Storydrive Tagung Frankfurt 2012 – Das Spiel mit Transmedialen Welten

Im Vergleich zu den letzten Jahren hat sich auf der im Rahmen der Buchmesse veranstalteten  Storydrive-Konferenz 2012 der Hype um die vernetzten Geschichten des Transmedia Storytelling ein wenig gelegt. Der Gamedesigner Levi Buchanan von der Firma Chillingo schlägt in seiner Keynote über Storytelling in Handy-Spielen den Begriff der aufgeteilten Distributed Narrative vor, Transmedia würde zu sehr nach einer kommerziellen Checkliste klingen. Der Schriftsteller Mark Staufer, der in seinen Roman The Numinous Place Film-Clips und andere Multimedia-Elemente integriert, warnt davor, dass die Wirkung der zentralen Geschichte unter der Aufteilung auf zu viele verschiedene Medien leiden könnte. Die Narration sollte durch die Technik verstärkt und nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Der mit Peter Jacksons Effektschmiede WETA assoziierte neuseeländische Künstler und Autor Greg Broadmore, Erfinder des retrofuturistischen Antihelden Dr. Grordbort geht sogar noch weiter. Obwohl sein in Gemälden genau so wie in Videospielen beheimatetes Pulp-Universum ein Paradebeispiel für Transmedia Storytelling abgeben könnte, betont er im Werkstattgespräch, dass es sich lediglich um ein Modewort handle. Interessante Medien wären ihm persönlich wichtiger als transmediale.

Taugt das von dem renommierten amerikanischen Medienwissenschaftler Henry Jenkins definierte Konzept nur noch als Begriff für medienwissenschaftliche Analysen? Nicht unbedingt, vielmehr geht es jetzt um ein Fine Tuning der damit verbundenen Aspekte. In den Präsentationen und Vorträgen der unter dem Motto Licence to Tell (ein zu diesem Motto passender Vortrag über das fünfzigjährige Dienstjubiläum der James Bond-Reihe fand sich leider nicht im Programm) veranstalteten Storydrive-Konferenz tauchten mehrfach Ideen wie die optionale Erweiterungen einer Narration auf. Die kommerzielle und kreative Aufmerksamkeit richtete sich nicht mehr wie noch in Jenkins‘ favorisierter Fallstudie The Matrix (1999-2003) auf die Verteilung eines epischen Story Arc auf Filme, Videospiele und Comics, sondern auf die Einrichtung einer Storyworld. Wenn vor einigen Jahren noch verschiedene Zugänge (Points-of-Entry) in das narrative Labyrinth führten, so handelt es sich inzwischen eher um einen Appartement-Komplex mit den unterschiedlichsten Angeboten, vom Designer-Loft bis hin zum möblierten Zimmer. Die Bewohner der Storyworld-Etagen können sich durchaus über den Weg laufen, müssen es aber nicht zwangsläufig, wenn es ihre Geschichten nicht erfordern.

Die Ausgestaltung einer interessanten fiktionalen Welt mit verschiedenen narrativen oder spielerischen Anschlussstellen markierte ein übergreifendes Thema der Vorträge. Greg Broadmores Kollege Richard Taylor aus dem für die Effekte und die Art Direction von Lord of the Rings, The Chronicles of Narnia und King Kong zuständigen WETA Workshop nennt den Prozess des holistischen Worldbuilding als einen der wichtigsten Schritte für eine gelungene Adaption der literarischen Werke von J.R.R. Tolkien und C.S. Lewis. Für Peter Jacksons King Kong-Neuverfilmung (2005) wurde eine eigene Flora und Fauna für die exotische Skull Island entworfen, die im Film eine glaubwürdige Kulisse bereitet und im begleitenden Videospiel eigenständig erkundet werden kann.

