Classical Hollywood Babylon
The Black Dahlia / Die schwarze Dahlie
Unter den Veteranen des New Hollywood nimmt Brian De Palma eine Sonderstellung ein. Obwohl er mit Carrie (USA 1976), Scarface (USA 1982), The Untouchables (USA 1987) und Mission Impossible (USA 1996) hinreichend Blockbuster-Potential bewies, ließ er sich nie im gleichen Maß wie seine Kollegen Spielberg und Lucas mit der Industrie ein. Seine hochgradig stilisierten, artifiziell mit der klassischen Filmgeschichte spielenden und dennoch ausgesprochen intensiven und von persönlichen Obsessionen bestimmten Genre-Collagen gelten als Prototypen des postmodernen Kinos.
Doch im Unterschied zur angesehenen Maverick-Position, die Martin Scorsese erfolgreich am Rande der Traumfabrik verteidigt, werden De Palmas Arbeiten weitgehend kontrovers aufgenommen. Die vor einigen Jahren verstorbene einflussreiche New Yorker Kritikerin Pauline Kael unterstützte ihn zwar mit Nachdruck und Jean-Luc Godard räumte Anfang der 1980er Jahre ein, dass man bei Brian De Palma im Gegensatz zum restlichen, dem Altmeister der Nouvelle Vague verhassten Hollywood für seine sechs Dollar Eintrittsgeld wirklich etwas geboten bekäme. Ein Großteil der Kritiker wurde hingegen nicht müde zu betonen, dass De Palma lediglich abgeschmacktes Epigonentum betreibe und es keine Tiefe hinter seinen Hochglanz-Bildern gäbe. Der visuelle Einfallsreichtum, die stilvolle Abgeklärtheit und die Finesse der im Lauf der Jahre zunehmend verfeinerten autoreflexiven Ansätze wurden geflissentlich ignoriert. Kommerzielle Misserfolge wie Bonfire of Vanities / Das Fegefeuer der Eitelkeiten (USA 1991) und Mission to Mars (USA 2000) wurden als billige Aufhänger für Generalabrechnungen mit dem unbequemen Stylisten genutzt, der sich weder auf die Formelhaftigkeit Hollywoods noch auf die Selbstgeißelungsstrategien eines asketischen Auteur-Begriffs einlassen wollte.
Kurioserweise hat sich an dieser Situation bis heute nicht allzu viel geändert.
In einer zum Start der Black Dahlia veröffentlichten Hommage an De
Palma verglich das amerikanische Internet-Kulturmagazin Slant die in ihren
Argumenten ebenso redundante, wie ignorante Haltung einiger Kritiker treffend
mit einem verkorksten Alleinunterhalter der seit über dreißig Jahren immer
wieder den Ententanz spielt und die dazu vollführten Verrenkungen für ein
provokantes Statement hält.
(http://www.slantmagazine.com/film/features/briandepalma.asp).
Obwohl die Cahiers du Cinema De Palmas Gangsterdrama Carlito’s Way (USA 1993) zum besten Film der 1990er Jahre wählten, wurden seine neueren Werke nicht differenzierter, sondern noch ablehnender aufgenommen. Nach den vernichtenden Reaktionen auf die Science-Fiction-Elegie Mission to Mars zog De Palma die Konsequenzen und emigrierte nach Frankreich. Dass der 2002 mit der großartigen Rebecca Romijn und dem ungewohnt selbstironischen Antonio Banderas als erste Arbeit in Europa realisierte Femme Fatale das Lynch-Terrain zwischen beunruhigenden alternativen Traumwelten und Zitatcollagen beinahe produktiver als Lynchs neueste Arbeiten selbst bearbeitet, blieb weitgehend unbemerkt. Mit seiner aktuellen, weitgehend in Ungarn entstandenen Regiearbeit erreicht De Palma zwar auf Grund des bekannten Romans und der Star-Besetzung ein größeres Publikum, doch wie ein Blick auf das Kritik-Barometer des Internet-Dienst Rotten-Tomatoes zeigt, erfreut sich der epigonale Ententanz insbesondere unter amerikanischen Filmrezensenten immer noch einer ausgeprägten Beliebtheit.
Während der Mainstream der Filmkritik gerade ein weiteres Mal entzückt über den eigenen Scharfsinn zum Hüftschwung ausholt und sich in den Ausführungen darüber, an welcher Stelle man einfach das Kino verlassen musste, gegenseitig zuwinkt, sollte man die Gelegenheit nutzen und einen genaueren Blick auf das Gipfeltreffen des Neo-Noir zwischen Brian De Palma und James Ellroy werfen.
