Urban Video Legends - Die RING-Filme
RING / RINGU
Japan 1998, R: Hideo Nakata, B: Hiroshi Takahashi, K: Junichiro Hayashi, M: Kenji Kawai, D: Nanako Matsushima, Hiroyuki Sanada, Miki Nakatani
THE RING
USA 2002, R: Gore Vebrinski, B: Ehren Kruger, K: Bojan Bazelli, M: Hans Zimmer, D: Naomi Watts, Martin Henderson, Brian Cox, Start: 13.2.2003
Das japanische Original, RING 2 und das Prequel RING 0 sind bei der Firma Anolis Entertainment auf DVD und Video erschienen. Das amerikanische Remake ist bei Universal auf DVD und Video erschienen. Die Romanvorlagen von Suzuki Koji sind im Heyne Verlag erschienen.
Es gibt nur noch selten Filme im aktuellen Horrorkino, die es verstehen, den Zuschauer wirklich zu fesseln. Die kurzlebige Renaissance des Slashers als postmodernes Popcorn-Kino hat sich schnell wieder erledigt. Die endlosen Referenzketten verwiesen am Ende nur noch auf sich selbst. Das einzige Grauen bestand in der tödlichen Langeweile, die Filme wie URBAN LEGENDS 1 und 2 (USA 1998 / 2000, Jamie Blanks, John Ottman) verbreiten. Auch die Nachzügler der Fake-Doku THE BLAIR WITCH PROJECT (USA 1999, Daniel Myrick, Eduardo Sanchez) sind im Bereich der Videospiele, in denen der Schrecken auf den Betrachter eine unmittelbarere Wirkung als im sicheren Kinosessel hat, besser aufgehoben. Daher überrascht es umso mehr, dass es THE RING sowohl im japanischen Original RINGU, als auch im amerikanischen Remake gelingt, eine verstörende Wirkung zu erzielen, die lange über den Film hinaus anhält. Diese ergibt sich nicht aus expliziten Schockeffekten, sondern aus einer konsequent etablierten unheimlichen Atmosphäre, die das Grauen langsam entwickelt. Die auf einer Romanserie des japanischen Autors Suzuki Koji basierende Geschichte beginnt mit einer typischen Urban Legend, wie sie mittlerweile zu den Standardsituationen des Genres gehört. Zwei Schülerinnen erzählen sich eine campfire story für das Videozeitalter. Eine mysteriöse VHS-Kassette sorge dafür, dass deren Betrachter sieben Tage nach der Sichtung auf ungeklärte Weise ums Leben kommen. Wie beiläufig erwähnt eine der beiden, dass sie vor einer Woche genau jenes fragliche Band zu sehen bekommen hätte. Die spielerische Situation verwandelt sich zunehmend in ein unterschwellig bedrohliches Szenario. Das Telefon klingelt und der Fernseher springt von selbst an. Der restliche Verlauf des Abends bleibt unklar. Am nächsten Morgen ist das eine Mädchen tot und ihre wahnsinnig gewordene Freundin hüllt sich in Schweigen.
Eine mit der Verstorbenen verwandte Journalistin macht sich gemeinsam mit ihrem Ex-Freund auf die Suche nach den Hintergründen des urbanen Mythos. Die Spur führt auf eine entlegene Insel und in die dunkle Vergangenheit einer Nervenheilanstalt. Die Geschichte um das tödliche Video, das an einen surrealen Experimentalfilm erinnert, entpuppt sich als klassischer Konflikt um eine verdrängte Schuld. Doch der Gebrauch vertrauter Standards und Motive dient als raffinierte falsche Fährte. Die urbane Legende erweist sich als grausame Wahrheit, die anders aussieht und nach anderen Gesetzen funktioniert, als es die Protagonisten und Zuschauer erwartet hätten. In CANDYMAN (USA 1994) von Bernard Rose und Clive Barker diente das verspätete Hereinbrechen jenes Übernatürlichen, von dem die Urban Legend berichtet, noch als Verzögerungseffekt. RINGU und THE RING gehen in dieser Hinsicht einen Schritt weiter, indem sie vertraute Genrekonventionen auf den Kopf stellen.
Nach den klassischen dramaturgischen Spielregeln des Gothic-Horrors wäre die Geschichte schon längst abgeschlossen. Die gequälte Seele der ermordeten Sadako (im Remake Samara) hat ihren Frieden gefunden, ihr Leichnam wurde aus dem Brunnen, in den sie vor Jahren gestoßen wurde, befreit. Während man sich gerade noch Gedanken über diesen konventionellen Schluss macht, greift der Film das anfangs nur angedeutete Motiv des Schreckens aus der Bildröhre wieder auf und offenbart das manipulative Geschick von Nakatas Inszenierung. Das Wechselspiel zwischen der nüchternen Atmosphäre einer japanischen Geistergeschichte und westlichen Horrormotiven trägt im Original wesentlich zur Verstärkung des Schockeffekts bei. Nachdem RINGU zuvor weitgehend auf die Darstellung übernatürlicher Ereignisse verzichtet hatte, erscheint im Fernseher das Abbild Sadakos und nähert sich mit ruckartigen, an das japanische Kabukitheater erinnernden Bewegungen ihrem verwirrten Opfer. Die Reproduzierbarkeit des Bandes erweist sich in der Auflösung des Rätsels um die auf Video gebannte Rache aus dem Jenseits als wesentlicher Faktor und verleiht dieser einen sarkastischen Beigeschmack.
RINGU von Hideo Nakata, dem mittlerweile zwei Fortsetzungen und ein Prequel,
sowie ein koreanisches Remake folgten, avancierte zum erfolgreichsten
japanischen Film der letzten Jahre und wurde auf internationalen Festivals zum
Geheimtipp. Der Film vollführt einen interessanten und eigenwilligen Balanceakt
zwischen westlichem und japanischem Genrekino, in dem sich die unterschiedlichen
Einflüsse nicht mehr eindeutig voneinander trennen lassen. Im Unterschied zu
Verbinskis Adaption inszeniert Nakata das Übernatürliche den Konventionen des
japanischen Geisterfilms entsprechend in einem realistisch erscheinenden
Ambiente. Dass in RINGU die tödliche Bedrohung von einer Videokassette ausgeht,
könnte auf den ersten Blick einen willkommenen Anlass zu ausgiebigen
Spekulationen über das Verhältnis zwischen asiatischem Animismus, der von der
Existenz höherer seelischer Mächte ausgeht, und der Funktionialität moderner
Technologie bieten. Überlegungen dieser Art konterkarierte jedoch der Regisseur,
indem er in einem Interview auf der empfehlenswerten Website www.ringworld.com
darauf hinwies, dass der entscheidende Einfall, Sadako aus dem Fernseher steigen
zu lassen nicht vom japanischen Geisterglauben, sondern von David Cronenbergs
VIDEODROME (Kanada 1982) inspiriert wurde. Im Vergleich zur abstrakten
Verschmelzung von Realität und Illusion bei Cronenberg funktioniert RINGU
allerdings auf einer unmittelbareren Ebene. Das jenseitige Grauen tritt wie in
POLTERGEIST (USA 1982, Tobe Hooper, Steven Spielberg) oder dem dritten Teil der
A NIGHTMARE ON ELM STREET-Serie (USA 1987, Chuck Russell) aus dem Fernseher in
die reale Welt. Aber sowohl in VIDEODROME, als auch im amerikanischen Genrekino
wird der Zuschauer nicht derart unvorbereitet vom plötzlichen Angriff des
Übernatürlichen überrascht wie in RINGU. Ganz dem Vorbild westlicher
Horrorserien entsprechend wurde RINGU zum Franchise ausgebaut. Entsprechende
Weiterführungen der Geschichte existierten bereits in Romanform. Eine
gleichzeitig mit dem ersten Film veröffentlichte Adaption der Romanfortsetzung
unter dem Titel RASEN erwies sich im Gegensatz zu RINGU jedoch als Misserfolg.
Hideo Nakata entwickelte daher eine eigenständige Fortsetzung, in der die
Freundin des verstorbenen Protagonisten aus RINGU den Kampf gegen das
medialisierte Geisterwesen Sadako aufnimmt.
Die Ankündigung eines amerikanischen Remakes durch das Dreamworks-Studio erschien anfangs reichlich überflüssig, aber überraschenderweise entwickelte sich THE RING zu einer eigenständigen Variante des ursprünglichen Films. Zwar bietet die ins regnerische Seattle verlegte Adaption inhaltlich wenig Neues, wenn man RINGU bereits kennt, aber dennoch beeindruckt die Souveränität, mit der Regisseur Gore Verbinski (THE MEXICAN, USA 2000, PIRATES OF THE CARIBBEAN, USA 2003) ein eigenes ästhetisches Konzept für seine Umsetzung der kaum veränderten Geschichte entwickelte. Die Wahl der australischen Schauspielerin Naomi Watts für die weibliche Hauptrolle erwies sich als Idealbesetzung. Wie bereits in David Lynchs MULHOLLAND DRIVE (USA 2001) verfügt sie über die passende Kombination aus Sensibilität und Entschlossenheit. Der sonst häufig obligatorische Abgleich zwischen Original und Remake erscheint in diesem Fall ausnahmsweise nicht besonders ergiebig. Vielmehr gestaltet sich das Verhältnis zwischen den beiden Filmen wie die Aufführung des gleichen Theaterstücks an verschiedenen Schauspielhäusern. Verbinski verzichtet auf die sonst für Hollywood-Remakes typischen Kompromisse und übernimmt den Plot des Originals ohne ihn zu glätten. Im Unterschied zu Nakata macht er jedoch von Anfang an die Präsenz des Übernatürlichen spürbar. Der stets wolkenverhangene Himmel und die ausgeblichenen Farben der Bilder lassen bereits erahnen, dass sich hinter der Urban Legend mehr verbirgt als nur eine erfundene Schauergeschichte.
Seine sorgfältige und zurückgenommene Inszenierung, die sich deutlich an der
Atmosphäre von Genrefilmen wie THE OMEN (USA 1976, Richard Donner) und THE
EXORCIST (USA 1973, William Friedkin) orientiert, könnte dem stagnierten
amerikanischen Horrorfilm jene neuen Impulse verleihen, die einschläfernde
Reißbrettprodukte wie das Psuedo-Trash-Vehikel GHOST SHIP (USA 2002, Steve Beck)
schmerzlich vermissen lassen. Sowohl RINGU, als auch THE RING stellen
beachtliche Ausnahmefälle im gegenwärtig etwas trägen Horrorgenre dar. Es wird
aber wahrscheinlich nicht mehr lange dauern bis Sadako / Samara die Nachfolge
von Freddy Krueger antritt, der sich innerhalb weniger Jahre vom unheimlichen
Repräsentanten einer verdrängten Vergangenheit in einen talentierten, aber in
keiner Weise mehr bedrohlichen Late Night-Slasher-Stand Up-Comedian verwandelte.
Diese Entwicklung zeichnet sich im Fall von RINGU bereits angesichts der
verschiedenen Fortsetzungen in filmischer und literarischer Form ab. Es wäre an
dem Regisseur und den Produzenten des unvermeidlichen Sequels zum RING-Remake
nicht einfach nur einen Aufguss der japanischen Serialisierung der Geschichte,
sondern eine überzeugende eigenständige Fortführung zu entwerfen.