Adaptation
USA 2002, R: Spike Jonze, B: Charlie Kaufman, mehr oder weniger nach einem Buch von Susan Orlean, M: Carter Burwell, K: Lance Acord, D: Nicolas Cage (Charlie / Donald Kaufman), Meryl Streep (Susan Orlean), Chris Cooper (John Laroche), Tilda Swinton (Valerie), Brian Cox (Robert McKee)
Spike Jonze erwies sich bereits vor knapp zehn Jahren als er noch Videoclips für die Beastie Boys drehte als potentieller neuer Fachmann für angewandte Postmoderne. Im Clip SABOTAGE ließ er die experimentierfreudigen Crossover-Rapper als fiktive Schauspieler mit angeklebten Kotletten im Trailer zu einem nicht existenten Actionfilm im Seventies-Look auftreten. Sein gefeiertes Regiedebüt BEING JOHN MALKOVICH (USA 1999) thematisierte die fünfzehn Minuten Ruhm, die Bewusstseinsreisende im Körper des Schauspielers, der sich selbst spielte, als surrealen Trip durchleben konnten. Bereits dieser Film markierte einen vorläufigen Höhepunkt in Sachen unterhaltsamer Autoreflexivität, den Jonze und sein Drehbuchautor Charlie Kaufman mit ihrer neuen Arbeit noch zu übertreffen versuchen. Ursprünglich sollte Kaufman (angeblich) eine Adaption des Sachbuch-Bestsellers The Orchid Thief anfertigen, in dem die New Yorker Journalistin Susan Orlean das Schicksal des verwegenen Orchideensammlers John Laroche schildert. Die fehlende Dramaturgie des Buches stürzte den erfolgreichen Newcomer in eine schwere Schaffenskrise, die er nach langen Überlegungen doch noch kreativ zu nutzen wusste. Er integrierte sich selbst und seine Schreibblockade als zentralen Konflikt in das Drehbuch. ADAPTATION entwickelte sich dem Titel entsprechend zu einem Film über die Adaption von The Orchid Thief. Doch im Unterschied zu klassischen Essayfilmen, in denen visuell über die Bedeutung des Kinos reflektiert wird, vollführen Regisseur und Drehbuchautor die fiktionalisierte Nabelschau, als handle es sich dabei um einen besonders raffinierten Stunt aus der von Jonze produzierten MTV-Show JACKASS, in der er selbst gelegentlich mit waghalsigen Skateboardtricks auftritt.
In ADAPTATION verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion so weit,
dass sich das verschachtelte und dennoch äußerst stringente Verwirrspiel weit
über den Film hinaus fortsetzt. Autor Charlie und sein Bruder Donald Kaufman
wurden mehrfach für das beste Drehbuch des Jahres nominiert. Im Vorfeld der
Preisverleihungen ergab sich jedoch ein unerwartetes Problem. Der ominöse Donald
Kaufman, der sich im Unterschied zu seinem ambitionierten Bruder auf formelhafte
Thriller nach der selbst ausgegebenen Devise "THE SILENCE OF THE LAMBS meets
PSYCHO" spezialisiert hat, ließ sich nicht ausfindig machen. Angeblich hatte er
im Teamwork mit seinem Bruder dessen kreative Krise zu einem Drehbuch
verarbeitet. Obwohl er in den Credits zu ADAPTATION, der auf einigen wahren und
noch mehr unwahren Begebenheiten basiert, offiziell genannt wird und im Film
eine tragende Rolle spielt, handelt es sich bei Donald Kaufman um eine fiktive
Gestalt.
Um das postmoderne absurde Theater auf die Spitze zu treiben kombiniert
ADAPTATION die Geschichte des Orchid Thief und den inszenierten
Arbeitsprozess an dessen filmischer Umsetzung, bis sich die beiden Ebenen
komplett vermischen. Das verbindende Element bildet die Frage nach der Erfahrung
von Leidenschaft. Die von Meryl Streep routiniert dargestellte Susan Orlean
entdeckt diese in der Arbeit des Orchideensammlers John Laroche, der in den
Sümpfen Floridas auf die Suche nach seltenen Blumen geht. Nicolas Cage agiert
als Charlie Kaufman hingegen die Probleme bei der Adaption von eben dieser
Geschichte aus und sabotiert in einer Doppelrolle als Donald Kaufman erfolgreich
die Bemühungen Charlies Susan Orleans Leidenschaft auf unspektakuläre Weise zu
vermitteln. Donald stellt die extrovertierte und erfolgreiche Gegenfigur zu
seinem nachdenklichen und schüchternen Bruder dar. Während Charlie sich mit den
künstlerischen Dilemmata der Moderne herumschlägt, indem er versucht in der
Kulturindustrie seine künstlerische Integrität zu bewahren, begeistert sich sein
Bruder für die formelhaften Lehren eines (real existenten, im Film von Brian Cox
gespielten) Hollywood-Drehbuchgurus. In kürzester Zeit verfasst er einen
Reißbrett-Thriller, der kein Klischee auslässt und von potentiellen Produzenten
enthusiastisch aufgenommen wird. Mit der in diversen Drehbuch-Workshops
erlernten Küchenpsychologie liefert er voller Begeisterung in seinen Monologen
über den von ihm gebastelten Plot die entsprechende Interpretation gleich mit;
ein zerbrochener Spiegel symbolisiere die gespaltene Persönlichkeit des
Serialkillers und der Kampf zwischen einem Reiter und einem Flugzeug reflektiere
den Widerstreit zwischen Mensch und Technik. Sämtliche Polemiken Charlies gegen
die Stereotypen seines Scripts versteht er als originelle
Verbesserungsvorschläge, die er dankbar übernimmt.
Die Visualisierung des skurrilen Thriller-Drehbuchs spart ADAPTATION wohl
wissend aus und präsentiert stattdessen Charlies Skizzen für eine Verfilmung von
The Orchid Thief, der anders umgesetzt die ideale Vorlage für eine
konventionelle Meryl Streep-Schnulze abgegeben hätte. Nebenbei durchläuft der
Film in einer rasanten Sequenz die gesamte Evolutionsgeschichte, integriert
einen aus Susan Orleans Buch adaptierten Exkurs über die Thesen Charles Darwins,
über dessen Unverfilmbarkeit Charlie einige Sequenzen später grübelt, und zeigt
den frustrierten Drehbuchautor am Set von
BEING JOHN MALKOVICH, inklusive der echten Hauptdarsteller dieses Films.
Jonze und Kaufman dekonstruieren den eigenen Film, um einen Diskurs über ihren
kreativen Kosmos in Form einer autoreferentiellen Achterbahnfahrt zu eröffnen.
Das Ergebnis wirkt wie Woody Allens STARDUST MEMORIES (USA 1979) auf Acid.
Während der elder statesman aller Stadtneurotiker seine Unlust weiterhin lustige
Filme zu drehen vor zwanzig Jahren in nachdenkliche Schwarz-Weiß-Bilder packte,
bietet ADAPTATION postmodernes Starkino und setzt auf eine durchdachte
Überwältigung der Sinne. Jonze relativiert ironische Momente, indem er in einer
Sequenz ohne jede Vorbereitung den tragischen Hintergrund eines vermeintlich
komischen Charakters aufdeckt und dabei eine der realistischsten Unfallszenen
der neueren Filmgeschichte realisiert. Diese verzichtet auf explizite Effekte
und überzeugt durch ihre alltäglich erscheinende Beiläufigkeit und den
unerwarteten Schockmoment. Diese Art von Inszenierung ist charakteristisch für
die abrupten und dennoch insgesamt stimmigen Wendungen, die ADAPTATION permanent
vollführt. Gerade wenn man glaubt sich an die verschachtelte Struktur des Films
gewöhnt zu haben, schicken Jonze und (der echte) Kaufman die Ebenen auf
Kollisionskurs. Nach dem fulminanten Erfolg seines Thrillerentwurfs beschließt
Donald seinem verzweifelten Bruder zu helfen und überredet ihn die Autorin der
Vorlage auszuspionieren. Das letzte Drittel des Films erweckt den Eindruck, als
hätte tatsächlich Kaufmans fiktiver Verwandter die Kontrolle über das Drehbuch
übernommen. Die spektakulären Enthüllungen über die "wahren" Hintergründe des an
sich unspektakulären Orchideensammlers und dessen Biographin überschlagen sich.
Gefährliche Lieb- und Machenschaften werden aufgedeckt und in den Sümpfen
Floridas kommt es zum alles entscheidenden Showdown. Auf einmal erfüllt der Plot
in einer parodistischen Übersteigerung sämtliche, zuvor entlarvten Klischees des
standardisierten Drehbuchhandwerks, die er in der ersten Hälfte scharfzüngig
angegriffen hatte.
Jonze und Kaufman geben sich nicht mit einem reflexiven Diskurs über das
Filmbusiness und ihre Arbeitsbedingungen darin zufrieden. Sie agieren diesen im
buchstäblichen Sinne zwischen stilisierter Selbstdarstellung und Persiflage aus.
Diese riskante Gratwanderung vollführen Darsteller, Drehbuchautor und Regisseur
mit einer beachtlichen Souveränität. Sie belassen den verschiedenen Tableaus
ihre Wirkung und vermeiden dadurch jenen Zirkelschluss, in dem sich andere
filmische postmoderne Ansätze mittlerweile verfangen haben. Fakten und Fiktionen
verweisen nicht als reiner Insider-Gag aufeinander, sondern ergänzen sich zu
temporären Sinneinheiten, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Durch deren
sensible Inszenierung werden auch Themen wieder verhandelbar, die nur allzu
häufig in die Klischeefallen des kalkulierten Betroffenheitskitsch geraten sind.
Spike Jonze behandelt die in letzter Zeit vor allem von einfallslosen
Genreproduktionen häufig überstrapazierte Autoreflexivität wie einen
Skateboard-Parcours, in dem er sämtliche Kurven und Hindernisse stilsicher
überwindet.