderen Episode reflektiert Leonard Nimoy darüber, dass er nie der Rolle des Mr. Spock entkommen kann.

David Bordwell: Ja, das ist die Folge mit der Monorail-Bahn, eine der besten Episoden. Nimoy erklärt, dass er nicht Spock sei, er wäre am Broadway aufgetreten und hätte ernste Kompositionen verfasst. Und sie haben ihn dazu bekommen sich selbst zu synchronisieren.

Screenshot: Besteht hierin vielleicht eine der Alternativen zu den Grand Theories der Postmoderne?

David Bordwell: Ja, genau. Es ist so wahr und es macht sicherlich mehr Spaß als Baudrillard zu lesen. 

Screenshot: Baudrillard hat sich gerade darüber beschwert, dass die MATRIX-Filme sich über seine Theorie lustig machen würden. Ich frage mich, wie er sich eigentlich darüber beklagen kann, wenn er sie selbst nicht ernst nimmt.

David Bordwell: Er kann wirklich nicht verlangen, dass man jetzt alles ernst nehmen soll, wenn er ursprünglich behauptet hat, dass alles nur ein Spiel sei.

Screenshot: Apropos MATRIX, was halten Sie von MATRIX RELOADED?

David Bordwell: Ich war sehr enttäuscht. Der erste MATRIX war einfallsreich und richtungsweisend dafür, wie Filme in der Zukunft sein werden. Aber der zweite kam mir sehr schwach und repetitiv vor. Für mich war der Film wie ein Computerspiel konzipiert. Es war eine große und bittere Enttäuschung. Leute sitzen die ganze Zeit in Stühlen und reden endlos. Ein Freund von mir meinte, dass er daran eines der Prinzipien der Science-Fiction erkannt hätte. Immer wenn das Treffen eines Ältestenrats vorkommt, weiß man, dass man es mit einem schlechten Film zu tun hat. Das gleiche gilt auch für den ersten STAR WARS. Diese ganze Debatte über die Handelsföderation. Wir gehen doch nicht ins Kino, um uns diese ausgedehnten politischen Debatten anzuhören. Das ist für mich ein Teil des Problems. Man verwendet immer weniger Einfallsreichtum auf die Umsetzung von exponierenden Dialogszenen. Wenn man sich dagegen die Filme aus dem Classical Hollywood anschaut, wandte man dort viel Energie auf, um eine Konversation interessant zu gestalten. Personen bewegen sich innerhalb des Bildrahmens. Gesichtsausdrücke veränderten sich und das waren relativ kurze Szenen. Aber jetzt haben wir viele lange Szenen, in denen niemand etwas anderes macht als zu reden und sie bleiben dabei ständig an einer Stelle stehen. Man hat zwei Pole, einerseits diese wirklich langweiligen Konversationen und dann hat man andererseits diese Actionsequenzen, die so schnell sind, dass man ihnen kaum folgen kann. Wo bleibt der mittlere Bereich, in dem wir verständliche, gut konstruierte Actionszenen haben? Im Hong Kong-Kino hingegen sind die Dialogszenen voller Aktivitäten. Bei Tsui Hark setzen sich die Protagonisten niemals zu einem Gespräch hin. Er treibt es ein bisschen zu weit, aber trotzdem könnten wir mehr Ideen von dieser Art gebrauchen, wie Menschen in einem Raum interagieren. Es ist als ob die Hollywood-Regisseure vergessen hätten unser Interesse wach zu halten. Wenn wir erst einmal unseren Eintritt bezahlt haben, denken sie, dass sie alles mit uns machen könnten. Aber bei MATRIX RELOADED dachte ich mir, wer interessiert sich überhaupt dafür.

Screenshot: Es war wie eine Fernseh-Episode nach dem Motto, schalten Sie auch im nächsten Oktober wieder ein. Im Gegensatz dazu hat man bei X-MEN 2 eine Geschichte, die in sich abgeschlossen ist und trotzdem das Ende für eine weitere Folge offen hält.

