Summer of Sam
(ursprünglich erschienen in Splatting Image September 2000)
Als der Pate des New Black Cinema Spike Lee ankündigte, daß sich sein nächster
Film mit dem Serienmörder David Berkowitz befassen wird, der im Sommer 1977 als
Son of Sam in New York Jagd auf Pärchen machte, konnte man bereits davon
ausgehen, daß kein gewöhnlicher Genrefilm dabei herauskommen würde. Mit
engagierten Gesellschafsstudien wie DO THE RIGHT THING (1988), JUNGLE FEVER
(1991) und MALCOLM X (1993) entwickelte sich Lee zu einem der artikuliertesten
eigenständigen US-Regisseure, der seine eigene Nische zwischen klassischem
Independent-Kino und Hollywood fand. Seine Filme benutzen die Regeln eines
Genres nur als Basis für komplexe Analysen der amerikanischen Gesellschaft und
der Stadt New York im Besonderen. Es überrascht daher nicht weiter, daß SUMMER
OF SAM nicht als traditionelle Serial Killer-Geschichte, sondern als kritischer
Rückblick auf die jüngste Stadtgeschichte angelegt ist. Nachdem die restriktive
Politik des konservativen New Yorker Bürgermeisters Guiliani in den letzten
Jahren die Stadt in ein Vorzeigebeispiel für die Ausgrenzung sozialer Probleme
zu Gunsten einer mit brutalen Maßnahmen polierten Oberfläche verwandelt hat,
verfolgen Martin Scorsese in BRINGING OUT THE DEAD und Spike Lee in SUMMER OF
SAM die Spuren des Verdrängten zurück in die frühen 90er, beziehungsweise zurück
zum drückend heissen Sommer 1977.
Bereits in DO THE RIGHT THING brachte die unerträgliche Hitze die unterschwelligen Konflikte zur Explosion. In SUMMER OF SAM kommt es zu einer sich ausgesprochen aggressiv artikulierenden Massenhysterie angesichts der unsichtbaren Bedrohung durch den Serienmörder. In einem formal brillant arrangierten Geflecht aus verschiedenen, sich immer wieder überschneidenden Erzählungen verfolgt SUMMER OF SAM die Auswirkungen der Serienmörderparanoia auf einen italo-amerikanischen Mikrokosmos in der Bronx. Wie immer agieren die Protagonisten auch als Stellvertreter für gesellschaftliche Stimmungen und popkulturelle Strömungen. Die Anfänge der New Yorker Punk-Bewegung im legendären Club CBGBs finden sich ebenso im Film wie das stilisierte Abfeiern des Saturday Night Fevers in der Nobel-Disco Studio 54. Der Serial Killer tritt dabei selbst lediglich als eine der Nebenfiguren in Lees narrativem Patchwork in Erscheinung.
Daß Lees Filme nicht zu thesenhaft oder theoretisch bemüht wirken, liegt daran, daß es ihm immer wieder gelingt seine Charaktere interessant und realistisch zu gestalten. Für seine eher abstrakten Themen findet er raffinierte filmische Formen. Die Frage nach Schuld und die Auswirkungen von intoleranter bis lebensgefährlicher Paranoia behandelt er nicht aufgesetzt pathetisch, sondern in alltäglichen Dialogsituationen, die durch den suggestiven Soundtrack, die gezielte Auswahl von Songs, um die Lee ganze Sequenzen aufbaut, und die exzellente Kameraarbeit verstärkt werden. Darüber hinaus verfolgt Lee auch immer wieder in kurzen Inserts die mediale Präsentation des Son of Sam-Falls und verbindet ihn auf diese Weise als Zeitbild mit anderen hervorstechenden Ereignissen des Sommers 1977 wie einem kompletten Stromausfall und der Entscheidung um die Baseball-Meisterschaft. Nach einer vage an David Finchers SEVEN-Ästhetik orientierten Eröffnungssequenz wechselt Lee unmittelbar das Szenario und den damit verbundenen Stil, indem er in einer ausgedehnten Plansequenz den überheblichen und zugleich äußerst verletzlichen Vinnie (John Leguizamo) und seine Freundin Dionna (zurückgenommen und gerade dadurch ausdrucksstark: Mira Sorvino) auf ihrer Tour durch die New Yorker Discos präsentiert. Mit der gleichen Detailgenauigkeit im Set Design und in der Inszenierung der Schauspieler, die er später auch in der Darstellung der frühen Punkszene zeigt, gelingt Lee ganz beiläufig und stilsicher jenes Zeitportrait, an dem sich der aufwendige Retrofilm STUDIO 54 vergeblich versuchte.
