The Dark Knight
Der über die letzten Jahre anhaltende Boom an Comicverfilmungen, insbesondere im Superhelden-Bereich, hat mit Christopher Nolans zweitem BATMAN-Film einen neuen Höhepunkt erreicht. Die veränderte Rezeptionshaltung gegenüber Comic-Adaptionen zeigt sich deutlich daran, dass der britische Regisseur mit THE DARK KNIGHT konsequent seine in BATMAN BEGINS (USA 2005) begonnene Kombination aus gebrochenen Charakteren und bodenständigem Neo-Noir weiter verfolgen konnte und sich der Film trotzdem zum erfolgreichsten Blockbuster der letzten Jahre entwickelte. Genau diese Gratwanderung zwischen persönlicher Handschrift und etwas ausgefallenerem Event-Movie wollte das produzierende Studio Warner vor sechzehn Jahren Tim Burton nicht gönnen. Nachdem dessen BATMAN RETURNS, nach wie vor der gelungenste Film der Reihe, 1992 als zu verstörend empfunden wurde und sich einige Merchandising-Lizenznehmer über das ausbleibende Familienpublikum beklagten, ersetzten die Produzenten den Meister der verspielt makabren Gothic-Gegenwelten durch den pflegeleichten Erfüllungsgehilfen Joel Schuhmacher. Mit THE DARK KNIGHT hat es der ursprünglich für Indie-Neo-Noirs wie FOLLOWING (GB 1998) und MEMENTO (USA 2000) bekannte Christopher Nolan nach zehn Jahren endlich geschafft jenen Schaden wieder zu beheben, den Schuhmachers manchmal ganz amüsante, aber im Fall von BATMAN FOREVER auch unerträgliche Trash-Spektakel angerichtet haben.
Die BATMAN-Filme von Burton und Nolan ergänzen sich hingegen sehr gut, da sie zwei ästhetisch genau entgegen gesetzte, gleichwertige Interpretationen der Comic-Mythologie mit eigenständiger filmischer Handschrift bieten. Beide beziehen sich auf die Graphic Novels der 1980er Jahre, in denen Autoren wie Frank Miller und Alan Moore Batman als psychologisch komplexen und ambivalenten Charakter zeichnen, der sich in seiner Besessenheit nicht mehr allzu sehr von seinen Gegenspielern unterscheidet. Während die fast vollständig im Studio entstandenen Verfilmungen von Tim Burton die Comic-Metropole Gotham City als düsteres, postmodernes Pastiche und urbane Seelenlandschaft gestalten, drehte Christopher Nolan seine BATMAN-Variante überwiegend on-location und verwandelte Chicago in ein von kalten Farbtönen dominiertes, vom stilisierten Realismus diverser Neo-Noirs und Cop-Thriller geprägtes Gotham City. In einer Review wurde Nolans Stil treffend als Super-Noir bezeichnet, im Prinzip die logische Konsequenz jener künstlerischen Tendenz, die mit Frank Millers Graphic Novels "Batman - Year One" und "The Dark Knight Returns" ihren Anfang nahm. Entgegen einiger missverständlicher Rezensionen geht es Nolan nicht darum, einen zynischen Realismus zu propagieren. Er wechselt lediglich die in den BATMAN-Filmen verarbeitete Genresemantik und verlagert jene Konflikte, die sich bei Burton in der Gestaltung der Handlungsräume manifestierten und die Schuhmacher nicht wirklich zur Kenntnis nahm, wieder in das Innere der Protagonisten.
In THE DARK KNIGHT greift Nolan, der gemeinsam mit seinem Bruder und dem Comickenner David S. Goyer das Drehbuch verfasst hat, ein Thema auf, das bereits in Burtons erstem BATMAN angedeutet wurde. Batman tritt gegen seinen populärsten Erzfeind Joker an, der offensichtlich in den USA für die besten Einspielergebnisse innerhalb der Reihe sorgt. Der vehement ausgefochtene Konflikt zwischen dem sich selbst als urbane Legende stilisierenden Superhelden und dem zynischen Psycho-Clown lässt zunehmend darauf schließen, dass Batman und der Joker zwei Seiten der gleichen Münze bilden. Diese Assoziation deutete sich bereits am Ende von BATMAN BEGINS an, als der mit Gary Oldman perfekt besetzte Commissioner Gordon darauf hinwies, dass Batmans Kampf gegen das organisierte Verbrechen eine Steigerungslogik unter seinen Gegenspielern befördere. Der Joker agiert wie Batman in Eigenregie und sieht sich keinem Syndikat mehr verpflichtet. Er agiert als freischaffender Agent des Chaos, bei Burton als surrealer "first fully functional homicidal artist" und bei Nolan als unberechenbarer Psychopath, der Batman und seine Verbündeten dazu verführen will, gegen ihre grundlegenden Prinzipien zu verstoßen und ihrem Bedürfnis nach Vergeltung für die durch den Joker herbeigeführten Verluste nachzugeben. Der Anfang des Jahres verstorbene Heath Ledger demonstriert in seiner letzten Rolle noch einmal seine Vielseitigkeit und ein außergewöhnliches Potential. Einerseits bezieht er die, von Jack Nicholson bei Burton leicht überstrapazierten, expressiven Gesten ein, akzentuiert andererseits jedoch die bisher von keinem anderen Schauspieler umgesetzte verunsichernde, passive Aggressivität des Charakters, die stellenweise an Kevin Spacey in David Finchers SEVEN (USA 1995) oder Michael Emerson als kaltblütigem Manipulator in der TV-Serie LOST erinnert.
