Backwoods Horror Revisited
Texas Chainsaw Massacre
Der anhaltende Trend zum Remakismus zieht momentan nicht nur sämtliche greifbaren Caper-Movies der letzten dreißig Jahre durch die große Recycling-Maschine. Mit den Remakes von Tobe Hoopers TEXAS CHAINSAW MASSACRE (USA 1973), George Romeros DAWN OF THE DEAD (USA 1979) und WILLARD (USA 1972) hat die Welle der Wiederverwertung nicht nur mal wieder das Horrorgenre erreicht, sondern sich auch noch eine seiner produktivsten Phasen, die American Nightmares der 1970er Jahre vorgenommen. Amüsant erscheint an dieser Themenwahl, dass bereits die Originale selbst durch eine ganze Reihe von Sequels zur Serialisierung neigen. In einigen Fällen wie HALLOWEEN (USA 1978) sind die entsprechenden Fortsetzungsserien auch nach über zwanzig Jahren alles andere als abgeschlossen, so dass im Extremfall ein Remake in Konkurrenz zu einer Fortsetzung des Originals treten würde. Angesichts dieser Umstände stellt sich bei einem Klassiker wie TEXAS CHAINSAW MASSACRE die Frage, welchen Sinn überhaupt ein Remake machen soll. Wenn man nicht nur das Original, sondern auch gleich alle Fortsetzungen, die häufig nur kaschierte Remakes darstellen neu verfilmen würde, hätte diese Aktion einen gewissen absurden Reiz. Wenn der Produzent des Films jedoch Michael Bay heißt und für viele Cineasten gegenwärtig als director you love to hate gilt, kann man davon ausgehen, dass keinerlei künstlerische Ansprüche mit dem Projekt verbunden sind.
Überraschend finden sich angesichts der für das Genre außergewöhnlichen Kameraführung dann doch künstlerisch interessante Momente in diesem Film, von dem man gar nichts außer den schalen Aufguss einer in sich stimmigen und vor dreißig Jahren schockierenden Low Budget-Tour de Force zu erwarten hatte. Als Director of Photography engagierte der versierte Videoclipregisseur Marcus Nispel Daniel C. Pearl, der bereits bei Tobe Hoopers legendärem Original für die Kameraführung verantwortlich war. Nach Dante Spinotti bei RED DRAGON ist Pearl bereits der zweite Kameramann, der in neuerer Zeit im Rahmen eines Remakes sein eigenes Werk einer Überarbeitung unterzog. In den frühen 1970er Jahren schuf Pearl mit einer verwackelten, den Zuschauer in die Perspektive des gejagten Opfers zwingenden Handkamera eine neue Dimension des Terrors, der sich unmittelbar in der Phantasie des Betrachters fortsetzte. 2003 hingegen sucht er an den Schauplätzen seines Filmdebüts nach neuen Bildern für den Schrecken der Southern Gothic, zu der die Spielarten des Backwoods-Horrors im weiteren Sinne zählen. Wenn die spätere Heldin Erin (Jessica Biel) nach ihrem verschwundenen Freund sucht, verleiht das durch das Laub hereinbrechende Licht der Szene einen märchenhaften Unterton. Zwischenschnitte auf die Landschaft, die im Original lediglich als Alltagskulisse vorkam, bringen eine für das Genre ungewöhnliche Atmosphäre ein, obwohl der Film an anderen Stellen in Sachen Brutalität wesentlich expliziter als das in erster Linie über Andeutungen und die nervenaufreibende Tonspur funktionierende Original ausfällt.
Das TEXAS CHAINSAW MASSACRE-Remake spielt wie auch HOUSE OF 1000 CORPSES (USA 2002) von Gruselrocker Rob Zombie in den frühen 1970er Jahren. Dieser Trend zum Splatter-Period Picture ergab sich vermutlich aus dem Problem, dass seit der SCREAM-Trilogie (USA 1996-1999) die Protagonisten in diesen Filmen meistens selbst über die Stereotypen des Genres aufgeklärt sind. Dreißig Jahre zuvor begaben sich die potentiellen Opfer noch auf entlegene Seitenwege oder zu verlassenen leerstehenden Gebäuden, ohne groß darüber nachzudenken, dass sie gleich in eine Standardsituation des neueren Horrorkinos geraten werden. Auch standen in den Horrorfilmen der Siebziger noch keine Handies zur Verfügung, die einer nervenaufreibenden Verfolgungsjagd eine völlig andere Wendung verleihen könnten. Die Auswahl der Kostüme und Anspielungen auf den Südstaatenrock der 1970er liefern das entsprechende Zeitkolorit, das im Original sekundär erschien. Der Schnittrhythmus des Films entspricht hingegen gar nicht diesem Retrotrend, stattdessen orientiert sich Nispel an den hohen Schnittfrequenzen seines Produzenten Michael Bay. Spannender wird der Film durch die Stakkato-Montage jedoch nicht. Viel interessanter erscheint hingegen das in einigen Sequenzen raffinierte Spiel mit dem Vorwissen aus dem Original. Jessica Biel als ausdrucksstarke und selbstbewusste Variation des klassischen Final Girls gerät in die gleiche Situation, in der eine ihrer Vorgängerinnen aus dem Original ihr Leben lassen musste. Nachdem man gerade Sympathien für ihre Figur entwickelt hat, wäre es bedauerlich, wenn sie verfrüht ausscheiden würde und die Inszenierung belässt den Zuschauer eine ganze Weile im Unklaren darüber, ob die Szene den altbekannten Verlauf nehmen wird oder nicht. Im Unterschied zu originalgetreuen Remakes wie Gus Van Sants PSYCHO (USA 1999) lässt sich bei TEXAS CHAINSAW MASSACRE nicht von vornherein erkennen, an welchen Stellen der Film die Handlung des Vorbilds übernimmt und an welchen er Variationen einfügt.