Wie der 1997 von Curtis Hanson mit Guy Pearce, Russell Crowe, Kevin Spacey und Kim Basinger verfilmte Roman L.A. Confidential gehört die 1987 erschienene Vorlage zum so genannten L.A. Quartett, in dem Neo Noir-Autor James Ellroy einen hochgradig ambivalenten und konsequent desillusionierten Blick auf die Stadtgeschichte von Los Angeles Mitte der 1940er bis Ende der 1950er Jahre wirft. In The Black Dahlia nahm der Schriftsteller, dessen Mutter einem ungeklärten Mord zum Opfer fiel, den ebenfalls ungelösten, historischen Fall der angehenden Schauspielerin Elizabeth Short als Ausgangspunkt für ein komplexes Intrigennetz. 1947 wurde die Leiche des brutal verstümmelten Starlets in einem heruntergekommenen Viertel von Los Angeles gefunden. Obwohl der Mörder nie gefasst wurde, besteht kein Zweifel daran, dass es sich nicht um einen einfachen Raubmord gehandelt hat.
Wie nicht anders zu erwarten interessiert sich De Palma weniger für die komplizierte Handlung, sondern für deren visuelles Potential. Gerade die Themen Voyeurismus und Irritationen der Wahrnehmung beschäftigen De Palma bereits seit den 1970er Jahren. Entsprechend gelingen ihm ausdrucksstarke Bildeinfälle, über denen er gelegentlich die Handlung vernachlässigt, ohne dass es wirklich ins Gewicht fallen würde (außer natürlich für eine gewisse Fraktion, die an dieser Stelle ein weiteres Mal in die Hocke geht und sich süffisant zuzwinkert). Die Entdeckung von Shorts Leiche inszeniert De Palma als eindrucksvolle, ausgedehnte Plansequenz, deren tatsächliche Bedeutung sich erst sehr viel später erschließt. Den Besuch eines Protagonisten bei einer ihm gegenüber feindseligen reichen Familie zeigt er aus dessen verzerrter subjektiver Perspektive mit dem Ergebnis, dass das gemeinsame Abendessen mit der High Society von Los Angeles an das surreale Erntedank-Mahl aus David Lynchs Eraserhead (USA 1978) oder die grotesken Familienrituale aus Backwoods-Filmen wie The Texas Chainsaw Massacre (USA 1974) erinnert.
Ellroy schildert die Handlung aus der Sicht zweier Polizisten, die sich erstmals während eines Riots in den mexikanischen Vierteln von Los Angeles begegnen. In Abgrenzung zum gemächlichen Retro-Geschehen in traditionellen Period Pictures erfolgt der Einstieg in The Black Dahlia hart und unmittelbar. Bevor überhaupt der Titelschriftzug eingeblendet wurde, begibt sich De Palma mitten in die Straßengefechte der Zoot Suit Riots. Die Cops Bucky Bleichert (Josh Hartnett) und Lee Blanchard (Aaron Eckhart), die vor dieser historischen Kulisse ihren Einsatz absolvieren, sammelten zuvor Erfahrungen als Boxer und sind im Los Angeles Police Department unter dem Spitznamen Fire-and-Ice bekannt. Das erste Drittel der Black Dahlia greift auf Strukturen des Buddy Movies zurück. Schon immer verstand es De Palma auf geschickte Weise vermeintliche déjà vu-Momente zur Verunsicherung des Publikums zu nutzen. Blanchard und Bleichert entwickeln sich scheinbar zu einer jener Tough-Guy-Tateinheiten aus abgebrühtem Professional und noch unerfahrenem Quereinsteiger, die ein Film wie L. A. Confidential trotz aller Brüche durchgehend bedient. Doch der Schein der durch die treffende Besetzung Blanchards mit dem abgebrühten und wortgewandten Aaron Eckhart (Thank You For Smoking, USA 2006) zusätzlich verstärkt wird, erweist sich als trügerisch. Bleichert, der seinem Partner aus der Krise helfen will, sieht sich plötzlich mit einer ausweglosen Situation konfrontiert, in der De Palma mühelos eine Hommage an die Kirchturmsequenz aus Hitchcocks Vertigo (USA 1958) unterbringt und dennoch auf eigenständige Weise die Schwindel erregende Undurchdringlichkeit des mörderischen Intrigenspiels zum Ausdruck bringt.