Besonders deutlich wird der dialektische Drahtseilakt zwischen scheinbarer Integrität und hervorbrechenden, inneren Abgründen von Aaron Eckhart (THANK YOU FOR SMOKING, THE BLACK DAHLIA) als Staatsanwalt Harvey Dent verkörpert, der sich unter tragischen Umständen in den schizophrenen Two-Face verwandelt. Entgegen der manchmal etwas zu forcierten Symbolik des Plots versteht es Eckhart einem der interessantesten Gegenspieler der Vorlage zusätzliche Tiefe zu verleihen. Er spielt Dent, den Joel Schuhmacher in BATMAN FOREVER auf eine peinliche Karikatur reduzierte, als potentiellen Nachfolger Batmans, der sich im legalen Rahmen bewegt, gleichzeitig aber immer wieder zu ambitioniert wirkt und schließlich der Versuchung einer martialischen, auf simple Oppositionen reduzierten Weltsicht erliegt. Nolan erweitert Dents Geschichte um eine tragische Beziehung zu Bruce Waynes Jugendfreundin Rachel Dawes, die sich nicht mit dessen Doppelleben als Batman arrangieren konnte und ihn deshalb für den adretten Anwalt verließ. Die Rolle der potentiellen Geliebten übernahm für THE DARK KNIGHT glücklicherweise die sonst überwiegend in Independentfilmen aktive Maggie Gyllenhaal. Statt wie ihre Vorgängerin Katie Holmes überakzentuiert mit den Augen zu rollen, strahlt sie eine Form von Entschlossenheit aus, die zugleich mit einer stillen Form von Resignation verbunden ist. Ihr zurückhaltendes und dennoch sehr prägnantes Spiel verstärkt zusätzlich den melodramatischen Handlungsstrang um das diffizile Beziehungsdreieck. Dass dieser Plot funktioniert liegt zu einem wesentlichen Teil daran, dass Christian Bale erstmals Batmans bürgerliches Alter Ego Bruce Wayne als ernst zu nehmenden Protagonisten und nicht bloß als geistesabwesende Fassade des Superhelden auslegt. Komplettiert wird Nolans Ensemble durch Morgan Freeman als technischer Assistent Lucius Fox und Michael Caine als Butler Alfred, die es ebenso wie Gary Oldman verstehen, die in der Comicvorlage meistens als rein funktionale Stereotypen gezeichneten Sidekicks mit einem markanten Charakterprofil zu versehen. Nach den postmodernen Reflexion Burtons, bei denen das Set Design und die phantastischen Tableaus mindestens genau so wichtig wie der episodische Plot waren, kehrt Nolan zu einer modifizierten Form klassischer Dramaturgien zurück. In BATMAN BEGINS bezog er auf der Grundlage von Frank Millers "Year One" die bisher in den Filmen lediglich angedeutete Biographie des Protagonisten ein, und in THE DARK KNIGHT kombiniert er die streckenweise an die DIE HARD-Filme erinnernde Thriller-Handlung mit einem Classical Hollywood-kompatiblen Drama um Hybris, Verlust und psychische Abgründe.
THE DARK KNIGHT avancierte überraschend zum Konsensfilm der Saison, der in den USA einen Großteil der Kritiker begeisterte und Zuschauer in Scharen in die Kinos lockte, die sich sonst vermutlich nie einen Film von Christopher Nolan ansehen würden. Der Filmkritiker A.O. Scott spekulierte in der "New York Times", dass auf den gegenwärtigen kreativen und kommerziellen Höhenflug der Comicverfilmungen zwangsläufig der künstlerische Absturz folgen müsse. Diese Prognose würde sich jedoch nur bestätigen, wenn es sich lediglich um einen das Filmgeschehen der 2000er Jahre prägenden Zyklus handelt. Die vielseitigen Ansätze, die von spielerischer Dekonstruktion über skeptischen Super-Noir bis hin zu digitalen, postmodernen Retroszenarien reichen, und die Leidenschaft, mit der sich Regisseure wie Christopher Nolan, Sam Raimi, Zack Snyder und Guillermo Del Toro ihren Lieblingscomics annehmen, deuten jedoch ganz im Gegenteil zu den voreilig angestimmten Schwanengesängen an, dass sich die Comicverfilmungen, zumindest im Bereich der Superhelden, zu einem eigenen Subgenre des phantastischen Films entwickelt haben.