David Bordwell: Außerdem hat man weitaus mehr Charaktere. Man konzentriert sich nicht nur auf einen. Mit X-MEN hat man eine viel größere Auswahl an Geschichten, die sich in verschiedene Richtungen entwickeln können. Aber es gibt nichts, was man noch aus der MATRIX machen kann. Es war ein echter Fehler, dass sie Keanu Reeves in einen Superhelden verwandelten. Wenn er fliegen kann, warum hängt er dann herum und kämpft gegen die anderen. In der Sequenz, in der er in diesem noblen Speisezimmer dem Schurken begegnet und alle ständig Sonnenbrillen tragen, wartete ich nur noch darauf, dass der Gegenspieler auf einmal sagt, „Stimmen Sie dem nicht zu, Mister Bond?“ Es war wie die gesprächigen Schurken in einem Bond-Film, die uns alles, was wir wissen müssen, erzählen. Ich dachte mir nur, sie haben so viel Zeit und so viel Geld aufgewandt und das ist das Resultat. Es ist zu steif und auf eigenartige Weise ist es mit den Wachowskis so wie mit vielen angehenden Filmemachern. Sie haben alle ihre Ideen in ihren ersten oder zweiten Film gesteckt. Sie bringen darin alles unter, da sie vielleicht nur einen Film machen können, und das macht diese Arbeiten meistens interessant. Aber dann nach einigen Filmen fragen sie sich, was sie noch machen können und dann wiederholen sie noch einmal das gleiche, nur größer.

Screenshot: Mehr Theorie, mehr Actionsequenzen...

David Bordwell: Mehr Theorie, mehr Action, mehr Blah-blah. Der Architekt strukturiert die Matrix um. Es war für mich bisher die größte Enttäuschung in diesem Jahr und dem Publikum geht es genau so.

Screenshot: Das macht es schwierig für den dritten Teil.

David Bordwell: Die Leute werden aus Neugier reingehen. Einige Leute, die ich kenne vergleichen die MATRIX-Filme mit dem STAR TREK-Franchise. Am ersten Wochenende läuft der Film gut, denn auf der ganzen Welt will ihn jeder sehen. Aber danach interessiert es niemanden mehr, denn der Rest der Welt kümmert sich nicht mehr darum, außer STAR TREK-Fans. Das war bei der ersten MATRIX und bei LORD OF THE RINGS nicht der Fall.

Screenshot: Diese waren eher Crossover-Erfolge.

David Bordwell: Genau. Wenn man sich den ersten MATRIX anschaut, denkt man zuerst, dass sich nur Leute dafür interessieren, die William Gibson kennen. Aber es kam der Einfluss von Animes, Kung Fu, Videospielen und dem Hong Kong-Kino hinzu. Dadurch wurden viele Zuschauer angesprochen. Aber der zweite Film erreicht nur diejenigen, die sich für die Geschichte von Zion interessieren, die auch in den ANIMATRIX-Filmen behandelt wird. Er erreicht nicht mehr das gewöhnliche Publikum. Für die Fans war er vielleicht okay, aber die Zuschauer, mit denen ich mich unterhielt, waren sehr enttäuscht. Sie bevorzugten auch X-MEN oder SPIDER-MAN, die einfacher und gerade heraus waren. Bei der MATRIX gibt es so vieles, das man aus dem vorangegangenen Film wissen muss. Es ist auch schade, dass sie nicht so viele Charaktere wie im ersten unterbringen konnten. Joe Pantoliano war wichtig als zynisches Element, aber jetzt ist alles so affirmativ. Es gibt keinen Konflikt, im Prinzip ist es eine Space-Opera.

Screenshot: Eine Cyberspace-Opera.

David Bordwell: Das wäre doch ein Titel für Ihren Artikel – Cyberspace-Opera.

Screenshot: In Hinblick auf die Elemente aus dem Hong Kong-Kino im ersten MATRIX, wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation der Hong Kong-Regisseure wie John Woo oder Tsui Hark im Hollywood-Exil? Können sie ihren Stil fortsetzen?