Eine wesentliche Neuerung besteht in der Einführung eines sadistischen Provinzsheriffs, der passend mit dem Charakterdarsteller R. Lee Ermey besetzt wurde. Von Stanley Kubricks Vietnamdrama FULL METAL JACKET (USA/GB 1987) bis hin zu Peter Jacksons melancholisch absurder Geistergeschichte THE FRIGHTENERS (Neuseeland/USA 1996) gehört Ermey zu den unheimlichsten Verkörperungen einer bedrohlichen autoritären Persönlichkeit in der neueren Filmgeschichte. Im Gegensatz zur gut ausgewählten Besetzung und der außergewöhnlichen Kameraführung fällt allerdings das Drehbuch des Remakes unangenehm auf. Eine nachgeschobene Origin Story, auf die man in den Sequels verzichtet hatte, löst die unheimliche Gesichtslosigkeit des Serienmörders Leatherface mit einer banalen Hautkrankheit als Erklärung für seine grausamen Taten auf. Seine potentiellen Opfer verzichten zwar auf die gröbsten Fehler, die ihre Vorgänger/Nachfolger aus den FRIDAY THE 13th-Filmen bis heute gerne begehen, aber dennoch erscheint es ihnen nur etwas seltsam, wenn sie der örtliche Sheriff nach einem rätselhaften Selbstmord zur Befragung an eine entlegene Mühle beordert. Im Unterschied zum Script von Tobe Hooper und Kim Henkel, in dem das Grauen erst nach einem langsamen Anfang hereinbricht, erscheint das entlegene texanische Nest, in das sich die fünf Reisenden bei Michael Bay und Marcus Nispel verirren von Anfang an als idealer Ort für Maniac Mansions, Kannibalen und psychopathische Trailer Park-Familien. In der Auslage einer Raststätte liegt ein von Fliegen umschwirrter Schweinekopf und die heruntergekommenen Gebäude lassen bereits erahnen, dass sich hinter ihren Türen grausige Dinge ereignen. Unfreiwillig komisch erscheint darüber hinaus die pseudo-dokumentarische Rahmenhandlung, für die sich Bay und Nispel eifrig beim BLAIR WITCH PROJECT (USA 1999) bedienen.
Letztendlich bleibt immer noch die Frage offen, ob das Remake wirklich nötig war. Der Film entwickelt genügend eigenständige Momente, die auch für ein weiteres Sequel gereicht hätten. Es ist offensichtlich, dass TEXAS CHAINSAW MASSACRE aus rein finanziellen Gründen einen Neustart verpasst bekommen hat. Doch das Ergebnis hätte weitaus schlimmer aussehen können. Im Gegenteil gelang Nispel mit der Unterstützung Pearls sogar eine solide Routinevorstellung, die das Genre zwar nicht weiter entwickelt, aber dafür einige in Vergessenheit geratene Motive wieder in Erinnerung ruft. Er befördert nach allen ironischen Dekonstruktionsorgien und Parodien eine neue Ernsthaftigkeit, wie sie sich auch in dem überraschend gut gelungenen JEEPERS CREEPERS 2 (USA 2003) findet. Streckenweise funktionieren in beiden Filmen sogar jene Topoi des Backwoods-Horror noch einmal, die man schon längst auf dem Schrotthaufen der Genregeschichte glaubte. Die unterhaltsamste Vorstellung der Saison lieferten jedoch nicht Leatherface oder der Creeper, sondern die erfahrenen Veteranen Freddy Krueger und Jason Vorhees in Ronny Yus FREDDY VS. JASON (USA 2003) ab. Souverän bewegen sie sich in einem amüsanten Spiel mit den Versatzstücken ihrer einst populären Horrorserien zwischen Selbstironie und Schrecken und liefern sich dabei den originellsten Genrewettkampf seit Godzilla gegen King Kong. Ihr Kollege Leatherface zieht hingegen weiterhin die Abgeschiedenheit des texanischen Hinterlandes vor und begibt sich in TEXAS CHAINSAW MASSACRE auf eine Reise back to the roots, die Bays Hochglanzpolitur besser als erwartet verkraftet hat.