Letters From Iwo Jima
Bereits während der Vorbereitungen zu FLAGS OF OUR FATHERS beschloss Clint Eastwood einen weiteren Film über die Eroberung der 1100 Kilometer vor der japanischen Küste gelegenen Pazifik-Insel Iwo Jima durch die amerikanischen Streitkräfte am 19.2.1945 zu drehen. Parallel zur Geschichte des nach der Erstürmung des Mount Suribachi entstandenen Fotos, auf dem fünf Soldaten die amerikanische Flagge hissen, beabsichtigte er in einem eigenen Film die Hintergründe jener Gegner zu erkunden, von deren Schicksal es keine Bilder gab. Die auf dem Mount Suribachi errichtete Fahne, die im ersten Film ein zentrales Motiv bildet, ist in letters from iwo jima nur kurz am Bildrand und aus großer Distanz zu entdecken.
Von den 20.000 auf Iwo Jima stationierten Japanern überlebten lediglich 1083 die Auseinandersetzung, in der auch 6821 von 100.000 amerikanischen Soldaten ihr Leben verloren. Die Schlacht dauerte fünf Wochen an. Lediglich auf Grund eines über die ganze Insel ausgedehnten Tunnelsystems war es den unterlegenen japanischen Streitkräften möglich länger als erwartet auszuhalten. Die Strategie sich zur Verteidigung in den Untergrund zurückzuziehen und sich nicht im Stellungskrieg am Strand aufreiben zu lassen, wurde von dem zu unkonventionellen Methoden tendierenden General Kuribayashi erdacht. Dieser im Film von Ken Watanabe (last samurai, batman begins) dargestellte Taktiker und Familienmensch lehnte die vom japanischen Militär praktizierten drakonischen Bestrafungsrituale ab und sorgte sich deutlicher um das Schicksal seiner Untergebenen als um rigorose Vorschriften. Kuribayashi befand sich in dem Dilemma, dass er, der in den 1920er und 1930er Jahren als Gesandter Japans mehrere Jahre in den USA gelebt hatte, eigentlich pro-amerikanisch eingestellt war und dennoch nicht sein Land verraten wollte. Eine Sammlung seiner Briefe diente als Vorlage für letters from iwo jima.
Als bewussten Gegenakzent zu den eindimensionalen Feindbildern früherer Hollywood-Kriegsfilme konzentrieren sich Eastwood und seine Drehbuchautorin Iris Yamashita ganz auf die inneren Konflikte der Protagonisten und die ungewöhnlichen Widersprüche in ihren Biographien. Der zur Stärkung der Truppenmoral nach Iwo Jima abkommandierte Baron Nishi hatte 1932 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles die Goldmedaille im Reiten gewonnen und war mit den Hollywood-Stars Douglas Fairbanks und Mary Pickford befreundet. Nachdem in der Nähe seiner Stellung ein amerikanischer Soldat verwundet wird, lässt er ihn versorgen und in Sicherheit bringen. Diesen positiv gezeichneten Charakteren stehen die Fanatiker gegenüber, die sich lieber kollektiv mit Granaten in die Luft sprengen, als in gegnerische Gefangenschaft zu geraten, und alle, die geprägt von Zweifeln die weitere Entwicklung abwarten wollen, ihren martialischen Willen zum Untergang aufzuzwingen versuchen.
Im Unterschied zu FLAGS OF OUR FATHERS wurde die Erzählung nicht auf verschiedene Zeitebenen aufgeteilt. Rückblenden in die Vergangenheit der Soldaten werden als kurze vertiefende Episoden in einer als klaustrophobisches und intensives Kammerspiel realisierten Charakterstudie eingesetzt. Die Farben erscheinen nahezu vollständig reduziert. Den im ersten Film nur flüchtig sichtbaren japanischen Gegnern gilt in letters from iwo jima die Aufmerksamkeit der Erzählung, ohne sich auf revisionistische Ansätze einzulassen. Das gesamte erste Drittel widmet sich den Vorbereitungen auf die bevorstehende Invasion und der Mentalität der einzelnen Charaktere.
LETTERS FROM IWO JIMA, der komplett auf Japanisch gedreht und mit Untertiteln veröffentlicht wurde, portraitiert die meisten der im Tunnelsystem der Insel gefangenen Soldaten als Opfer der japanischen Militärmaschinerie. Einer von ihnen wurde nach Iwo Jima versetzt, nachdem er sich geweigert hatte während einer nächtlichen Patrouille den Hund einer Familie zu erschießen, dessen Kläffen seinen Vorgesetzten störte. Die lange überlegte Entscheidung eines anderen Soldaten zu desertieren bereitet der Film dramaturgisch sorgfältig vor. Immer wieder rückt das mit unprätentiösen Mitteln ausgedrückte Gefühl der Ausweglosigkeit in den Mittelpunkt. Die Angst auf Grund einer Befehlsverweigerung das Leben zu verlieren oder die schiere Hilflosigkeit gegenüber dem von anderen Soldaten stur ausgeführten Kamikaze-Befehlen schildert letters from iwo jima auf zurückhaltende und ausgesprochen konsequente Weise.
Lediglich der Sub-Plot um einen jungen Bäcker und Familienvater lässt einen schwachen Hoffnungsschimmer in einem sonst überwiegend pessimistischen und desillusionierenden Film. Durch die Struktur des Ensemble-Films vermeidet es Eastwood geschickt sich auf eine einzelne Position festzulegen und umgeht gezielt Heroisierung oder ästhetizistisches Untergangspathos. Der Regisseur, der einst dirty harry war, hat seinem stets ausbaufähigen Alterswerk einen weiteren imposanten Eintrag hinzugefügt. Angesichts der beiden sich unmittelbar ergänzenden, ambitionierten Filme über den Krieg im Pazifik kann man sich kaum mehr vorstellen, dass der gleiche Auteur Mitte der 1980er Jahre für das zweischneidige Mobilmachungsspektakel heartbreak ridge verantwortlich zeichnete. Mit flags of our fathers und letters from iwo jima gelang ihm eine unaufgeregte und einfühlsame Studie über historisch entscheidende Kriegsereignisse aus der Sicht von Einzelschicksalen, die auf engagierte Weise einseitige Darstellungen des Classical Hollywood korrigiert.