Unterstützt wird Lee von einem spielfreudigen Ensemble, das die Charaktere glaubhaft ausgestaltet. Adrien Brody (THE THIN RED LINE) stilisiert sich als Ritchie in der Bronx als first punk in town mit gefaketem Cockney-Akzent. Obwohl seine Unternehmungen in der sich langsam formierenden Punk-Szene ihn bisher lediglich ins nahegelegene Manhattan führten, ist er Bestandteil einer anderen Welt außerhalb des abgeschotteten Mikrokosmos geworden. Seine ehemaligen Nachbarn, die ihn als verstoßenen Outcast behandeln, entdecken in ihm die ideale Projektionsfläche für ihre paranoiden Vorstellungen. John Leguizamo spielt seinen besten Freund Vinnie als einen äußerst religiös veranlagten Macho, der sich im John Travolta-Posing versucht und dennoch immer wieder an seiner Ängstlichkeit und Unentschlossenheit scheitert. Er betrügt regelmäßig seine Freundin und ist ständig darum bemüht sich als Star des Saturday Night Fevers in Szene zu setzen. Wenn Vinnie mit seinen Verfehlungen konfrontiert wird, flüchtet er sich wie ein hilfloses Kind in übertriebene Religiosität. Als er bei einem erneuten Seitensprung eines nachts durch reinen Zufall einem Anschlag des Son of Sams entgeht, verklärt er die Situation als göttliche Warnung keinen Analsex mehr zu haben. Während Ritchie und seine Freundin Ruby (Jennifer Esposito) sich von der regressiven Nachbarschaft emanzipieren, indem sie sich ein davon unabhängiges Leben in der Punk-Szene Manhattans aufbauen, versucht Vinnie forciert den Vorstellungen der anderen gerecht zu werden.
Als der Punk Ritchie, nachdem die Neighbourhood Watch seinem Nebenjob als Stripper in einer Schwulenbar auf die Spur gekommen ist, in den Verdacht gerät der gesuchte Serienmörder zu sein, läßt sich Vinnie zunehmend auf die hysterischen Verdächtigungen des Mobs ein, bis es beinahe zur Katastrophe kommt. Wie in Fritz Langs M- EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER versucht die Mafia unter Anleitung des örtlichen Paten (Ben Gazzara) mit Hilfe einiger Schläger selbständig den Son of Sam zu finden. Den Schuldigen vermutet man natürlich im CBGBs oder im homosexuellen Etablissement um die Ecke. Lee interessiert sich stärker für den Umgang mit dem Phänomen Son of Sam und die Auswirkungen auf ein in sich geschlossenes Milieu als für die True Crime-Geschichte selbst. Diese inszeniert er stilsicher in einer Parallelhandlung und entmystifiziert sie zugleich. In surrealen Traumvisionen erscheint ein schwarzer Hund dem schwergewichtigen Serienmörder und gibt ihm (mit der Stimme von John Turturro) die Anweisungen zu neuen Morden. In einer dialektischen Montage verfolgt Lee im Finale die Eskalation der Mob-Mentalität und die unspektakuläre Auflösung der Mordserie. Der Son of Sam stellt sich selbst der Polizei und wird in einem mediengerechten Event vor den Fernsehkameras präsentiert (Lee selbst spielt in einem amüsanten Cameo einen überengagierten TV-Reporter). Mit SUMMER OF SAM gelang Spike Lee nach DO THE RIGHT THING und CLOCKERS ein weiteres überzeugendes New York-Portrait, das wie seine besten Arbeiten als diskursiver Film funktioniert, ohne dabei forciert didaktisch oder langatmig zu erscheinen.