In paradigmatischen Ausnahmefällen entwickeln sich die zu einer ausufernden Topographie und zu imaginären historischen Epochen ausgestalteten Storyworlds durch den jahrelangen Austausch zwischen Produzenten und Fans zu kulturellen Phänomenen. Zu den prominentesten Vertretern eines popkulturellen transmedialen Mythen-Patchworks zählt das Star Wars-Universum, das 1977 nach den Ideen des New Hollywood-Regisseurs George Lucas initiiert wurde. Vor zwanzig Jahren wurde durch die Heir to the Empire-Romantrilogie des Science-Fiction-Schriftstellers Timothy Zahn das so genannte, über die Filmhandlung hinaus weisende ‚Expanded Universe‘ begründet. In Büchern, Comics und Videospielen werden jene Geschichten um Luke Skywalker, Han Solo, Prinzessin Leia und Lando Calrissian weiter gesponnen, die im Kino keine Fortsetzung mehr finden. Mit den Comicbänden des Verlags Dark Horse wurden weitere Epochen in der Chronik der weit entfernten Galaxis entworfen, die mehrere Jahrhunderte vor und nach den bekannten Filmen angesiedelt sind und das in einer Kooperation zwischen LucasArts und der Firma Bioware entstandene Rollenspiel Knights of the Old Republic (2003) ermöglichte ambivalente Charaktere, die einigen Spielern komplexer und differenzierter als die neueren Filme erscheinen. Die Settings der Star Wars-Galaxis realisieren die unterschiedlichsten Genre-Kombinationen, von bunter Space Opera an der Grenze zur Fantasy über Future-Noir-Detektivgeschichten bis hin zum an die aktuelle Zombie-Renaissance anknüpfenden Horror-Roman. Die von Carol Roeder und Marlies Rasl bei Storydrive vorgestellte Präsentation des Star Wars-Universums akzentuiert die sorgfältig koordinierte Lizenzpolitik und die Bandbreite der Kooperationen, von der Star Wars-Version des erfolgreichen Casual Games Angry Birds und den in langjähriger Partnerschaft mit der Firma Hasbro produzierten Spielzeugmodellen bis hin zum auf Anregung eines Pädagogen entstandenen Yoda-Origami-Buch. Ob das bis zur Auto-Werbung und Fast Food-Menüs reichende Sortiment tatsächlich noch die Faszination des kulturübergreifenden kreativen Pop-Mythos repräsentiert, und weshalb die Vermarktung der Star Wars-Produkte sich als „favorite boys toy brand“ absichert, obwohl es, zumindest in den Romanen und Comics genügend starke und interessante Frauenfiguren gibt, würde ausreichend Ansatzpunkte für eine vertiefende kulturwissenschaftliche Analyse bieten.
Nicht über eine ganze eigene Galaxie, aber dafür über ein Ensemble aus mehreren tausend Charakteren, deren Spitze Spider-Man, die Avengers und die X-Men bilden, verfügt der stilprägende Comicverlag Marvel seit den 1960er Jahren. Dessen Vertreter für digitale Publikationen Peter Phillips nennt als besondere Kennzeichen der Marvel-Protagonisten menschliche Eigenschaften: Sie müssen fehlbar sein und die Grenzen zwischen Schurken und Helden können sich in einigen Fällen auflösen. Mit dem Superhelden-Betriebsausflug The Avengers (2012) des zwischen Nerd und Auteur changierenden Multitalents Joss Whedon realisierte das hauseigene Filmstudio in diesem Frühjahr einen seiner bisher größten Erfolge. Die transmedialen Verknüpfungen funktionieren im Fall von Marvel als dynamischer Prozess, bei dem immer wieder die aktualisierten Zeitbezüge eine wesentliche Rolle spielen.
Als World-Building-in-Progress gestalten sich die abschließend vorgestellten Projekte des Game Designers Michael Paeck von Cliffhanger Productions, der mit Hilfe einer Crowdfunding-Aktion dem populären Science-Fiction-Rollenspiel Shadowrun als MMORPG zu neuem Leben verhilft, und der Autorin Marie Lu, deren demnächst verfilmter dystopischer Roman Legend mit einem selbst entworfenen Videospiel verbunden ist.

Von allen mit dem Begriff des Transmedia Storytelling assoziierten Ideen erscheint das Konzept des World-Buildings, das erst das Setting für die verschiedenen medialen Abzweigungen, Umleitungen, Fortsetzungen und Konvergenzen einer Storyworld schafft, am grundlegendsten. Transmediale Welten ermöglichen ausgehend von einem Medium Passagen in andere Medien, sei es von den Lord of the Rings-Romanen zu den Filmen, von den Star Wars-Filmen zu den Romanen, Comics und Videospielen oder von den Marvel-Comics zu den entsprechenden Filmreihen und wieder zurück.
Die auf der diesjährigen Storydrive-Konferenz vorgestellten Perspektiven und Projekte verdeutlichen, dass dieser zwischen kollektiver kreativer Komplexität und kulturindustriellen Kalkulationen angesiedelte Prozess eine produktive Alternative zum nach wie vor rein hypothetischen transmedialen Gesamtkunstwerk bietet.

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