Hellboy 2 – Die Goldene Armee / Hellboy 2 – The Golden Army
von Andreas Rauscher
Dass eindimensionale Gutmenschen in Strumpfhosen ohne Ecken und Kanten ausgedient haben, wurde nicht erst durch den kommerziellen Misserfolg von „Superman Returns“ (2006) bestätigt. In einem Großteil der neueren Superhelden-Filme wie „X-Men“, „Spider-Man“ und dem „Batman“-Reboot von Christopher Nolan stehen ambivalente und gebrochene Charaktere im Mittelpunkt, die immer wieder mit den eigenen Abgründen oder zumindest mit den Problemen des Alltags zu kämpfen haben. In den letzten Jahren haben sich die Superhelden-Adaptionen nicht zuletzt durch die kontinuierliche Präsenz der inzwischen von einem hauseigenen Studio koordinierten Marvel-Verfilmungen zu einem eigenen Subgenre des phantastischen Films entwickelt.
Die zunehmende Ausdifferenzierung der früher entweder von übermäßigem Pathos (Richard Donners „Superman“) oder bonbonfarbenem Unfug (Warren Beattys „Dick Tracy“, Joel Schuhmachers „Batman“-Filme) gezeichneten Superheldenfilme bewirkte auch eine neue Vielfalt der Outcast-Typologien, die sich in zwei grundsätzliche, zueinander konträre Strömungen unterteilen lassen. Auf der einen Seite stehen die finsteren Rächer und Einzelgänger in der Tradition von Frank Millers „The Dark Knight Returns“ und „Sin City“, die sich nicht mehr allzu sehr von ihren Gegenspielern unterscheiden, auf der anderen Seite finden sich die Vertreter des gelassenen Individualanarchismus, der die selbstironischen Brüche der Independent-Comics kennzeichnet. Die Protagonisten des Marvel-Universums wie Spider-Man und Iron-Man haben es sich irgendwo zwischen diesen beiden Extremen bequem gemacht.
Trotz aller großen Verantwortung, die sich mit den Superkräften für gerade der Pubertät entwachsene Großstadtneurotiker ergeben mag, gesellt sich jedoch Mike Mignolas Hellboy ohne lange Diskussionen zur Gruppe der ironischen Individualisten. Obwohl er als Vorbote des Jüngsten Gerichts, den es in den 1940er Jahren aus der Hölle auf die Erde verschlagen hat, eine nicht nur für besonders religiöse Menschen relevante Funktion übernehmen sollte, interessiert er sich mehr für seine Katzen, reichhaltige Dosenbiervorräte und Pfannkuchen. Seinem Job als Agent bei einer Sondereinheit des FBI, die sich mit übernatürlichen Vorkommnissen beschäftigt, geht er mit der gleichen Beiläufigkeit nach, wie die „Clerks“ aus Kevin Smiths New Jersey-Filmen ihrer Kassierertätigkeit im Supermarkt.
Mit Ron Perlman, der zu den wenigen Schauspielern zählt, die auch unter Tonnen von Latex einer Rolle einen eigenen ausdrucksstarken Charakter verleihen können, fanden Regisseur Guillermo Del Toro und der am Film als Co-Autor und Produzent beteiligte Comiczeichner Mike Mignola die Idealbesetzung für ihren Protagonisten. Perlman versteht es auch Hellboys leidenschaftliche Seite, die sich in der Beziehung zu seiner pyrotechnisch begabten Kollegin Liz (Selma Blair) zeigt, geschickt in das ansonsten meistens mürrische und launische Verhalten des sympathischen Dämons einzubeziehen.
Dramaturgisch nutzt „Hellboy – The Golden Army“ gezielt den Vorteil eines Sequels. Die Charaktere und die Aufgaben des aus Hellboy, Liz und dem Amphibienwesen Abe Sapiens (Doug Jones) bestehenden Teams sind bereits aus dem Vorgänger von 2004 bekannt. Del Toro verzichtet daher konsequent auf einführende Erläuterungen und inszeniert den ersten Auftritt Hellboys als ganz alltäglichen Beziehungsstreit, bei dem die Einrichtung zu Bruch und das geheime Hauptquartier beinahe in Flammen aufgeht. Im Gegensatz zur Pointenfixiertheit der motivisch verwandten, aber formal denkbar weit von „Hellboy“ entfernten „Men in Black“-Filme werden die phantastischen Absurditäten nicht nur inhaltlich, sondern auch formal als Alltagsgeschehen behandelt. Die Kamera heftet sich nicht an den nächsten Special Effect, sondern bleibt auf Distanz und bezieht wie nebenbei auch noch auf äußerst innovative Weise die visuelle Grammatik der Comic-Vorlage ein.
