AndreasRauscher

Das Phänomen Star Trek: Virtuelle Räume und metaphorische Weiten

Einleitung - Das Star Trek-Universum 

 

„Das Kino des Utopischen, der Science-Fiction-Film ist ein Genre, das mehr als andere ein direktes Echo auf gsellschaftliche Ideen und Wirklichkeiten vermittelt, und zugleich ein Genre, das sich am meisten von den Begrenzungen der Wirklichkeit entfernen kann, um eine reine Kino-Welt zu entwerfen[...] Fast zu offensichtlich ist, dass sich Science-Fiction-Filme als Modell ideologiekritischer Diskurse eignen: Was sich bei Filmen anderer Genres erst beim genaueren Hinsehen offenbart, liegt hier schon an der Oberfläche, nämlich dass jeder Film seinem Wesen nach eine politische Botschaft hat.“ - Georg Seeßlen [1]

 

An kaum einem anderen Produkt der Popkultur lässt sich die von Georg Seeßlen beschriebene Dialektik der audiovisuellen Science-Fiction (im folgenden als SF abgekürzt) besser veranschaulichen als am Beispiel des seit 1964 in Film und TV (und darüber hinaus in anderen Medien wie Büchern, Comics und Computerspielen) expandierenden Star Trek-Universum. Die fünf Serien The Original Series (USA 1966-1969), The Next Generation (USA 1987-1994), Deep Space Nine (USA 1993-2000), Star Trek-Voyager (USA 1995-2001) und Enterprise (USA seit 2001) bildeten eine eigene SF-Topographie heraus. Das Raumschiff Enterprise, die martialischen Klingonen oder der sensible Android Data zählen zu den etablierten Ikonen der Fernsehgeschichte. Der dem Dogma der reinen Logik verpflichtete Vulkanier Mr. Spock gilt als festes Synonym für Popkultur, wie Andy Warhols Suppendosen oder die Beatles. Seit beinahe vierzig Jahren erweitert das Autorenkollektiv der Serien und Filme die intergalaktische Landkarte. Die virtuellen Räume des Star Trek-Universums haben ihre eigene Geschichtlichkeit entwickelt. Ursprünglich hielt sich der Erfolg der Serie bei der Erstausstrahlung in Grenzen. Bedingt durch einen ungünstigen Sendeplatz fand die fünfjährige Forschungsmission der ersten Enterprise nach drei Jahren 1969 ein vorzeitiges Ende. Erst in den 1970er Jahren entwickelte sich Star Trek durch Wiederholungen und Fan-Conventions nachträglich zum Überraschungserfolg. 1979 begann mit dem von Robert Wise inszenierten Star Trek – The Motion Picture (Star Trek - Der Film) eine erfolgreiche, bisher zehnteilige Kinoserie.  

 

Die von der New Frontier-Rhetorik Kennedys geprägten Entdeckungsreisen in unerforschte Gebiete des Alls gelangten mit dem Beginn der zweiten TV-Serie Next Generation 1987 zu ihrem Abschluss. Im Lauf der 1990er, nach den 1970er Jahren die zweite Hochphase des Star Trek-Booms, wich die anfängliche Fortschrittseuphorie einer abgeklärten, skeptischen Haltung. Der pragmatische amerikanische Tatmensch James T. Kirk (William Shatner) wurde durch den nachdenklichen Europäer Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) als Captain abgelöst. Die in den Anfangsjahren klar erkennbaren Fronten zwischen der aufgeklärten Föderation und ihren Gegenspielern, den Romulanern und den Klingonen, wurden durch ein schier unüberschaubares Geflecht an komplexen Beziehungen und regionalen Konflikten ersetzt. Der kalte Krieg im All gelangte wie auch in der Realität an sein Ende. Gerade diese dramaturgische Entwicklung bestimmt ein weiteres wesentliches Merkmal des Star Trek-Zyklus. Die im Vorspann-Voice Over der Original Series zu den markanten Fanfarenklängen von Alexander Courage versprochenen unendlichen Weiten führen nicht einfach in die Tiefen eines artifiziellen Universums, das abgeschottet von der Realität eine eigene phantastische Welt entwirft. Im Gegenteil, wie die B-Movies des klassischen Paranoiakinos reagieren die Star Trek-Serien häufig unmittelbar auf gesellschaftliche Entwicklungen, Zeitgeist-Stimmungen und Ängste.

 

Trotz aller imaginären technischen, kulturellen und geographischen Details, die in Einzelaspekten wie beispielsweise der klingonischen Kunstsprache ein Eigenleben über die Serie hinaus entwickelt haben, erweisen sich die unendlichen Weiten bei genauerer Betrachtung als metaphorische Konstrukte. Das Star Trek-Universum reflektiert als imaginärer Hohlspiegel kontinuierlich gesellschaftliche Realitäten im Spätkapitalismus. Die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise und seiner Nachfolger lösen den Widerspruch zwischen Kulturkritik und Kulturindustrie auf. Star Trek bildet ein Paradebeispiel für die von der Postmoderne seit den 1970ern proklamierte Auflösung zwischen Pop- und Hochkultur. Der Referenzrahmen der Serien reicht von SF-Standards wie Raum-Zeit-Verschiebungen und amoklaufenden Computern bis hin zu Shakespeare und Stephen Hawking (der in einer Episode als er selbst auftritt). SF-Trash in bester B-Picture-Tradition und intellektuelle Politallegorien liegen im Star Trek-Kosmos nur wenige Lichtjahre auseinander. Der Star Trek-Komplex umfasst sowohl den grell bunten Pop Art-Charme der Original Series, als auch den reflexiven Ansatz der Next Generation, in der ethische und philosophische Probleme verhandelt werden. Ein konstituierendes Stilprinzip der Serien bildet das immer wieder erweiterte Genre-Crossover. Die SF bietet lediglich die Grundlage, auf der Elemente des Western, des Abenteuerfilms und des Melodrams ins Star Trek-Repertoire integriert werden. In ihrer Gesamtheit haben die fünf Serien den Prototypen einer diskursiven Space Opera herausgebildet. Diese zeichnet sich nicht durch ihre Geschlossenheit, sondern durch einen offenen Ansatz aus, der auch zur Korrektur der eigenen Grundsätze fähig ist. Der für die spekulative SF essentielle sense of wonder findet sich zwar auch im Star Trek-Universum, doch nicht selten tritt er hinter den Konflikt der Charaktere und dessen dialogorientierte Auflösung zurück.

 

Der Vielfalt der Star Trek-Stilkonzepte entsprechend, gliedert sich das Fandom der Serien in eine unüberschaubare Vielzahl von Fraktionen, die vom akademischen poptheoretischen Diskurs bis hin zu Jägern und Sammlern von Star Trek-Merchandise reicht. Nichts wäre einfacher, als an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Star Trek ein kulturindustrieller Markenartikel des Medienkonzerns Viacom darstellt und die Differenzierung des Fandoms lediglich der Erweiterung der Produktpalette diene. Dieser Aspekt hat zwar seine Berechtigung, erweist sich aber bei näherer Betrachtung als ähnlich eindimensional, wie das seit Jahrzehnten in Polemiken gepflegte Klischee des stets mit Gummiohren geschmückten, weltfremden Star Trek-Fans. Interessanter erscheint mir in diesem Fall jener Zusammenhang, auf den Theodor W. Adorno in seinem Spätwerk „Ohne Leitbild“ hinweist: „Will sie die Massen ergreifen, so gerät selbst die Ideologie der Kulturindustrie so antagonistisch wie die Gesellschaft, auf die sie es abgesehen hat. Sie enthält das Gegengift ihrer eigenen Lüge. Auf nichts anderes wäre zu ihrer Rettung zu verweisen."[2] Im Gegensatz zu einem Konzept wie Matt Groenings „postmoderner Aufklärung“ in den Cartoon-Serien Simpsons (USA seit 1989) und Futurama (USA seit 1999)[3] war bei Star Trek die Thematisierung der eigenen Widersprüchlichkeit nicht von Anfang an vorgesehen. Sie ergab sich vielmehr aus der Eigendynamik des Phänomens und aus dem von den verschiedenen Fangruppierungen initiierten Diskurs. Repräsentierte William Shatner als Captain Kirk noch das Ideal des selbstbewussten männlichen Abenteurers auf ungebrochene Art, der an der Frontier auf Grenzpatrouille geht und sich nicht selten mit Hilfe seines Charmes und seiner Verführungskünste aus einer misslichen Lage befreien kann, etablierte der britische Shakespeare-Darsteller Patrick Stewart als Captain Picard in der Next Generation die direkte Gegenfigur zu seinem Vorgänger.

Die friedliche Integration eines ehemaligen Feindes aus einer früheren Serie, wie der Klingonen oder der Borg, in einem der Star Trek-Nachfolger gehört mittlerweile zu den festen Standards der Serien.

Der Kulturwissenschaftler Henry Jenkins bezeichnete jene Star Trek-Fangruppen, die selbständige Diskurse aus der Eigendynamik der Serie heraus entwickelten, als „Textual Poachers“[4]. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, diesen individuellen Auslegungen der Trek-Mythologie im Detail nachzugehen. Sie bilden jedoch, wie auch die zahlreichen akademischen Publikationen über die Serie im anglo-amerikanischen Bereich, ein markantes Beispiel für die Vielschichtigkeit des Diskurses um Star Trek. Der folgende Text geht den Grundlagen für diese Eigendynamik innerhalb der Serien selbst nach.