David Bordwell: Ich denke, Woo kann es nicht. Woo war, worüber ich auch in meinem „Planet Hong Kong“-Buch schreibe, bereits mit einem Fuß in Hollywood. Er war am meisten von allen Hong Kong-Regisseuren an Hollywood orientiert. Er war auch derjenige, von dem die meisten annahmen, dass er nach Hollywood gehen würde. Er war sich gewisser Hollywood-Konventionen sehr bewusst, er ließ sich von Scorsese, von Oliver Stone und natürlich offensichtlich von Peckinpah beeinflussen. Er war mehr ein Cinephiler als die meisten anderen Hong Kong-Regisseure. Sein Treatment für HARDBOILED war eine Art Resümee-Film, nach dem er Hollywood-Regisseur werden wollte und es funktionierte für ihn. Aber als er tatsächlich nach Hollywood kam, war er es gewohnt mit Schauspielern wie Chow Yun-Fat zusammenzuarbeiten, die wirklich gut für ihn waren.

Screenshot: Chow Yun-Fat brachte eine melancholische Komponente ein.

David Bordwell: Ja, eine romantische Form von Traurigkeit. Woo verließ sich auf Chow und er hatte ihn nicht mehr zur Verfügung. Er musste sich erneut beweisen und meiner Meinung nach ging er immer mehr Kompromisse ein. Tsui Hark dagegen lässt sich von niemandem Vorschriften machen. Seine Filme sind immer zu abgedreht für Hollywood. Er interessiert sich immer weniger dafür eine Geschichte zu erzählen. In den frühen bis mittleren Neunzigern hat er das Interesse daran verloren. THE BLADE markiert einen Wendepunkt. Ich frage jeden, der ihn gesehen hat, danach, was die Geschichte des Films war. Wie viele Gangs es gab und in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Tsui Hark gibt dem Zuschauer nur die Hälfte der Exposition.

Screenshot: Er ist mehr an der visuellen Umsetzung interessiert, wie zum Beispiel in den SWORDSMAN-Filmen mit Jet Li.

David Bordwell: Völlig, er interessiert sich immer mehr für diese verrückten Special-Effects. Er zeigt beinahe eine Comicbook-Sensibilität. Er war ein Comic-Fan und wollte Comicfilme drehen. Er lässt sich von Hollywood keine Beschränkungen auferlegen. Der Unterschied liegt darin, dass Woo ein Hollywood-Regisseur werden wollte, Tsui Hark hingegen will die Ressourcen nutzen.

Screenshot: Tsui Hark galt früher als der Spielberg von Hong Kong.

David Bordwell: In gewisser Weise auch als der George Lucas von Hong Kong. ZU – WARRIORS OF THE MAGIC MOUNTAIN war stark von Lucas beeinflusst und jetzt drehte er LEGENDS OF ZU, der sehr stark von dem zweiten STAR WARS-Zyklus beeinflusst ist, viel mehr Special-Effects und CGI. Es ist, wie wenn man ein Heavy Metal-Album mit allen Reglern nach rechts aufgedreht hört. In gewisser Weise ist sein Film TIME AND TIDE auch ermüdend. Der Schurke ist interessanter als der orthodoxe Held. Es gibt zwei Frauen, zwischen denen die Beziehung nicht wirklich klar wird. Er wechselt immer wieder zwischen Comedy- und Actionszenen. Das ist die klassische Hong Kong-Struktur. Sie würde in einem Hollywood-Film nicht funktionieren.

Screenshot: Zum Abschluss wollte ich mich noch erkundigen, was Sie von Ang Lees HULK-Verfilmung erwarten. Es handelt sich hierbei um eine interessante Kombination, asiatisches Kino trifft auf amerikanischen Comic.