Trotz aller Kritik, die er einstecken musste, erweist sich Josh Hartnett in der männlichen Hauptrolle als gelungene Wahl. Er strahlt eine gewisse Unbeholfenheit und verzweifelte Hilflosigkeit aus, die Bleichert glaubwürdig erscheinen lässt. Lediglich Indie-Queen Scarlett Johansson bleibt etwas blass, da sich ihr Spiel auf ikonographische Posen aus der Geschichte des Classical Hollywood beschränkt. Ganz im Gegensatz zu Hilary Swank, die in einer für sie ungewöhnlichen Rolle als kaltblütig, auf eine morbide Art elegante Femme Fatale deutlich die zweite Hälfte des Films dominiert. Die schwarze Dahlie Elizabeth Short (Mia Kirshner) tritt selbst hingegen lediglich in kurzen 16mm-Casting-Aufnahmen in Erscheinung, die Bleichert obsessiv studiert. Den im Bild nicht sichtbaren Regisseur, der Short interviewt und voyeuristisch betrachtet, spielt bezeichnenderweise De Palma selbst. Wie die in Plastik gewickelte Leiche Laura Palmers in David Lynchs Twin Peaks die verdrängten Abgründe hinter der kleinstädtischen Idylle der amerikanischen Provinz symbolisierte, so erscheint hier das Mordopfer als enigmatische Projektionsfläche für die dunklen Seiten der Traumfabrik, an deren Glitzerfassade in The Black Dahlia niemand wirklich glaubt. Bei De Palma gibt es keine unschuldigen Blicke und die Nostalgie, der Curtis Hanson in L.A. Confidential entgegen Ellroys abgeklärten Verflechtungen und seiner eigenen eher kritisch orientierten Haltung einigen Raum bereitet, erweist sich in The Black Dahlia von Anfang an als Trugbild.
Die Victor Hugo-Verfilmung The Man Who Laughs / Der lachende Mann (USA 1928) dient De Palma als Schlüsselmetapher. Bleichert, Blanchard und dessen Freundin Kay (Scarlet Johanssen) besuchen eine Vorführung des Stummfilms, und das Motiv der grinsenden Fratze wird mehrfach in prominent platzierten Gemälden aufgegriffen. Der Ort, an dem der Sidewalk Hollywoods endet, erscheint als brutale Groteske, ein tristes Sumpfland, über dem der bekannte Hollywood-Schriftzug thront. Wenn sich Bleichert am Ende die wahren Hintergründe des Verbrechens erschließen, erinnert die Situation nicht nur an die Ausweglosigkeit des klassischen Film Noir. Es bestätigt sich auch der Eindruck, dass De Palma sogar die Ära der großen Studios als Classical Hollywood Babylon begreift, errichtet auf den Ruinen der zerstörten Illusionen. Ein Motiv dieser Art fand sich in Form des Prostituierten-Rings, der Lookalikes von Hollywood-Stars beschäftigt, auch in L.A. Confidential, wurde aber nicht so konsequent wie in der Black Dahlia ausgespielt.
In der Stadt der gefallenen Engel, geht man nicht nur bereitwillig über Leichen, um den schönen Schein zu erhalten, ein pointierter Dialog deutet an, dass in einigen Stadtteilen Häuser von Spekulanten aus maroden Filmkulissen erbaut wurden. In einer für Ellroy typischen Wendung gestaltet sich die inoffizielle Stadthistorie als eine Chronik verdrängter Verbrechen, die bis in die obersten Schichten der Gesellschaft führt.
De Palma, der trotz aller Ästhetisierung durchgehend Möglichkeiten für eine politische Lesart seiner Filme offeriert, findet zu diesem Ansatz die treffenden Bilder. In einem ungarischen Studio ließ er das Hollywood der späten 1940er Jahre als düsteren Fiebertraum nachbauen. Die artifiziellen Elemente dienen bei De Palma nicht zum Selbstzweck, sondern als Interpretation kultureller und gesellschaftlicher Zusammenhänge. Etwas konsequenter als Curtis Hanson inszeniert De Palma Ellroys Los Angeles als American Nightmare, in dem das Geschehen auf der Leinwand nicht einfach nur Verblendungszusammenhänge produziert, sondern auf unheimliche Weise zu Manifestationen des Verdrängten führt.
Auch wenn The Black Dahlia nicht die Brillanz und den Einfallsreichtum seines Vorgängers Femme Fatale (Frankreich 2002) erreicht, bestätigt De Palmas zweite im europäischen Exil realisierte Regiearbeit dennoch, dass er in seinem gegenwärtigen Arbeitsumfeld zu neuen kreativen Stärken gefunden hat.