 

Das erste Kapitel widmet sich dem „besseren Morgen“, das die Original Series als positive Zukunftsutopie in den fortschrittsorientierten 1960er Jahren entwarf. Im Mittelpunkt stehen sowohl die Stilprinzipien, die aus heutiger Sicht den Retro-Charme der Kultserie ausmachen, die Etablierung der Star Trek-Standardmotive und die Figurenzeichnung, als auch die Anbindung der Original Series an die gesellschaftskritische literarische New Wave. Den ersten entscheidenden Einschnitt bildet die im zweiten Kapitel behandelte Kinoserie. Der Wechsel ins Breitwandformat liefert nicht nur interessante Aspekte im Hinblick auf das Verhältnis von Kino- und TV-Formaten, sondern veranschaulicht auch, wie sich das im Serienformat noch zyklisch angelegte Genre-Patchwork in eine neue große Erzählung verwandelte. Diese führt schließlich zum Generationswechsel im Rahmen der Next Generation, mit dem auch die Reflexion und der systematische Zweifel an den eigenen Grundlagen beginnt. Im Gegensatz zu den in sich geschlossenen Episoden der Original Series entwickelt die Next Generation erstmals Handlungsbögen, die mehrere Episoden umfassen und leistet dadurch eine zusätzliche Vertiefung der Charaktere. In einzelnen Kapiteln werden die Protagonisten Captain Picard, der Android Data und der Klingone Worf näher betrachtet. Eines der wesentlichen Themen der Next Generation bildet der Konflikt zwischen dem aufklärerischen Ideal der Crew und der neuen Unübersichtlichkeit, die im Gegensatz zur Original Series keine eindeutigen Lösungen mehr zulässt. Konnte man die Original Series noch als postmodernes SF- und Genrepatchwork lesen, verhandelt die Next Generation vielmehr die condition postmoderne selbst.

 

Mit der Einführung des Holodecks ergänzt die Next Generation die Handlungsräume um einen weitere wesentliche Spielfläche. Das in allen vier Serien beibehaltene Prinzip des Genre-Crossovers erfolgt nicht mehr über obskure Begegnungen in den unendlichen Weiten, sondern wird durch die virtuelle Realität des Holodecks in die Architektur des Schiffes selbst integriert. Nicht selten entwickeln sich die interaktiven Ausflüge in das London des Meisterdetektivs Sherlock Holmes oder die Welt des Superagenten James Bond durch einen Fehler in der Programmierung zu parodistischen Exkursen über die Mechanismen und Standards eines Genres. Diesem comic relief im Cyberspace steht die allgemeine Desillusionierung der Protagonisten gegenüber, die sich in der dritten Serie Deep Space Nine zum dominanten Thema entwickelt. Deep Space Nine vollendet programmatisch jene Ambivalenz, die sich in der Next Generation abzeichnete. Die positive Utopie, die Star Trek-Erfinder Gene Roddenberry in der Original Series zur allgemeinen Vorschrift für Autoren und Produzenten erhob, existiert in den neuen Serien nur noch als langwierige Arbeit am Detail. In einigen Episoden führt der Plot gar nicht mehr zu unerforschten Welten, sondern in die Abgründe der eigenen Person. Diese neuen Konzepte und Tendenzen im Star Trek-Universum reflektieren nicht nur die veränderten Zusammenhänge in der gegenwärtigen SF. Sie veranschaulichen auch, dass Star Trek nicht als die immer gleiche Paraphrase eines statischen Konzeptes, sondern als offen angelegtes System funktioniert, an dem sich im Lauf von vier Jahrzehnten unterschiedliche Autoren, Regisseure und Schauspieler kreativ beteiligten.


[1] Georg Seeßlen: Kino des Utopischen - Geschichte und Mythologie des Science-Fiction-Films. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 1980, S.11. 

[2] Theodor W.Adorno: Ohne Leitbild. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1969, S.83.

[3] vgl. dazu: Michael Gruteser, Thomas Klein und Andreas Rauscher (Hg.): Subversion zur Prime Time – Die Simpsons und die Mythen der Gesellschaft. Marburg: Schüren Verlag 2001.  

[4] Henry Jenkins und John Tulloch: Science Fiction Audiences - Watching Doctor Who and Star Trek. London: Routledge 1995, S.4-5.

 

 

Aus: Andreas Rauscher, Das Phänomen STAR TREK. Virtuelle Räume und metaphorische Weiten, Schüren 2003