David Bordwell: Ich denke, dass Ang Lee wirklich ein amerikanischer Independent-Regisseur werden wollte und er hatte dabei Erfolg. Aber er will auch ausprobieren, ob er sich als amerikanischer Mainstream-Regisseur durchsetzen kann. Er setzt sich selbst diesen Herausforderungen aus. Er will sehen, ob er in unterschiedlichen Situationen Filme für verschiedene Zuschauer wie TIGER AND DRAGON oder SENSE AND SENSIBILITY machen kann. Als Regisseur ist er keine so starke Persönlichkeit wie John Woo oder Tsui Hark. In dieser Hinsicht ist er sehr gut für Hollywood geeignet. Vielleicht wird der HULK so erfolgreich wie SPIDER-MAN, aber ich glaube, dass Lee weiterhin Sachen ausprobieren will. Er ist interessiert an der Popkultur, aber er ist ihr nicht so verbunden wie Tsui Hark, der die Popkultur liebt, weil sie verrückt ist. Diese Seite zieht Ang Lee weniger zur Popkultur, er ist an Geschichten und an grundlegenden menschlichen Gefühlen interessiert. Ang Lee will diese erzählen, Tsui Hark hingegen will den Zuschauer 95 Minuten lang durchschütteln. Das würde Ang Lee nicht machen, er will dass man sich in die Geschichte einfühlt. John Woo befindet sich in der Mitte zwischen beiden. Er weiß nicht mehr genau, was er eigentlich machen will. Mir gefiel WINDTALKERS besser als die meisten seiner anderen amerikanischen Filme. Einer meiner Freunde sagte, es sei der beste amerikanische Film, allerdings von 1966.

Screenshot: Vielleicht ist John Woo schon wieder zu klassisch. Er versuchte in MISSION IMPOSSIBLE 2 Referenzen auf NOTORIOUS einzubauen, aber das Studio interessierte sich nicht wirklich dafür. Wenn man sich den Audiokommentar der DVD anhört, hat man den Eindruck es ginge um einen ganz anderen Film.

David Bordwell: Das gilt auch für WINDTALKERS. Er versucht ein liberaler, sozial engagierter Protestfilm darüber zu sein, dass man nett zu Indianern sein soll und wie Weiße und Indianer zu den besten Freunden werden können. Aber der Rest des Films ist einfach ein Kriegsfilm. Wir werden sehen, er wird weiterhin ein starker Hollywood-Regisseur sein, aber ich erwarte keine Innovationen mehr von ihm.

Screenshot: Können die asiatischen Regisseure im Rahmen Hollywoods noch innovativ sein?

David Bordwell: Wir reden gerade über Leute, die nach Los Angeles gehen. Aber eine andere Option wäre, dass Hollywood einfach in ihre Filme investiert. TIME AND TIDE ist ein gutes Beispiel dafür. Sie erwarten nicht, dass diese Filme in Amerika zu großen Erfolgen werden, aber sie versuchen sie dort in die Kinos zu bringen. Johnny To hat zum Beispiel gerade einen Film namens TURN LEFT, TURN RIGHT für Warner Brothers gedreht, der auf einer taiwanesischen Comicserie basiert. Er wird auf Chinesisch gedreht und ist auf den regionalen Markt ausgerichtet. Warner hat keine konkreten Pläne ihn in den westlichen Kinos zu veröffentlichen. Es ist ein Hollywood-Film, da das Geld von dort kommt, aber er ist für einen lokalen Markt gedreht. Die Hollywood-Studios haben vergleichbares schon seit längerer Zeit in Europa gemacht. In den Fünfziger Jahren haben sie in viele europäische Filme finanziert, da das erwirtschaftete Kapital in Europa bleiben musste.

Screenshot: Diese Art des hybriden Filmemachens könnte eine Perspektive für das Hong Kong-Kino darstellen.

David Bordwell: Das ist richtig. So geschah es im Fall von TIME AND TIDE und von Johnny To. Hollywood Studios, vor allem jene mit Verbindungen zum asiatischen Markt wie Sony und Columbia, werden Filme für das asiatische Publikum produzieren und sie, falls sie erfolgreich sind, in einem größeren Rahmen vertreiben. Miramax hat sich beispielsweise finanziell an HERO beteiligt und momentan überlegen sie, ob sie den Film nicht auch in die amerikanischen Kinos bringen.  

 

Interview und Übersetzung: Andreas Rauscher

Für die hilfreiche Unterstützung bei der Organisation des Interviews möchte ich mich bei Professor Thomas Meder und dem Seminar für Filmwissenschaft der Uni Mainz bedanken.