Der leidenschaftliche Comic-Fan Del Toro gibt sich nicht nur wie seine Kollegen Sam Raimi und Robert Rodriguez jede erdenkliche Mühe der Vorlage gerecht zu werden, er sucht auch immer wieder nach filmischen Äquivalenten zur räumlichen Struktur der Comic-Panels. Vergleichbare experimentierfreudige Ansätze finden sich im neueren Mainstream sonst nur im ersten „Hulk“ (2003) von Ang Lee, in dem jedoch formale Ambitionen und Storytelling nicht durchgehend miteinander korrespondieren. In „Hellboy 2“ hingegen ergänzen sich visuelle Referenzen auf die Comicästhetik und filmische Inszenierung nahtlos. Der ganz gewöhnliche Krach zwischen Liz und Hellboy wird aus einer Distanz beobachtet, die deutlich an Panel-Kompositionen in Comics erinnert und dennoch nicht zum Selbstzweck gerät, sondern die filmische Erzählung durchgehend unterstützt. Während die Kamera im Vordergrund ein Gespräch zeigt, bricht im Bildhintergrund, bedingt durch das feurige Temperament der beiden Streitenden, das reine Chaos aus. Die über längere Zeit gleich bleibende Einstellungsgröße verstärkt durch den Kontrast zwischen der Ruhe der Kamera und der Hysterie des Geschehens nicht nur den humoristischen Effekt der Szene, sondern liefert auf einer abstrakteren Ebene die konsequente filmische Umsetzung einer Serie von Comic-Panels, in denen die Komik aus geringfügigen Variationen besteht.
Del Toro und Mignola schaffen immer wieder Bildkompositionen, die deutlich an die im Comic durch Fluchtlinien angedeutete Illusion von Bewegung erinnern. Wenn Hellboy aus einem Fenster stürzt, begibt sich die Kamera in eine Top-Down-Perspektive, wie man sie eher in der Bildkomposition eines Comics, als in einem Actionfilm erwarten würde. Den räumlichen Übergang akzentuierende Wischblenden bilden die logische Fortsetzung jener an Comickadrierungen angelehnten Kombinationen aus Schnitten und Schwenks aus Raimis „Spider-Man“-Filmen. Selbst in den Actionsequenzen verweist Del Toro, zumindest in der ersten Hälfe des Films, auf die fragmentarische Raumwahrnehmung im Comic, indem er die Montage deutlich gegenüber der Mise-en-Scène betont.
Neben der formalen Spielfreude und der treffenden Besetzung bezieht „Hellboy – The Golden Army“ seinen Reiz aus der genüsslichen Kollision der Genrewelten. Der sarkastische Professional Hellboy lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen und begegnet übernatürlichen Phänomenen und phantastischen Parallelwelten mit der gleichen Coolness wie seinen pedantischen Vorgesetzten. Die „Hellboy“-Comics und Filme verfolgen in der Entwicklung des Plots genau die umgekehrte Strategie zu den „Indiana Jones“-Abenteuern. Während der draufgängerische Archäologe am Ende einer Mission einräumen muss, dass es trotz aller angebrachter Skepsis höhere Mächte zwischen Himmel und Erde (oder notfalls wie in „Empire of the Crystal Skull“ zwischen den Parallelwelten) gibt, gelangt Hellboy zwar zu dem gleichen Fazit, zeigt sich dem „Sense of Wonder“ gegenüber aber weitgehend gleichgültig. Nachdem sie im ersten Teil Aufzieh-Nazis und germanischen Runenzauber zurück auf den Komposthaufen der Trash-Geschichte befördert haben, geraten Hellboy, Liz und Abe im zweiten Film an einen größenwahnsinnigen Elfen-Despoten. Während der erste Film über die Typenkomik und Anspielungen auf jenseitige Grauen im Stil von H. P. Lovecraft funktionierte, entwirft Del Toro im neuen Teil ein ganzes Paralleluniversum an skurrilen Gestalten, das vom Trollmarkt unter der Brooklyn Bridge bis hin zur im Norden Irlands verborgenen „Golden Army“ reicht.
Sowohl die Comicvorlage, als auch die „Hellboy“-Filme zeichnet das amüsante Wechselspiel aus, der Vernetzung der unterschiedlichsten mythologischen Anspielungen steht deren ironische Relativierung durch das mobile Dekonstruktionskommando um die Protagonisten gegenüber. Unterstützt werden Hellboy, Liz und Abe von dem Neuzugang Johann Kraus, der als körperloses Geisterwesen zwar in der Tradition der Schauerromantik steht, aber zugleich sämtliche Marotten eines überkorrekten deutschen Beamten an den Tag legt. Streckenweise erinnert die Arbeit von Del Toro und Mignola an die Urban Fantasy-Ansätze von Neil Gaiman. Statt sich in allegorisch überladene „Narnia“-Welten zu flüchten, versteht es diese progressiv orientierte Spielart der Fantasy die Faszination imaginärer Welten mit den Mythen des Alltags zu verbinden und dennoch wie der Dämon mit der ausgeprägten Vorliebe für Bier und Pfannkuchen mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben.